Juli Zeh: Unterleuten

Luchterhand 2016, 640 S., ISBN: 978-3-630-87487-6, auch als E-Book erhältlich.

Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal einen Roman von Juli Zeh gelesen? Ich meine ausgelesen. Ich sehe in mein Bücherregal: Adler und Engel, 2001, ihr Debüt. Ich war so begeistert, daß ich mir sogar eine Widmung hatte einschreibenlassen. Danach konnte mich die Autorin mit ihren Veröffentlichungen nicht mehr so richtig begeistern. Vor wenigen Wochen also hörte ich eine Episode von DurchDieGegend, eines meiner Lieblingspodcasts, in dem der Journalist und Radiomacher Christian Möller mit Kulturschaffenden durch die Gegend geht und sie interviewt. In dieser Folge mit besagter Juli Zeh als Befragte. Ich kam ins Grübeln, ob ich ihr nicht mal wieder eine Chance geben sollte? Herr Möller persönlich stieß mich noch mal an … also gut, gekauft: Unterleuten, der aktuelle Roman von Juli Zeh.

Frau Zeh läßt eine Menge Personal in ihrem 640 Seiten starken Buch auflaufen. Alteingesessene eines kleinen Dorfs im Brandenburgischen, genannt Unterleuten, treffen auf Zugereiste aus Westdeutschland, auf Aussteiger und Spekulanten. (Die Autorin stellt eine Dorfskizze samt Auflistung des Personals ins Netz. Ich bin ihr dankbar). Der Roman ist in 62 Kapiteln unterteilt, die nach den jeweils agierenden BewohnerInnen benannt werden. Die Handlung springt also kapitelweise von einem Schauplatz zum nächsten. Das Dorf Unterleuten selbst zeichnet sich allenfalls was Flora und Fauna angeht durch Beschaulichkeit und Idylle aus. Der Rest ist Krieg der Interessen, welcher offen ausgetragen wird, als ein Windpark am Rande des Dorfes errichtet werden soll. Die Autorin versteht es, Naturschützer, Spekulanten, Altkommunisten, Pferdefrauen, gescheiterte Existenzen, Stadtflüchtende und deren Lebenssituationen, Träume und Konflikte trefflich zu skizzieren. Daß das hier und da ins Klischee abgleitet, ist geschenkt. Auch mag ab und an ein Bild nicht so ganz funktionieren. Egal (bis auf die Episode mit dem Paar Schuhen gegen Schluß.). Das Ganze zählt und das Ganze ist äußerst unterhaltsam und oft sehr amüsant. Allerdings muß darauf hingewiesen werden, daß die Situation in dem Dorf bald eskaliert und außer Kontrolle gerät: Es wird dann sehr schnell ziemlich gewalttätig im Roman und Leser und Leserinnen möchten die Luft anhalten. Mit anderen Worte: Amüsant Schrulliges wird von Horror in ländlicher Umgebung abgelöst. Das nur als Warnung.

Frau Zeh packt so ziemlich alles, was es an aktuellen gesellschaftlichen Konflikten gibt, in die Figuren der Romanhandlung und läßt die Protagonisten in dem kleinen Unterleuten sich so richtig austoben. Sie erzählt eher konventionell, mit einer ordentlich Portion Ironie, genauer Charakterzeichnungen und mitunter forschem Tempo. Ein großer Gesellschaftsroman wie Teile des Feuilletons behaupten? Ist mir gleich, ob er das ist oder nicht. „Unterleuten” hat mich von der ersten bis zur letzten Seite sehr gut unterhalten. Das ist, was zählt.

8 Kommentare on "Juli Zeh: Unterleuten"


  1. Hmmmm…..ich habe von Frau Zeh „Die Stille ist ein Geräusch“ gelesen.
    Leider war ich überhaupt nicht begeistert davon – nein, ganz und gar nicht.
    Auf gar keinen Fall.
    Nur mit großer Mühe habe ich es fast zu Ende gelesen, aber nur fast.,

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    1. War nach Adler und Engel von ihren nächsten Romanen auch nicht grad begeistert Rosie. Unterleuten finde ich wieder toll. Aber vielleicht „liegt sie dir” einfach nicht. Kommt ja vor.

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  2. Yeahr! Von DEM Werk bin ich auch begeistert. Schwärm! (Okay, leider schwächelt die Schlussgestaltung. Aber 600 beste Unterhaltung!) Massenweise harte Wahrheiten in zitierfähigen Sätzen. So isset, wennste in Restpreußen leeebs!

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  3. Ich fand Unterleuten überhaupt nicht gut, sondern eine einzige Klischeesammlung.
    Keiner der handelnden Personen hat wirklich einen ausgearbeiteten Charakter. Nicht
    einmal die aus dem akademischen Milieu, das Frau Zeh ja eigentlich kennen müsste.
    Es ist so ein typisches Werk eines »Wessi«, der nach wenig dort verbrachter Zeit im Irrglauben lebt, nun kenne er die Brandenburger.
    Sag ich als Berliner: Nix kennt sie und verstanden hat sie die Menschen schon gar nicht!

    PS: Meine Rezension kommt noch in absehbarer Zeit, liegt noch irgendwo in der Schublade »kann man vergessen«

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