Adele Neuhauser: Ich war mein größter Feind

Brandstätter Verlag 2017, 216 S., ISBN: 978-3-7106-0090-6, auch als eBook erhältlich.

1998, mit ihrer Rolle als Mephistopheles in Goethes Faust machte Adele Neuhauser sich für das Theater liebende Regensburg unsterblich. Mein liebstes Stück war zwei Jahre später „Meisterklasse”, ein Stück über die ihre Schüler terrorisierende und in eigenen Erinnerungen gefangene Maria Callas. Ich höre noch heute mein verängstigtes Herz in der fünfzehnten Reihe klopfen. Großartig. Nach ihrem Engagement in Regensburg hob Adelele Neuhausers Karriere ab und heute ist sie aus der deutschsprachigen Fernsehlandschaft nicht mehr wegzudenken. Spätestens nach den ersten Folgen des Austria-Tatorts ist klar: Adele Neuhauser hat es geschafft. Daß so eine Karriere nicht immer nur glatt und reibungslos verläuft, liegt auf der Hand. In ihrem autobiographischen Buch „Ich war mein größter Feind” nimmt Adele Neuhauser Leser und Leserinnen mit in ihre Familiengeschichte und erzählt von ihren wichtigsten Lebensabschnitten. Und weil es eben Adele ist, die das tut, habe ich tatsächlich das erste Mal in meinem Leben die Autobiographie einer lebenden Person des öffentlichen Lebens gelesen. 

Schon im ersten von zehn Kapiteln ”Weitergehen”, das eine Art Prolog ist, wird klar, auf welche Art und Weise sich Adele ihren Lesern präsentieren möchte. Das ist kein bemühter Literatenton, sondern eine gute Zeit am Küchentisch, bei Kaffee und Wein. Die Schauspielerin und Autorin schafft Atmosphäre, ungezwungen, nicht bemüht, fast schon privat. Das funktioniert erstaunlich gut über die knapp mehr als zweihundert Seiten und nimmt von den zum Teil tragischen Ereignissen überflüssiges Pathos. Es ist eben so passiert. Reiches Bildmaterial macht das Eintauchen in diese Familiengeschichte noch leichter.

Im angesprochenen ersten Kapitel lässt sich die Biographin über ihr Lebensthema „Gehen” aus, Weitergehen, das Neue nicht erwarten, sondern ihm entgegengehen. Sie berichtet rührend von ihren Großeltern im Waldviertel und wie sie mit dem Großvater rasch voranschreitend die Natur erkundet. Und schon ist man am Machu Picchu und bei Vater und Sohn. Und gegen Ende des Kapitels findet man sich auf einem Gipfel in Kärnten mit (eigentlich: eben nicht mit) ihrem Ex-Mann Zoltan wieder. Mit dem Thema Gehen, Weitergehen hat mich die Autorin gleich im ersten Kapitel zu fassen gekriegt und es sollte nicht der einzige Verknüpfungspunkt bleiben. Im nächsten Abschnitt ”Ich bin ein Kind zweier Welten” thematisiert sie ihre Kindheit. Geboren in Athen, der griechische Vater, die österreichische Mutter, ein durch und durch bewegtes Familienleben, Trennungen, Wiedervereinigungen: Langweilig ist diese Familiengeschichte weißgott nicht. Mittendrin Adele, die nach der Scheidung der Eltern zum Vater geht, während beide Brüder bei der Mutter bleiben. Eine seelische Zerreißprobe für das Mädchen und die junge Frau. Äußerlich fröhlich und unbeschwert wirkend werden innere Konflikte manifest, es folgen Selbstmordversuche und der schwierige Weg, das eigene Selbst zu bejahen. Dabei kippt das Buch an keiner Stelle ins Psychologisierende oder Beschwerte. Umgeben von diesen starken Persönlichkeiten, die trotz aller Bewegungen immer auch ein zu Hause darstellen, findet die junge Adele langsam und zäh ihre Richtung.

Über das Ballett zum Theater, Schauspielschulen, Absagen, erste strapaziöse Tourneen, Selbstzweifel, Engagements, schließlich die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte in dem Film „Gone” und der Beginn der Fernsehkarriere, die schon mit der Serie „Vier Frauen und ein Todesfall” ihren Anfang nahm, aber erst mit dem Tatort auch in Deutschland tatsächlich wahrgenommen wurde. Dazwischen eine riskante Stimmbandoperation, die Adele die Vorteile des Schweigens erfahren ließ. In den beiden letzten Jahren sterben Vater, Mutter und Bruder. Schwer zu ertragende Schicksalsschläge, die zum Leben gehören. Glück ist eben nicht garantiert. Es sind sehr berührende Momente, wenn sie über den Verlust der geliebten Menschen und das Wiedererstarken aus diesen traumatischen Erlebnissen berichtet. „Ich war mein größter Feind” ist die Autobiographie einer Frau, die etwas zu erzählen hat. Kein Gerede über eigentlich Garnichts, sondern das pralle Leben. Nicht jeder Leser, nicht jede Leserin wird eine so turbulente Familiengeschichte aufzuweisen haben, aber garantiert sich in manch geschilderten Gefühlslagen wiederfinden. Nach der Lektüre denke ich einen Moment an Adeles Zeit in Regensburg zurück, sehe meine langen Donaugänge mit anderen Augen und gratuliere herzlich zu dieser gelungenen Autobiographie.

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