Graeme Macrae Burnet: Sein blutiges Projekt – Der Fall Roderick Macrae

Europa Verlag 2017, 344 Seiten. Aus dem Englischen von Claudia Feldmann. Auch als eBook erhältlich.

Wir sind im Nordwesten Schottlands, man schreibt das Jahr 1869, es ist August. In einem kleinen Bauerndorf werden auf brutale Art und Weise drei Mitglieder der Familie Lachlan Mackenzie, dem neuen Constabler des Dorfes, niedergemetzelt: Mackenzie selbst, seine Tochter und sein Sohn. Mörder ist der siebzehnjährige Roderick Macrae, Sohn eines verarmten Nachbars und Crofters, einem schottischen Kleinbauern. In Ordnung, dann wäre der Fall ja gelöst und niemand braucht das Buch mehr zur Hand zu nehmen. Mitnichten, denn in diesem Kriminalfall geht es um das Wie und Warum. In seinem zweiten Buch, das erste wird aufgrund des Erfolgs von „Der Fall Roderick Macrae” demnächst in deutscher Übersetzung erscheinen, zeigt der schottische Autor Graeme Macrae Burnet, was im Genre Kriminalroman alles so geht. Vielschichtig, atmosphärisch, spannend und am Ende hat man sogar etwas gelernt.

Bei Forschungen über seinen Großvater sei der Autor Graeme Macrae Burnet auf seinen Vorfahren Roderick Macrae gestoßen, der vor vielen Jahren im Mittelpunkt eines sensationsheischenden Mordverfahrens stand. Dieser Roderick Macrae hätte in der Haft einen Bericht, eine Art Vorgeschichte des von ihm begangen Mordes aufgefertigt. Mit diesem Türöffner gelangt man als Leser zu der Darstellung der Geschehnisse aus der Sicht des Mörders, die etwa die Hälfte des Romans einnimmt. Wir sind im rauen Nordwesten Schottland, fernab der Hauptstadt Glasgow und tauchen ein in das trostlose Leben der Crofter. Elend, Härte, Ungerechtigkeiten und Demütigungen, das Leben dieser Kleinbauern ist voll davon. Der spätere Mörder Roderick, ein ungewöhnlich intelligenter junger Mann, schildert dies alles ohne jedes Selbstmitleid. Es ist das Leben, das er kennt. Zuhause der verbitterte, früh gealterte Vater, der ihn mit strenger Hand erzieht, und seine Schwester, die die früh verstorbene Mutter zu ersetzen hat. Dort der Kampf ums Überleben und zum Überfluß der Nachbar und spätere Constabler Lachlan Mackenzie, der nichts ausläßt, um seine Familie zu demütigen und in den existenziellen Abgrund zu stürzen. Das Leben in den schottischen Highlands ist wahrlich kein Ponyhof. Der Bericht endet mit dem erwarteten Blutbad.

In der zweiten Hälfte des Romans geht es um das Gerichtsverfahren und speziell um die Frage, ob der Mörder als zurechnungsfähig zu gelten hat. Die Kriminalpsychologie nimmt Ende des 19. Jahrhunderts ihren Anfang und so kämpfen verschiedene Protagonisten um ihren Geltungsbereich. Daneben stoisch der Angeklagte, der jetzt lediglich eine Nebenrolle spielt, denn die diversen ruhmreichen und weniger großartigen Auftritte gehören nun den Experten und auch die Presse ist mit von der Partie. Inspiriert wurde der Autor in dieser Konstruktion nach eigenen Aussagen von Michel Foucaults Materialband „Der Fall Riviére”, der in einem nicht unähnlichen Mordprozess das Verhältnis von Psychiatrie und Justiz untersucht.

Der Autor Graeme Macrae Burnet wechselt in seinem Buch geschickt zwischen Fiktionalem und historisch Verbürgten, läßt uns Leser tief eintauchen in eine Welt des sozialen Elends (auch heute so vielerorts bittere Realität), führt uns in die Geschichte der Kriminalpsychologie ein und läßt seine Leser mit so manchen offenen Fragen zurück. Ein großartiges, spannendes und berührendes Stück Kriminalliteratur.

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