Wolfgang Schorlau: Die schützende Hand

Kiepenheuer & Witsch, 2015, 384 S., ISBN: 978-3-462-04666-3, auch als eBook erhältlich.

Wir hören sie laufend: Schreckensmeldungen, Skandale, Katastrophen …. Und wir können und wollen kaum noch darauf reagieren. Es reicht für ein paar Diskussionen im Bus, am Arbeitsplatz oder am Stammtisch. In die Tiefe gegangen, nach dem Gründen für irgendeinen Missstand gesucht wird kaum, denn die nächste Sensationsmeldung ist schon im Anmarsch und die Tatsachen werden nach dem ersten Bohei aus den Augen verloren, sollten sie selbiges überhaupt erreicht haben. Die Halbwertszeiten für Skandale werden immer kürzer und richten sich nach ihren medialen Verwertbarkeiten, nicht nach ihren Folgen und Ausmaßen. Die Tatsachen selbst und die Schlussfolgerungen, die aus diesen gezogen werden müssten, interessieren kaum. Allenfalls eine Zweiminuten-Nachricht in der Tagesschau: Zschäpe will aussagen, sagt dann nichts, Frisur, Mimik, allgemeine Empörung, fertig. Der Nächste bitte.

Wer sich die Mühe machen möchte, den Wahnsinn der NSU-Morde und deren Hintergründe zu begreifen, wird nützliche Literatur finden können. Wolfgang Schorlau macht im achten Fall des Privatdetektivs und ehemaligen BKA-Beamten Georg Dengler den Versuch, den Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die bekanntlich zusammen mit Beate Zschäpe den mutmaßlichen Kern des NSU bildeten, aufzuarbeiten. Tatsächlich hält er sich eng an die Faktenlage, lediglich gewisse Leerstellen werden mit künstlerischer Freiheit zu Erzählung und Mutmaßung. Diejenigen, die es nicht gut mit dieser Art von Literatur meinen, diskreditieren diese Freiheit als verschwörungstheoretischen Unfug. Tatsächlich gibt es Stellen in diesem Roman, an denen nicht ganz klar wird, ob das Erzählte belegt oder erfunden ist. Das ist aber die Ausnahme, denn es gibt im Buch zahlreiche Anmerkungen, die das Erzählte als Tatsache ausweisen. Den Vorwurf, dass hier linke Gutmensch-Literatur gegen den vermeintlich bösen Staat geschaffen wurde, widerlegen in diesem Fall allein die zahlreichen und belegten Fakten. Nein, dieser Wahnsinn ist bundesrepublikanische Wirklichkeit im Hier und Jetzt und nicht die Spinnerei eines linken Literaten.

Zum Inhalt: Wieder einmal ist der Privatdetektiv Georg Dengler pleite, als er ein Päckchen mit darin enthaltenen fünfzehntausend Euro und einem Prepaidhandy von einer unbekannten Person zugeschickt bekommt. Sein Auftrag: „Finden Sie heraus, wer Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschoss.”. (Erst recht spät in der Erzählung wird klar, wer der Auftraggeber ist). Widerwillig und nach einigem Zögern nimmt Dengler den Auftrag an, er kann diese Finanzspritze kaum ablehnen. Je mehr sich Dengler in den Fall einarbeitet, desto klarer wird, dass die offizielle Version eines Selbstmordes der beiden Mörder Unsinn ist. Der Leser und die Leserin begleiten nun Dengler beim Aufsuchen der mannigfaltigen Widersprüche und werden Zeugen unbeschreiblich schlampiger Ermittlungen der Polizeibehörden. Und es gibt hier noch eine andere Macht, die eventuell ihre Finger im Spiel (oder wenn man so will: am Abzug) hat. Wer eh schon immer wusste, dass die da oben ja sowieso machen, was sie wollen, den mag dieser Roman kalt lassen. Allen anderen werden sich die Haare sträuben und es wird ihnen kalte Wut hochsteigen: Man bekommt mehr als eine Ahnung, dass in unserer Demokratie Entscheidendes nicht stimmen kann, wenn der Verfassungsschutz auf solche Art die Verfassung schützt, die Politik dieses deckt und die Bevölkerung über das ganze Ausmaß im Unklaren gelassen wird. Da konzentriert man sich lieber wöchentlich auf die eiskalte NSU-Zschäpe. So ist die Wahrheit bequemer zu ertragen und man kann weiter machen wie bisher.

„Die schützende Hand” lebt von der Spannung, der Wirklichkeitsnähe und der Aktualität der Vorkommnisse. Allerdings hat das auch seinen Preis. Von den acht Kriminalroman um den ehemaligen BKA-Beamten habe ich etwa die Hälfte gelesen. Richtig warm geworden bin ich mit der Hauptfigur nie (und das, obwohl Dengler ein Bluesliebhaber ist). Zu holzschnittartig die Charakterzeichnungen, unglaubwürdig die Darstellungen des privaten Umfelds, unbeholfen manche Dialoge. Nein, große Literatur werden die Romane dieser Reihe nicht mehr, auf diesem Gebiet zeigt eine Dominique Manotti mehr Klasse. Das nimmt aber nichts von der Brisanz und Wichtigkeit dieses Romans, der zu Recht auf den Bestsellerlisten weit oben zu finden ist. Empfehlung, unbedingt lesen!

PS.: Empfohlen sei hier noch die Material-Seite zum Roman auf www.schorlau.de.

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