Hans Fallada: Jeder stirbt für sich allein

JEDER STIRBT FÜR SICH ALLEIN
Aufbau-Verlag, 704 Seiten, ISBN 978-3-7466-2811-0

Die Handlung des Romans ist rasch erzählt: Der Sohn des stillen, unnahbaren Arbeiters Otto Quangel und dessen Frau Anna stirbt 1940 im Krieg. Erschüttert und voll ohnmächtigen Zorns beschließen sie, Widerstand gegen das unmenschliche System zu leisten. Sie schreiben Postkarten mit eindeutigen, einfachen Botschaften, die das Nazi-Regime als verbrecherisch entlarven sollen, und verteilen diese in Berlin. Sie werden gefaßt und 1943 hingerichtet. Soweit stimmen die Begebenheiten mit den tatsächlichen Geschehnissen in Berlin der 1940er Jahren überein. Das Ehepaar hieß in Wirklichkeit Hampel, im Buch sind Gestapo-Fotos von ihnen zu sehen. Dann aber fügt Fallada den historischen Fakten Figuren und Begebenheiten hinzu und malt so ein Sittenbild der einfachen Leute im Dritten Reich: ungeschönt, rauh und sehr nah. Hier liegt die ungeheure Stärke dieser großen und letzten Erzählung von Hans Fallada (Wer einmal aus dem Blechnapf frißt, Kleiner Mann – was nun?, Der Trinker, Wolf unter Wölfen), und, ein wenig, auch seine Schwäche.

Äußerst interessant auch die Entstehungsgeschichte des Romans: Johannes R. Becher, Dichter und späterer Kulturminister der DDR, überreichte Fallada direkt nach Kriegsende eine Gestapo Akte des Falls der Eheleute Hampel. Hans Fallada wollte den Stoff erst nicht annehmen. Er hielt sich für nicht würdig, war er während der Nazi Zeit doch eher Mitläufer als Widerständler. Schließlich schrieb er den Roman 1946 in kürzester Zeit und wie im Rausch nieder. Es war für ihn wie eine Wiedergutmachung in Anbetracht seiner mangelnden Courage während der Nazizeit. Der Roman erschien gekürzt (die nicht 100% Gesinnungen der Figuren, das Widersprüchliche in ihren Charakteren konnte nicht gefallen) 1947. 2002 gab es eine Neuübersetzung in Frankreich, die den Roman erstmals vollständig, ohne Kürzungen und Glättungen, präsentierte. Ein kleiner amerikanischer Verlag wurde darauf aufmerksam und es kam zu der vollständigen englischen Übersetzung. Every Man Dies Alone wurde ein Bestseller (man lese nur die vielen Kommentare im amerikanischen Amazon). Endlich auch hierzulande: der ganze Roman beim Aufbau Verlag, ungekürzt und ohne Glättungen (eine Wohltat, daß die Sprache nicht modernisiert wurde).

Ich bin ungeheuer beeindruckt von diesem Buch, es hat mich ganz und gar gefangen genommen. Man merkt es dem Text an: er ist direkt aus dieser Zeit heraus geschrieben, ganz und gar ungekünstelt, an vielen Stellen extrem berührend. Man bekommt eine Ahnung, wie es unseren Eltern, Großeltern, Urgroßeltern zumute war, wenn sie nicht Grafen oder Großindustrielle darstellten. Und es stört auch nicht, daß, obgleich das reale Ehepaar Hampel unter dem Druck der Gestapo Verhöre sich in den einsam geschriebenen Gnadengesuchen gegenseitig beschuldigte, Fallada dieses für NS Propaganda hielt und seine Quangels standhaft bleiben läßt. Nein, was mich wirklich stört, ist die Unwahrscheinlichkeit und Rührseligkeit des letzten Kapitels (ich weiß, daß mir hier viele Leser empört widersprechen werden). Hans Fallada wollte dem Ehepaar und einigen anderen Figuren des Romans noch einmal ein Denkmal setzen. Das ist aber vollkommen überflüssig, der Roman hätte vor dem Schlußkapitel enden können und sollen. Mein Urteil ändert oder mindert das aber nicht: diesen ist eines der Bücher, die man unbedingt lesen muß.

6 Kommentare on "Hans Fallada: Jeder stirbt für sich allein"


  1. Genau, liebe Lena. Dieses Buch sollte jeder/jede gelesen haben.Eine Antiquar-Ausgabe aus den 60er Jahren steht seit meiner Jugendzeit in meinem Bücherregal. Ich erinnere mich, dass es mich, als ich es zum ersten Male las, ungeheuer beeindruckt hat und es michTag und Nacht beschäftigte. Ich erkannte, dass jeder Mensch, wenn auch vielleicht nur im Kleinen und auch nur im Rahmen seiner Möglichkeiten, etwas tun kann, um Widerstand zu leisten. Und das der Weg der Masse nicht unbedingt der Richtige sein muss.
    LG von Rosie

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    1. Nein, man muß kein Held sein, und kein Mensch ohne Widersprüche … das ist so. Ein wichtiges Buch, ohne Zweifel … interessant auch, wie positiv dieses Buch im Ausland besprochen wird.
      Ganz liebs Grüßle,
      Lena

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  2. Komisch, dass von Fallada immer nur DIESES Buch übrig geblieben ist im Andenken an den vorletzten deutschen Literaten mit Weltgeltung. Der letzte war dann Grass.
    „Wolf unter Wölfen“ , „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“ – Romane über die Zustände der Weimarer Republik von unten – finden kaum noch irgendwo Erwähnung. Zu Unrecht.

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    1. Sehe ich nicht ganz so. Also das mit dem Nicht-Erwähnung-finden. Fallada ist schon präsent, allerdings für Leute, die sich für Literatur und vielleicht auch noch für jüngere deutsche Geschichte interessieren. Ob er Weltgeltung hat? Ich bin da nicht so sicher. Außer es kommt zu so einem Hype, aus manchen Gründen, wie bei diesem Buch.
      Nebenbei: Grass konnte ich noch nie etwas abgewinnen.
      Ein weites Feld halt …

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      1. Immerhin ist Fallada noch im Nichtleseland Öhmerikke aufgefallen. Vermutlich nur einem Nischenpublikum. Das eint ihn dann mit Anna Seghers und ihrem „7ten Kreuz“. Ein Sympath war Grass sicher nie. Ich bezieh mich auch lediglich seine „Blechtrommel“, die nun mal großartig ist; und aus eher privaten Gründen auf „Vom Häuten der Zwiebel“. Der Rest, nun ja, bin mal am „Butt“ gescheitert. Zu langweilig. Hätte schon auch eher dem Böll das Buhei gegönnt.

        „Das weite Feld“ ist ein unlesbarer Schnellschuss gewesen. Zu der Zeit wanderte er ja bekanntlich – mal kurz – nach Kalkutta aus.

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