Maria Lazar: Leben verboten!

DVB Verlag 2020, 380 S., ISBN: 3903244031

Maria Lazar wurde 1895 in Wien in eine großbürgerliche, jüdische Familie, die früh zum Katholizismus konvertiert war, hineingeboren. Schon 1920 veröffentlichte Maria Lazar ihren ersten Roman »Die Vergiftung«, eine Abrechnung mit der bürgerlichen Gesellschaft. Es folgten Bühnenstücke und der bis dato nur in einer gekürzten englischen Exil-Ausgabe existierende Roman »Leben verboten!« und schließlich 1937 »Die Eingeborenen von Maria Blut«. Diese drei Romane sind lediglich ein Ausschnitt des Schaffens der Autorin und wurden in den letzten Jahren im österreichischen DVB-Verlag neu aufgelegt. DVB bedeutet »Das vergessene Buch« und passender könnte für Maria Lazar, die aufgrund einer unheilbaren Erkrankung 1948 in Stockholm sich das Leben nahm, dieses Motto nicht sein. Heuer veröffentlichte der Verlag mit seinem Verleger Albert C. Eibl »Leben verboten!« – das erste Mal in seiner Originalfassung von 1932.

Die ersten Dinge, die mir auffielen, als ich das Buch in den Händen hielt, waren der wunderbare dunkelrote Schutzumschlag mit dem Schattenriss eines gehenden und dabei rauchenden Mannes (im Roman werden die Zigaretten dann eher unangezündet im Mundwinkel hängen) und die fette Schriftart, die der Verlag für den Text verwandt hat. Letztere gab mir anfangs zu denken: War hier vielleicht ein wenig zu viel des Guten getan? Die Lesepraxis zerstreute allerdings alle Bedenken: Das Lesen in diesem Buch ist auch für müde Augen eine Wohltat. Insgesamt ist diese Ausgabe ästhetisch sehr gelungen. Leser und Leserinnen meines Blogs wissen, dass ich nichts gegen E-Books habe – in diesem Falle aber sage ich: Kauft das Buch.

Von den 380 Seiten dieser Ausgabe sind 323 für den Roman reserviert, der Rest für das umfassende Nachwort des Herausgebers Johann Sonnleitner. Beginne ich also mit Roman: Der Held der Geschichte heißt Ernst von Ufermann. Er lebt in Berlin und ist Bankier. Die Wirtschaftskrise hat seine traditionsreiche Bank 1931 arg in die Bredouille gebracht. Ein Flug nach Frankfurt am Main steht an, ein letzter Versuch, die Bank doch noch zu retten. Doch in Tempelhof werden ihm Brieftasche und Pass gestohlen. Fatal, doch andererseits erspart dieses Malheur Ufermann die unangenehmen und wenig aussichtsreichen Verhandlungen in Frankfurt. Wenig später erfährt er, dass sein Flug in eine Katastrophe mündete: alle Passagiere nach einem Absturz verbrannt, offiziell auch er. Wenn er nun untertauchen würde, kassierte seine Witwe eine Millionen Dollar Versicherungssumme und die Bank wäre gerettet. Von nun an heißt es also: Leben verboten! Er nimmt die Identität eines Herrn Edwin von Schmitz an und er wird als Bote eines ominösen Päckchens nach Wien geschickt. Und nun geht es erst richtig los: das Leben als Kolportage. Wir tauchen ein in das Wien der frühen 1930er, mitten in die fatale Wirtschaftskrise also: Depression, Verbrechen, rechtsradikale Gruppe, durch den 1. Weltkrieg und der Krise entwurzelte Menschen, Antisemitismus. Schmitz wird immer mehr zum Getriebenen: Schicksal ist das, was andere über einen verhängen. Erst spät versucht er, sich zu retten.

Maria Lazar erzählt in Bewusstseinsströmen. Direkte Reden werden nicht mit Anführungszeichen versehen, sondern ihnen wird ein Gedankenstrich vorangestellt. Ohne weitere orthographische Kennzeichnung führt diese dann in den jeweiligen Bewusstseinsstrom der handelnden Person. Es sind also kein klassisches Auserzählen, sondern eine Ansammlung von Stimmen, die den Roman prägen. Von uns Lesern und Leserinnen verlangt das einige Aufmerksamkeit, aber dieser besondere Stil hält die gut 300 Seiten, schafft Nähe zu den Protagonisten und lässt uns ihre individuellen Bedrängnisse spüren. Die Handlung selbst ist außerordentlich spannend und wir wollen wissen, wie das Ganze nun ausgehen wird. Nicht alles, was an Sensationen die Autorin anbietet, wirkt auf den ersten Blick sehr wahrscheinlich, aber in einem sehr ausführlichen Nachwort werden wir eines Besseren belehrt: Kolportage ist Wirklichkeit.

Johann Sonnleitner ist Professor für Neuere Deutsche Literatur in Wien. Er ist Experte für die Literatur der österreichischen Zwischenkriegszeit. Mit einigem Dampf empört er sich über die komplette Nichtbeachtung der Autorin Maria Lazar im literarischen Betrieb. Eine Empörung, die man, kennt man nur dieses eine Buch, nachvollziehen muss. Sonnleitner gibt einen guten Überblick über das Leben der Lazar, ihre Emigration, die Versuche, ihre Romane zu veröffentlichen. Wir lernen, dass sie zusammen mit Bertolt Brecht und Helene Weigel bei der Schriftstellerin Karin Michaëlis auf Thurø wohnte und sich nicht scheute, dem von sich überzeugten Brecht Contra zu bieten. Maria Lazar war eine selbstbewusste Frau. Und wir lernen unter anderem auch, dass die scheinbar so übertrieben kolportagehaft dargestellten Verbrechen in dieser seltsam entwurzelten und auf die nächste Katastrophe hinrasenden Gesellschaft tatsächlich stattgefunden haben. Maria Lazar hat Wirklichkeit erzählt. So verführte mich das Nachwort von Professor Sonnleitner fast dazu, den Roman gleich noch einmal zu lesen. 

»Leben verboten!« von Maria Lazar ist ein außerordentliches Buch. Es ist spannend, visionär und in seinem besonderen Stil durchaus anspruchsvoll. Ich empfehle dieses Buch mit Nachdruck.

2 Kommentare on "Maria Lazar: Leben verboten!"


  1. Liebe Lena, wenn DU etwas mit Nachdruck erwähnst, muss ich es mir auf jeden Fall auf meine Bücherwunschliste schreiben.
    Danke für den Tipp!
    Sonnige Grüße von Rosie

    Antworten

    1. Gerne liebe Rosie,
      durchaus ein wenig anspruchsvoll, sehr spannend UND: Herr von Ufermann hat den Blues. Und damit kennst Dich ja aus. 🙂
      Sehr sonnige Grüße aus Regensburg,
      Lena

      Antworten

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