Sibylle Berg: Wunderbare Jahre – Als wir noch die Welt bereisten. Mit Illustrationen von Isabel Kreitz

Hanser Verlag, 2016, 192 Seiten, ISBN 978-3-446-25359-9, auch als E-Book erhältlich.

Wenn man den verstocktesten Optimisten durch die Krankenhospitäler, Lazarette und chirurgischen Marterkammern, durch die Gefängnisse, Folterkammern und Sklavenställe, über Schlachtfelder und Gerichtsstätten führen, dann alle die finstern Behausungen des Elends, wo es  sich vor den Blicken kalter Neugierde verkriecht, ihm öffnen und zum Schluß ihn in den Hungerturm des Ugolino blicken lassen wollte, so würde sicherlich auch er zuletzt einsehn, welcher Art … (diese beste aller Welten) ist. Woher denn anders hat Dante den Stoff zu seiner Hölle genommen als aus dieser unserer wirklichen Welt.

Arthur Schopenhauer schrieb diese Sätze Anfang des 19. Jahrhunderts und hat gut gesprochen. Heute geht das kürzer:

Die Welt ist voller Scheiße.

So formuliert es Sibylle Berg in ihrer neusten Veröffentlichung „Wunderbare Jahre. Als wir noch die Welt bereisten”. Auf 192 Seiten wird von Bemerkenswertem aus neunzehn Reisen in die weite und nahe Welt zwischen 1994 und 2014 berichtet. Staunend über das Gebaren der Menschen, konsterniert über die Verhältnisse in denen sie leben. Die Orte: Kosovo, Thailand, Bayreuth, das Wallis, London, das Meer, das Mergui Archipel, Italien, Südafrika, Wien, Israel, Los Angeles, Bangladesh, Weimar, Cannes, Seattle und Hongkong, Indien und Brasilien. Der Stil wie immer knapp, überlegen, ohne Gefühlsduselei und mit feiner Ironie. Es ist so, als werfe man einen ersten Blick auf sehr Merkwürdiges. So stelle ich mir, die ich das Reisen meide, idealen Tourismus vor. Sibylle Berg schaut nicht auf das Große und Ganze, sondern auf den Menschen in dieser Welt voller Irrsinn, der vielleicht hier und da ein kleines bißchen Glück findet. Hinter den einzelnen Reportagen wird eine Art Anhang zum Thema des jeweiligen Textes geliefert: Das Leben, das Unglück geht ja auch nach dem Besuch weiter. Nicht zu vergessen die Illustrationen von Isabel Kreitz. Sie passen perfekt zu den Texten und erzählen sie auf ihre Weise weiter.

Ausschnitt aus E-Book-Reader.
Ausschnitt aus E-Book-Reader.

Nein, das Buch macht keineswegs depressiv. Es schärft die Sinne. Und so wäre mein Tipp: Zwei oder drei Wochen auf die Tagesthemen(-Verdummung) verzichten und täglich eine dieser Reportagen lesen. Man erfährt garantiert mehr aus dieser besten aller Welten.

Am Schluß dieses großartigen Buches wendet sich Frau Berg noch einmal direkt an ihre Leser und Leserinnen:

Ich wünsche Ihnen ein schönes Leben!

Spätesten jetzt bin ich ein wenig beunruhigt. Schadet nichts.

5 Kommentare on "Sibylle Berg: Wunderbare Jahre – Als wir noch die Welt bereisten. Mit Illustrationen von Isabel Kreitz"


  1. Liebe Lena, jetzt habe ich schon zum zweiten Mal sehr interessiert deine Rezi gelesen. Und jetzt bin ich richtig neugierig auf dieses Buch.
    Danke für den Tipp!
    Frostige Grüße aus dem Bergischen Land!

    Antworten

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