Wilhelm Raabe: Werke in Einzelausgaben (Hrsg. Hans-Jürgen Schrader) – Band 1: Stuttgarter Erzählungen

Insel Taschenbuch 1985, 343 S., ISBN 3-458-32581-6, einzelne der 10 Bände sind antiquarisch zu erwerben. Die vorgestellten Texte sind als Einzelausgaben, in Sammlungen oder als eBooks leicht zu finden, mehr dazu am Ende dieses Textes.

Ich habe Wilhelm Raabe schon immer gemocht. Seinen etwas verschrobenen, zum entschleunigten Lesen zwingenden Stil, seinen Realismus und das Gespür für die einfachen Leute seiner Zeit. Will man etwas über »the normal ones« der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland erfahren, so greife man mutig zu diesen Erzählungen und Romanen. Zugegeben, Raabe zu lesen ist nicht ganz leicht, aber die Schwierigkeiten sind nicht intellektueller Art, sondern betreffen die Lesegewohnheiten: Raabe ist eine Anti-Pagetuner. Auch faszinieren mich bis heute seine differenzierte Haltung zu seinen Zeitgenossen, die überraschend modernen Themen, die der Autor aufgreift (man denke nur an Pfisters Mühle) oder die breit geschilderten Idyllen mit großer Behaglichkeit (ein Raabsches Lieblingswort), die plötzlich als Trugbild demaskiert werden. Die Heimeligkeit ist selten von Dauer. Raabe, Keller, Storm, Fontane …. ich würde mich, wäre ich gezwungen, für Raabe entscheiden. 1985 gab Insel Taschenbuch zum 75. Todestags des Autors eine 10-bändige Auswahl heraus. Als ich zur Jahreswende die Gelegenheit hatte, eine noch verschweißte Kassette mit diesen Bänden zu kaufen, konnte ich nicht widerstehen. Meine alten, arg lädierten und zusammengekauften 10 Bände wurde verschenkt und die funkelnagelneue, inzwischen 32 Jahre alte Jubiläumsausgabe steht jetzt da wie neu. Und wird gelesen. Ich habe den Plan, jeden der 10 Bände nacheinander zu lesen und im Blog vorzustellen.

Wilhelm Raabe hatte zwei große Publikumserfolge: Zum einen »Die Chronik der Sperlingsgasse«, ein Frühwerk, das während seiner Berliner Studienzeit entstand und 1856 unter seinem anfänglich gebrauchten Pseudonym Jakob Corvinus erschienen ist. Und acht Jahre später »Der Hungerpastor« (1863/64), von dem hier noch zu reden sein wird. Etwa zu dieser Zeit begann der Autor allmählich seinen Stil entscheidend zu ändern: Raabes wechselte von der vom Publikum gewünschten und seiner Zeit gefragten sentimentalen Romantik zu einem sperrigen, dem raschen Lesen sich widersetzenden Stil. Raabe selbst nannte seinen frühen Veröffentlichungen »Jugendquark«. Danach habe er für »Liebhaber« geschrieben.

Den Beginn seiner Schreibtätigkeit am 15.11.1854 nannte Raabe seinen »Federansetzungstag«. Mit dem abgebrochenen Roman »Altershausen« endete 1902 sein Schreiben. Hier also die 10 Titel der Jubiläumsausgabe, zwei Erzählbände und acht Romane, die Arno Schmidt mit folgenden Worten adelte:
»(: War kein übler Einfall, vom RAABE so’n halbes Dutzend der kurz=&=gutn 200=Seiter …«

Stuttgarter Erzählungen (1862-1866)
Krähenfelder Geschichten (1874-1876)
Horacker (1876)
Pfisters Mühle (1884)
Im alten Eisen (1887)
Das Odfeld (1888)
Stopfkuchen (1891)
Die Akten des Vogelsangs (1896)
Hastenbeck (1898)
Altershausen (abgebrochen 1902)

Außerdem besprochen in diesem Blog:
Der Schüdderump (1869)

Beginnen wir also mit den Stuttgarter Erzählungen:
Der erste Band hat 341 Seiten, beginnt mit einer autobiographischen Notiz des Autors und lässt sechs Erzählungen und Novellen folgen. Es werden in der Insel-Ausgabe sehr nützliche Anmerkungen zu den einzelnen Erzählungen angeboten und das Umschlagbild ziert eine Federzeichnung des Autors. Ja, auch das konnte er.

Das letzte Recht

Die Feder angesetzt für diese Novelle hat Wilhelm Raabe noch in seiner Wolfenbüttler Frühphase. Als 1862 »Das letzte Recht« veröffentlicht wurde, lebte er schon in Stuttgart. Dort entstanden neben Erzählungen auch sein drei umfänglichsten Romane, die sogenannte Stuttgarter Trilogie: »Der Hungerpastor«, »Abu Telfan« und »Der Schüdderump«. Lange Zeit wurde diese drei Romane als das Zentrum des Schaffens von Wilhelm Raabe beurteilt, heute wird das anders gesehen, was auch gut und richtig ist. Aber zurück zu der Novelle: Der Schauplatz liegt im Südwesten Deutschlands und es geht um die kleine Stadt Rothenburg im Tal, »die freie Reichsstadt und die sehr unfreien Menschen in ihr«. Und wir sind im Jahre 1704, es handelt sich also um eine historische Novelle. Hoch um Rothenburg gelegen gibt es drei Schauplätze: die Silberburg, der Wartturm Luginsland und die Scharfrichterei. Bewohner sind der reiche, alte  Witwer Heyliger mit Tochter Laurentia, der verarmte und ebenfalls alte und verwitwete Kindler mit seinem Sohn Georg, der verwundet aus dem Franzosenkrieg heimkehrt, und der neue Scharfrichter Scheffer. Nun stellt sich heraus, dass der Reichtum von Heyliger direkt etwas mit der Armut vom Kindler zu tun hat, sich Georg und der Henker Scheffer aus dem Krieg kennen und Georg und Laurentia trotz der familiären Streitigkeiten ein Liebespaar sind. Soweit also Romeo und Julia. Und tatsächlich wirken die Dialoge ein wenig wie aus einem Bühnenstück und in der Tat beendet Raabe die Novelle nach 54 Seiten mit der schon bei Shakespeares Stücken bekannten Theateranweisung »Exeunt omnes«, alle von der Bühne. Ein bisschen rührselig-sentimental und märchenhaft kommt mir die Novelle schon vor, die Figuren sind bisweilen recht skizzenhaft gezeichnet (vor allem Laurentia) und trotzdem macht die Erzählung Spaß: Großartig wie Raabe den neuen Henker in das Städtchen einführt und die unheilvolle Stimmung in die Landschaft gebracht wird. Und der neue Scharfrichter pocht auf alte Rechte. Aber wer hat nun das letzte Recht? Bitte selbst lesen.

Holunderblüte

Erste Voraberklärung: Mit Holunder ist in Norddeutschland der Flieder gemeint.
Zweite Voraberklärung: Der Zusammenhang von »Der Hungerpastor« und »Holunderblüte« muss dargelegt werden: Der Hungerpastor wurde 1863 als Fortsetzungsroman erstveröffentlicht. Es gibt im Roman zwar keine direkte Judenhetze, aber Raabe greift gesellschaftliche Klischees auf und lässt den jüdischen Helden Moses Freudenstein beim Gut-gegen-Böse-Spiel den gehässigen Part übernehmen. Davon abgesehen ist dieser Roman einfach nicht gut (ich habe ihn gelesen, es war qualvoll). Wilhelm Raabe hat so einen Roman nie wieder geschrieben und nannte den Hungerpastor selbst einen Jugendquark. Viele Jahre später stellte er in einem Brief an eine Leserin klar: »Auch aus Höxter und Corvey können Sie wohl entnehmen, daß ich nicht zu den Antisemiten zu zählen bin… Juden haben in meinem Leben immer mit zu meinen besten Freunden und verständnisvollsten Lesern gehört, und daran hat sich bis heute nichts geändert.« Lassen wir es dabei bewenden. Doch noch eins: Dass grad dieser unsägliche Hungerpastor zu einen der beiden Lieblings Raabe Büchern der Deutschen wurde, möchte man nicht weiter kommentieren. »Holunderblüte« nun entstand, während Raabe am Hungerpastor arbeitete. Ein bewusst gewählter literarischer Gegenpol zum Hungerpastor. »Holunderblüte« wurde 1863 veröffentlicht und umfasst in meiner Insel-Ausgabe 36 Seiten.

1860 erinnert sich ein greiser Arzt im Sterbehaus seiner ehemaligen Patientin an ein für ihn einschneidendes Erlebnis seiner Studentenzeit. In Prag, wo er studiert hatte, lernte er die junge Jüdin Jemima kennen, die ihn in die Geheimnisse des dortigen jüdischen Friedhofes einführte. Als Jemima vor dem Grab der verstorbenen Tänzerin Mahalath ausrief »Das bin ich« war der verliebte Medizinstudent empört. Jemima aber bestand darauf, denn auch sie leide an einem kranken Herz und werde deshalb bald sterben. Mehr soll hier von der Handlung nicht preisgegeben werden.

Schon in der Rahmenhandlung gibt der Erzähler an, um was es hier gehen könnte: »Das sind schlechte Doktoren, die da glauben, daß ihre Aufgabe gelöst sei, wenn sie in ihrer Krankenliste ein Kreuz oder irgendein anderes Zeichen hinter dem Namen eines Patienten gemacht haben.« Das klingt erstaunlich modern und ist doch nur ein Aspekt dieser kurzen, so intensiven, dichten und atmosphärischen Erzählung. Fast wie ein Bericht (der Form nach ist diese Geschichte das) abgefasst und doch voller Poesie und Symbolik. Schuld, Toleranz und Befreiung aus qualvoller Enge: Man liest diese zu Herzen gehende Erzählung ein zweites, ein drittes Mal und entdeckt immer noch Neues. Was ein wunderbares Juwel »Holunderblüte« ist.

Die Hämelschen Kinder

Diese historische Erzählung von 1862, die die Legende um den Rattenfänger von Hameln auf ein geschichtliches Datum, nämlich die Schlacht bei Sedemünder 1260 zurückführen möchte, umfasst 36 Buchseiten. Der Rattenfänger ist hier ein wendischer (Wende ist ein mancherorts noch heute verwendete Begriff für Slawe) Pfeifer, der für seine ungerechte Behandlung Rache übt. Durchaus schafft Raabe hier ein reizvolles Panorama des mittelalterlichen Lebens. Allerdings fesselt mich diese Geschichte nicht über die Maßen, wenn mir auch die erzählerischen Kniffe, mittels derer der Autor historische Dokumente einfließen lässt, gefallen. Die im 18. Jahrhundert entstandene Hypothese über den geschichtlichen Hintergrund des Rattenfänger-Mythos, auf die sich Raabe hier beruht, wurde übrigens widerlegt.

Die Gänse von Bützow – Eine obotritische Historia

So geht das los: »Möge ein anderer den Zorn des göttlichen Helden Achilleus oder die Irrfahrten des klugen Dulders Odysseus, ein anderer die Leiden und Freuden des tapferen Aeneas, des alten oder neuen Amadis, die Leiden des jungen Werthers oder der sündigen Menschen Erlösung singen; ich, J. W. Eyring, in wohlverdienter Ruhe nach langen, kläglichen, staubigen, ärgerlichen Jahren des Schuldienstes, singe im hohen, höhern und höchsten Ton mich selbst und die große Revolution zu Bützow, wie sie mit Gemurmel begann, mit Pauken und Posaunen ihren Fortgang nahm und glücklich zu Ende geführt wurde.«

Wir sind im Jahre 1794 in der mecklenburgischen Stadt Bützow. In Paris wütet die Revolution, aber auch in Bützow kommt es zu erheblichen Unruhen, als der ansässige Magistrat beschließt, die üblicherweise durch die Gassen der Stadt watschelnden Gänse dieser Freiheit zu berauben. Das Federvieh wird kaserniert und schon gibt es kein Halten mehr. Es kommt zum Aufruhr. Der Rektor im Ruhestand J. W. Eyring ist Chronist der Ereignisse. Und Raabe selbst setzt hier noch einen drauf: Nicht nur die Erzählung ist historisch, sondern auch die Sprache selbst wird historisiert. Das macht diesen knapp 90 seitigen Text eben nicht zu einem Pageturner. Mehr denn je gilt hier, dass Leser und Leserinnen angehalten sind, die Sprache anzunehmen, das Tempo zu drosseln, den Text zu ergründen. Macht man sich die Mühe, so wird man mit einer hinreißenden Satire belohnt, die in Teilen extrem witzig ist. Ich habe bei der Lektüre immer wieder an den guten, alten Jean Paul denken müssen und hatte einen Heidenspaß. Ein Highlight. (Sollte jemand sich beschweren, dass ich in diesen wenigen Zeilen schon ein zweites Mal einen Anglizismus verwendet habe, lese diesen Text und schweige demütig).

Gedelöcke

Während der Lektüre dieser Novelle von 45 Seiten ist mir mehrfach das Lachen im Halse stecken geblieben. Eine bitterböse Satire auf Orthotoxie und Bigotterie. Der Kopenhagener Kurator Jens Pedersen Gedelöcke stirbt 1731. Er hatte sich zu Lebzeiten für das Judentum interessiert und sich diesem gar angenähert. Das macht Familie, soziales Umfeld und den lutherischen Klerus fassungslos und argwöhnisch. Vorausahnend, dass ein von ihm gewünschtes christliches Begräbnis verweigert werden könnte, hat er einen letzten Willen formuliert, den sein Diener Bleichfeld nach Gedelöckes Tod dem Jugendfreund und Haudegen von Knorpp überbringt. Klammheimlich wird der Leichnam von seinen Freunden auf dem Garnisonsfriedhof begraben. Kein schlechter Clou, aber das ist erst der Anfang. Weitere Umbettungen werden folgen.

Raabe wählte für diese Satire einen Stoff, dem eine wahre Begebenheit zu Grunde liegt. Das reale Auffinden dieses Themas wurde in die Rahmenhandlung einbezogen. Die Erzählung zeigt scharf die seelenlose Selbstgerechtigkeit und Macht des herrschenden Klerus. Und Raabe meint jedweden Klerus. Es ist viel Komik in dieser Erzählung, aber auch harte Anklage. Großartig!

Im Siegeskranze

Eine vierzig Seite lange Erzählung in der es um Flucht und Vertreibung (Hugenotten), um Kriegswirren und -leiden (Befreiungskriege, 1813) und dem Hauptthema, dem Umgang mit psychisch erkrankten Menschen, geht. Man sieht, es wird auf wenigen Seiten eine Menge geboten. Wie so oft bei Raabe wird die eigentliche Erzählung eingerahmt: Die Großmutter erzählt ihrer Enkelin eine über 50 Jahre zurückliegende Episode ihres Lebens. Ihre ältere Stiefschwester Ludowike verliert auf tragische Weise ihren Bräutigam und wird als Folge des Schocks irrsinnig. Die Großmutter wird nun als junges Mädchen für die Pflege der Schwester abgestellt. Und noch eine thematische Ebene wird hinzugefügt: Was macht der sehr enge Umgang mit einem solch erkrankten Menschen mit den Angehörigen, zumal in so jungen Jahren? Erstaunlich fein, wie Raabe das Leiden der Protagonisten bei gleichzeitiger, fast schon brutaler Gleichgültigkeit des sozialen Umfelds. Einer dieser Kniffe des Autors: Zurückgehen in die Vergangenheit, um Probleme der Gegenwart darzustellen. Nichts von dem, was Raabe hier anspricht, hat seine Gültigkeit verloren. Der Text ist außergewöhnlich gradlinig erzählt, vielleicht ist deshalb diese zu Herzen gehende Geschichte ein idealer Einstieg für Interessierte.

Fazit und Ausblick

Eher skizzenhaft, ein paar wenige Eindrücke vermittelnd habe ich nun die sechs Erzählungen, die eine Auswahl aus Raabes Stuttgarter Schaffenszeit darstellen, vorgestellt. Ein paar wirkliche Perlen waren zu entdecken und das Beste kommt ja noch. Ich freue mich auf die drei Erzählungen aus den Krähenfelder Geschichten und spätestens mit den folgenden Romanen werde ich auch näher auf die Entstehungsgeschichte der Texte eingehen. Bis jetzt habe ich mein Vorhaben, dieses Jahr geballt und konzentriert Wilhelm Raabe zu lesen, nicht bereut, im Gegenteil: Ich habe Feuer gefangen und die Faszination für diesen Autor ist ungebrochen.

Wo und wie Raabe lesen?

Bücher: Ob bei Reclam oder antiquarisch, es gibt kaum Schwierigkeiten, Raabes Bücher zu erwerben.

eBooks: Auch hier gibt es viele Möglichkeiten, an die Texte von Raabe zu kommen. Ich empfehle die eBooks von der Wiki-Mobileread Seite und hier speziell die Ausgabe  »Sämtliche Werke« von »brucewelch«.

PDF: Die meisten Leser vermeiden es, Bücher als PDF zu lesen. Wer sich dazu trotzdem hinreißen lassen mag, wird mit 26 Bänden der Braunschweiger Ausgabe belohnt. Ein wahrer Schatz und erste Quelle. Hier finden sich auch reichlich Information zu Text und Werk. Zum Downloaden gibt es das Ganze bei Digi20 der Bayerischen Staatsbibliothek.

10 Kommentare on "Wilhelm Raabe: Werke in Einzelausgaben (Hrsg. Hans-Jürgen Schrader) – Band 1: Stuttgarter Erzählungen"



  1. „Raabe, Keller, Storm, Fontane …. ich würde mich, wäre ich gezwungen, für Raabe entscheiden.“

    Geht mir auch so. Ich denke man sollte auch die frühe Sperlingsgasse nicht unterschätzen. Manchmal sieht der Autor schlecht, was er eigentlich geleistet hat. Die Sperlingsgasse ist ein frühes Meisterwerk der Moderne, als von dieser noch keiner sprach. Die Meisterschaft dieses kleinen Romans besteht darin, gleichzeitig in jedem Moment den Eindruck eines freundlichen, doch eher unkonzentrierten Geplauders aufrechtzuerhalten, und dennoch die einzelnen Momente zu einem geschlossenen Ganzen zu verweben. Kein monolithischer Block, eher vielleicht eine Wolke voller Erzählungen, die äußerlich klar umrissen wirkt, doch bei festem Zugreifen in den Fingern zergeht wie Luft. Wer sich fragt, wie ein Ganzes sein kann, ohne dass der Summe seiner Teile Gewalt widerfährt (Adorno zum Ziel aller Musik) findet hier eine beeindruckende Näherung. Auch wenn Raabe glaubt später reifer geworden zu sein, formal hat er sich nicht noch einmal auf dieses Niveau aufgeschwungen, das im deutschen Sprachraum dann bis ein gutes Stück ins 20. Jahrhundert unerreicht blieb.

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    1. Vielen Dank für Ihren kenntnisreichen Kommentar. Ich gebe Ihnen recht, »Die Chronik der Sperlingsgasse« ist ein wunderbarerer kleiner Roman und steh auf eigenartige Weise gesondert in Raabes Schaffen. Da diese nicht in diese 10-bändige Ausgabe aufgenommen wurde, gehört die Chronik unbedingt im Anschluß besprochen.

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        1. Danke für den Tipp. Die Rezeptionsgeschichte bezüglich Raabe war ja auch ein Auf und Ab. Wer spricht heute noch vom Abu Telfan oder dem Schüdderump, beides wundervolle Bücher und ehemals als zentral angesehen?

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  2. Ein sehr interessanter Blickwinkel, die Chronik der Sperlingsgasse für sein reifstes Werk zu halten. Ich finde das schön; alle haben frei von anderen Urteilen eigene Meinungen und Vorlieben. Also werd ich die Sperlingsgasse noch einmal lesen.

    Die meisten der wenigen Menschen, die ich kenne und die gleich mehrere Werke Raabes gelesen haben, würden die „Chronik der Sperlingsgasse“ nicht mal annähernd unter die besseren Werke zählen. Sie gaben eher Raabe, auch den Herausgebern der 1985er Werkausgabe in Einzelbänden Recht. Wobei niemand über die Chronik schimpfte, oder sie herabwürdigte. (es ging eher um Antisemitismus in anderen Werken, was ja Hans Mayer z.B. bemängelt hat. Auch das ist vielleicht nicht ganz eindeutig; meine jüdischen Vorfahren hatten den „Hungerpastor“, das Buch sah sehr zerlesen aus, und von dem, was ich weiß, hielt niemand Raabe für einen Antisemiten. Bewertungen und Zeiten ändern sich. Ich hab den Hungerpastor nicht gelesen, und die „Antisemit“ riefen, hatten ihn auch nicht gelesen; sollte man wohl tun, bevor man urteilt.)

    Für mich begann die Raabe-Welt nach „Sperlingsgasse“ mit dem meisterhaften Stopfkuchen, zu dem es in der alten Manesse-Ausgabe ein schönes Nachwort von Romano Guardini gibt. Ich glaube, in den späteren Werken hat sich Raabe in die Weltliteratur geschrieben, auch wenn er wenig gelesen wird.

    Ich hatte nach dem Stopfkuchen das Gefühl, beinahe den berühmten „Roman über nichts“ in Vollendung gelesen zu haben, und hab das niemals vergessen. Und ich werde ihn bald wieder einmal lesen, aber auch die anderen Werke der schönen, hier so schön beschriebenen Werkausgabe in den insel-Taschenbüchern von 1985. Schön, dass Sie hier Raabe besprechen!

    Von Hermann Hesse gibt es einen eindringlichen Bericht, wie er den alten Raabe besuchte, im Jahr 1909. Das stand in „Beschwörungen“, und auch in der sehr guten rororo-Monographie von Hans Oppermann wird das geschildert.

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    1. Vielen Dank für den ausführlichen Kommentar, Georg Fries.
      Das ausdrückliche Lob für die Chronik kam ja von Sören Heim, aber auch ich konnte diesem Frühwerk durchaus etwas abgewinnen. Aber alles schon wieder so lange her, dass ich es gelesen habe.
      Der Hungerpastor. Ein MRR hat den ganzen Raabe wegen dieses Buches verdammt, ein Wollschläger hat den Hungerpastor geliebt. Meine Wenigkeit hat ihn tatsächlich abgebrochen – ich habe ihn nicht gemocht.
      Ich halte mich dann letzlich doch ans Spätwerk, so ab Meister Autor ist doch eigentlich alles lesenswert. Und da habe ich einige Lücken, was auch recht schön ist.
      Der Bericht Hesses von seinem Besuch beim alten Raabe ist wirklich faszinierend zu lesen. Man erspürt, wie groß Raabe zu der Zeit war.
      Ich habe übrigens Phasen, wo ich den Raabe-Ton gar nicht ertragen kann und dann kann es wieder keinen besseren Autor für mich geben. Inzwischen habe ich die 26 Bände der Braunschweiger Ausgabe im Regal und kann frei auf Entdeckungsreise gehen.
      Herzliche Grüße!

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  3. Noch so’n Ding, das ich jetzt erst finde. Und welch seltsame Kombination der Themen der Novellen! Ungewohnt auf jeden Fall. „Im Siegeskranze“ in dieser Umgebung. Aber das erlebt man bei Heyse auch: Erst die „Meraner Novellen“, deren Zusammensetzung Sinn ergibt, dann die Novellenstückelung nach welchen Gesichtspunkten auch immer – und alle drei Meraner werden zusammengepappt mit Zeug aus allen Schaffensphasen.

    Raabe, Keller, Storm, Fontane… hm. Wen würde ich wählen? Storm und Raabe – Kopf an Kopf. Storm erzählt schöner. Von Raabe bleibt mehr hängen. So is‘ mir zur Zeit.

    Die Stückzahl-Heroen des 19. Jahrhunderts waren eh andere: Freytag, Spielhagen, Heyse. In jedem Bücherschrank damals vertreten. Alle drei nicht so kopfschussmäßig trübe, wie die genannten vier.

    Unsere Literaturgeschichtsschreibung ist arg verkorxt.

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  4. Behaglichkeit….was für ein wunderbares Wort!
    Leider wird es heute nicht mehr so häufig benutzt, mittlerweile sagt man lieber „Hygge“ 🙂
    Liebe Grße….von Rosie

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