Literatur

Nun war mal wieder eine Quartalsbestellung fällig und ich studierte also das Programm der Büchergilde Gutenberg und mir sprang diese wunderschön aufgemachte Ausgabe von ›Die rätselhaften Honjin-Morde‹ von Seishi Yokomizo ins Auge. Allein eine klassisch-knifflige Mordfallgeschichte zu lesen, hätte mich nicht hinreichend gereizt, aber das Geschehen spielt hier nicht in England oder Amerika, sondern in Japan, und zwar im Jahr 1937 und die Illustrationen von Ann-Kathrin Peuthen sind ein echter Hingucker. Und schon war mein Interesse geweckt. (Es braucht ja nicht viel.)

»Der neue Wunnicke ist da«, so hallt es durch Blätter und Webseiten. Kein Feuilleton lässt sich das 2025 im Berenberg Verlag erschienene ›Wachs‹ von Christine Wunnicke entgehen und viele Blogs besprechen zeitnah. Mir wurde die Autorin mit der Verleihung des Wilhelm-Raabes-Literaturpreises 2020 bekannt und ich habe seitdem alle ihre Veröffentlichung gelesen. Nur einige frühere Romane stehen noch in wartender Stellung im Regal. Ich gehöre also zu den geneigten Leserinnen und Leser ihrer Romane und will deshalb an diesem Ort ebenfalls ein paar Anmerkungen zu ihrem neusten Roman loswerden.

Noch vor dem Jahreswechsel holte ich mir ein Stück wohlig lesende Kindheit zurück. Ich besorgte mir nach einigem Hin- und Her (überquellende Regale) den vierbändigen Schuber ›Walt Disneys wunderbare Welt‹. Den roten Schuber mit den großformatigen roten, orangen, grünen und blauen Bänden aus dem Hause Ehapa muss ich nur anblicken, um einen emotionalen Kick um mehr als 50 Jahre zurück zu erleben. Wie prägend diese Kassette war, bemerkte ich später in meiner Social Media Blase: Doch so einige Menschen reagierten darauf und hatten die Bände aus dem Jahre 1969 (oder einer späteren Auflage) in ihr Erwachsenenleben hinübergerettet.

Die zwei Wochen, die ich zwischen den Feiertagen freie Lesezeit habe, wollte ich nutzen und diesmal ist es mir zumindest über die Weihnachtstage geglückt. Den Anfang machte eine wunderschöne Ausgabe von ›Der Master von Ballantrae. Eine Wintergeschichte‹ aus dem Mareverlag. Übersetzt wurde dieses Buch aus der Feder von Robert Louis Stevenson von Melanie Walz. Zu lange stand es schon ungelesen in seinem schmucken Schuber in meinem Regal. Der Kaufreiz solcher schönen Ausgaben ist für mich zu groß, dann allerdings die Skepsis, ob ich einen Abenteuerroman überhaupt lesen will. Ich kenne ja ›Der befremdliche Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde‹ und natürlich ›Die Schatzinsel‹, beide in der Übersetzung von Friedhelm Rathjen.

Es soll sich in meinem Blog etwas ändern. Genauer: Für mich wird sich etwas ändern. Ich will zukünftig meine Beiträge wie ein Journal oder Tagebuch schreiben. Hin und wieder Einträge über verschiedene Dinge wie Gedanken, die mich beschäftigen, oder Musik und Bücher, die mich beeindrucken. Ausführlicherer Besprechungen, die dann Autor und Titel des Buches als Beitragsüberschrift haben, werden seltener. So weit der Plan.

Wallstein Verlag 2024, hg. und kommentiert von Rolf Parr, 236 S., ISBN 978-3-8353-5753-2

Der Wallstein Verlag hat den zweiten Band seiner Neuedition maßgeblicher Werke Wilhelm Raabes veröffentlicht. Es wurde nicht wie ursprünglich geplant ›Der Lar‹, sondern ›Unruhige Gäste – Ein Roman aus dem Säkulum‹. Der Roman gehört zu Raabes Spätwerk, welches für die heutige Leserschaft immer noch von Interesse ist. In dem Buch umfasst die Erzählung 179 Seiten. Es folgen editorische Notizen, 16 Seiten Anmerkungen, ein gut 20-seitiges Nachwort des Herausgebers Rolf Parr, Siglen, Literaturverzeichnis und Abbildungsnachweise der 6 Abbildungen im Anhang. Auf dem Schutzumschlag erkennt man zwei stattliche Gebäude vor einem Berghang, die ich anhand eines Bildes im Anhang als Kurhaus und Actienhôtel in Bad Harzburg auf einem Postkartenmotiv von 1908 identifizieren kann. Heimspiel.

dtv 2019, 320 S., ISBN 9783423281690. Aus dem Französischen von Brigitte Große. TB und E-Book sind noch lieferbar.

Fast stammte ich aus einer Bergarbeiterfamilie. Ich war ein Kleinkind, als es 1963 in Lengede zu einem schweren Grubenunglück kam, bei dem 29 Bergleute ihr Leben ließen. Mein Vater überlebte, aber seine geplante Karriere im Bergbau kam zu einem abrupten Ende. Elf Jahre später kamen bei einem Unglück in Liévin-Lens 42 Menschen ums Leben. Und dieses Unglück ist die Blaupause für „Am Tag davor“ des französischen Schriftstellers Sorj Chalandon. Für mich mit meinem speziellen familiären Hintergrund war das eine durchaus intensive Lektüre. Meines Vaters Erzählungen über diese Katastrophe gingen damals über Allgemeinplätze nicht hinaus und der Rest war Schweigen oder ein wenig Bergmann-Romantik. Hier nun dieser Roman über Profitsucht, Schuld und Rache. Ein Buch, das vor fünf Jahren in Deutschland sehr gut besprochen, zum Teil auch enthusiastisch gefeiert wurde.

Hanser 2024, 400 S., ISBN 978-3-446-27951-3, aus dem Französischen von Wolfgang Matz, auch als E-Book erhältlich.

Julien Greens „Treibgut“ ist eine Neuübersetzung dieses Romans von Wofgang Matz, der auch als Herausgeber verantwortlich ist. Mir fiel beim Namen Julien Green sofort der „Leviathan“ ein. Den einzigen Roman des Autors, den ich bisher gelesen habe, allerdings vor sehr langer Zeit. Dieses neue, wunderbar aufgemachte Buch des Hanser Verlags zeigt auf dem Umschlag eine Fotografie des Seine-Quais mit Blick über das Viaduc de Passy auf den Eiffelturm aus den 1930er Jahren. Ob am Morgen oder Abend aufgenommen, weiß ich nicht zu sagen, auf jeden Fall wirkt das Bild durch eine diffuse, neblige Unschärfe. Der eigentliche Roman umfasst 329 Seiten, die restlichen 70 gehören dem umfangreichen Anhang (Nachwort, editorische Notiz, Abbildungen, Anmerkungen, Zeittafel). Dass ich das gut 40-seitige Nachwort entgegen meinen Gepflogenheiten erst am Schluss gelesen habe, war eine sehr gute Idee, denn in diesem Fall heißt es nicht grundlos Nach-Wort. Später mehr dazu.

Suhrkamp 2023, 829 S., aus dem Polnischen von Lisa Palmes, ISBN 978-3-518-43131-3, auch als E-Book erhältlich.

Es fing damit an, dass ich das Buch im Schaufenster der Buchhandlung meines Vertrauens entdeckte: Der Name der polnischen Autorin, Joanna Bator, kam mir gleich bekannt vor. Einige Jahre ist es her, dass ich ›Sandberg‹ las und geradezu verzückt war. Damit war genug Vertrauen in das jüngste Werk der Autorin hergestellt (zumal das Feuilleton begeistert auf die Veröffentlichung letztes Jahr reagierte, was allerdings nicht allzu viel heißen will) und ich kaufte den 800-Seiten-Wälzer. Es ist nicht eben leicht, über dieses Buch zu schreiben, ohne von vornherein zu viel zu verraten. Also beschränke ich mich auf Aufbau, Orte und Personal.

Aufbau Verlag 2024, 304 S., Übersetzung aus dem Amerikanischen: Brigitte Jakobeit und Volker Oldenburg, ISBN: 978-3-351-04224-0, auch als E-Book erhältlich.

Dass ich einen Band von Erzählungen von der ersten bis zur letzten Geschichte mit Interesse durchlese, kommt nicht allzu oft vor. Bei Diane Olivers ›Nachbarn‹ ist das geschehen. Das Buch kam in diesem Jahr heraus und ist eine Besonderheit. Die Autorin Diane Oliver wurde 1943 in Charlotte, North Carolina geboren und verstarb mit 22 Jahren bei einem Verkehrsunfall. Bis zu ihrem frühen Tod 1966 waren vier ihrer Kurzgeschichten veröffentlicht. Sie galt als großes Talent und geriet dann in Vergessenheit, bis sie jetzt wiederentdeckt wurde. Diane Olivier wuchs in einer afroamerikanischen Mittelschicht Familie auf und so waren ihre Themen besonders stark vom Leben mit und dem Aufbegehren gegen die herrschende Segregation geprägt. Dies sind Themen des Buches, doch ist es die erzählerische Perspektive, die diese 14 Geschichten noch heute so außergewöhnlich gut lesbar macht .