Nein, eine Rezension oder gar Kritik dieses ersten Teils der Joseph-Tetralogie von Thomas Mann werden diese Bemerkungen nicht sein. Dazu fehlt mir an Fachwissen so ziemlich alles. Ich habe mich an ›Die Geschichten Jaakobs‹ herangewagt, nachdem ich wieder und wieder um das umfangreiche Romanwerk der Joseph-Romane herumgeschlichen bin, und werde hier in groben Zügen meine Erfahrung teilen. Es gibt ein paar Hindernisse, die zu überwinden gilt, aber am Ende alles halb so wild. Das Vergnügen ist groß, viel größer als erwartet. Zuerst also ein kleiner Überblick, um was es sich bei diesem vierteiligen Zyklus überhaupt handelt.

Rezensionsanfragen begegne ich eher zurückhaltend: Zu groß sind die Lücken meines persönlichen Kanons, zu kurz währt die Lebenszeit abseits des Broterwerbs. Doch manchmal werden bei näherer Betrachtung ein Thema oder auch ein Name zu interessant, als dass ich mich nicht darauf einlassen wollte. Lina Morgenstern, den Namen hatte ich noch nie gehört, aber Wikipedia klärte mich auf, dass diese Frau einst von Bedeutung war. Von großer Bedeutung. Anlässlich ihres 70. Geburtstages im Jahre 1900 wurde sie zu den fünf bedeutendsten Persönlichkeiten Berlins gewählt und sie war wie der Autor Gerhard J. Rekel in einem Interview erklärte, die berühmteste Frau der Stadt. Eine Bürgerliche, eine Sozialreformerin, eine Frauenrechtlerin, eine Gründerin, eine Autorin und laut Untertitel der Biographie auch eine Rebellin. Diese Frau will ich kennenlernen.

Die Neuausgabe von Eduard von Keyserlings ›Wellen‹ in der ›Manesse Bibliothek‹ 2011 hatte mal wieder für einige Bewegung im deutschsprachigen Feuilleton gesorgt: Die soundsovielte Wiederentdeckung des Autors. Inzwischen gibt es auch noch Sammlungen der Erzählungen (2018), der späten Romane (2019) und der Feuilletons (2021) in der Schwabinger Ausgabe, ebenfalls bei Manesse. Eduard Graf von Keyserling entstammt dem baltischen Zweig der ländlich-adeligen Familie Keyserlingk auf Schloss Tels-Paddern im heutigen Lettland, so steht es in Wikipedia. Er wurde dort 1855 geboren und starb schwer krank und verarmt, doch bis zuletzt außerordentlich produktiv 1918 in München. Der Roman ›Wellen‹ von 1911 gehört zu seinem Spätwerk und stellt ohne Zweifel einen Höhepunkt seines Schaffens dar.

Virginia Woolfs 1925 erschienen Roman ›Mrs. Dalloway‹ war längst einmal an der Reihe, von mir gelesen zu werden. Zu lange schon stand die Neuübersetzung von Melanie Walz aus dem Jahre 2022 ungelesen im Regal. Als nun in Bluesky, einer Social-Media-Plattform, die ich nach dem Abgesang von Twitter neben Mastodon (Fediverse) nutze, ein Buchclub die Lesung von Mrs. Dalloway in 11 Tagen (10 Lesetage, ein Ruhetag) ankündigte, war ich dabei. Ich habe noch nie in einem Lesekreis mitgemacht, ich hatte Mrs. Dalloway noch nicht gelesen, also los.

Und wieder hat der Wallstein Verlag einen „neuen“ Raabe herausgebracht. Das ist sehr erfreulich und diese Renaissance Raabes auf dem Buchmarkt war vor wenigen Jahren durchaus nicht erwartbar. Ich habe u. a. die 26 Bände der Braunschweiger Ausgabe in den Regalen stehen, aber zum einen wurde die kritische kommentierte Ausgabe des Wallstein Verlags im Vergleich zu den Bänden aus den 1960er Jahren nicht nur im Anmerkungsbereich sinnvoll aktualisiert, zum anderen sind diese neuen Ausgaben sehr ansprechend ausgestattet. Und zu guter Letzt gehört der Verlag für dieses nicht risikolose Unternehmen belohnt. Was zählen da schon überbordende Regale?

Kennt man Angela Carter heute noch? Sie war keine Unbekannte als 1979 ihr wohl berühmtestes Buch ›The Bloody Chamber‹ veröffentlicht wurde. Als Godmother der feministischen (Horror-) Literatur bezeichnet sie Suhrkamp im Klappentext. Ganz so einfach ist das mit solchen Zuschreibungen vielleicht nicht, wie wir noch sehen werden. Auf jeden Fall hat sich der Verlag 46 Jahren nach Erscheinen der Erstausgabe daran gemacht, dieses sehr besondere Buch in einer (sehr guten) Übersetzung von Maren Kames neu aufzulegen. Ich kannte Angela Carter, die in England zu den wichtigsten Autorinnen der Nachkriegsliteratur zählt, nicht, ich kannte auch dieses Buch nicht und ich staunte bei der Lektüre nicht schlecht.

»Am 15. Jänner 1991 um 12:30 verstarb die Schriftstellerin, Übersetzerin, Verlagslektorin, Leihbibliothekarin und Widerstandskämpferin im Zweiten Weltkrieg Doris Brehm, geborene Diez, im Alter von 82 Jahren im Wiener Wilhelminenspital.« So beginnt die Suche nach den Lebens- und Schaffensspuren Doris Brehms, deren Ergebnisse von der Herausgeberin Bettina Balàka und der Historikerin Bettina Prager zusammengestellt wurden und im Anhang dieser Ausgabe zu finden sind. Doris Brehms Roman ›Eine Frau zwischen gestern und morgen‹ ist der Auftakt einer neuen Reihe des österreichischen Verlags Haymon (Haymon Her Story: Wiederentdeckte Literatur von Frauen), die von Bettina Balàka herausgegeben wird und sich vergessenen deutschsprachigen Autorinnen widmet.

Dann also mal los. Es liegt noch manches ungelesen in den Regalen, aber jetzt soll es ans Ende gehen. Raabes vorletzter vollendeter Roman und vielleicht der wichtigste? An ›Die Akten des Vogelsangs‹ schrieb Raabe gut zwei Jahre. Er plagte sich. 1895 veröffentlicht gehört es natürlich zum Alterswerk und damit zu dem Abschnitt seines Schreibens, der uns heute mit Abstand am meisten interessiert. Während er an dem Buch schrieb, feierte er seinen 63-jährigen Geburtstag. Ich bin, während ich hier berichte, nur wenig älter und behaupte, dass es im doppelten Sinne ein Alterswerk ist. Wer schon ein wenig erlebt hat, wer noch in der Lage ist, in sich zu fühlen und Fragen zu stellen, wird von diesem Buch angefasst werden.

Eines Tages überkam mich die Lust, eine Lovecraft-Geschichte in der edlen, aber sehr schweren und unbequemen Tor-Ausgabe zu lesen: Der Schatten über Innsmouth. Nach Beendigung dieser athletischen Lesung erinnerte ich mich an meine Sehnsucht nach zeitgenössischer Fantasy oder Science Fiction, die neben Einfällen und Ideen auch literarisch etwas zu bieten hat. Bei der anschließenden Suche auf der Webseite von Tor-Online stieß ich auf den Namen Nora Keita Jemisin: Von 2016 bis 2018 hatte die Autorin dreimal hintereinander den Hugo Award in der Kategorie Best Novel gewonnen. Wenn das keine Referenz ist. Ich besorgte mir also den ersten Teil ihrer Broken-Earth-Trilogy ›Zerrissene Erde‹. 2015 erschien die Originalausgabe unter dem Titel ›Fifth Season‹, 2018 die deutsche Übersetzung von Susanne Gerold im Knaur Verlag. Es war eine ziemlich aufregende Leseerfahrung.

Nun war mal wieder eine Quartalsbestellung fällig und ich studierte also das Programm der Büchergilde Gutenberg und mir sprang diese wunderschön aufgemachte Ausgabe von ›Die rätselhaften Honjin-Morde‹ von Seishi Yokomizo ins Auge. Allein eine klassisch-knifflige Mordfallgeschichte zu lesen, hätte mich nicht hinreichend gereizt, aber das Geschehen spielt hier nicht in England oder Amerika, sondern in Japan, und zwar im Jahr 1937 und die Illustrationen von Ann-Kathrin Peuthen sind ein echter Hingucker. Und schon war mein Interesse geweckt. (Es braucht ja nicht viel.)