Literatur

Wallstein Verlag 2024, hg. und kommentiert von Rolf Parr, 236 S., ISBN 978-3-8353-5753-2

Der Wallstein Verlag hat den zweiten Band seiner Neuedition maßgeblicher Werke Wilhelm Raabes veröffentlicht. Es wurde nicht wie ursprünglich geplant ›Der Lar‹, sondern ›Unruhige Gäste – Ein Roman aus dem Säkulum‹. Der Roman gehört zu Raabes Spätwerk, welches für die heutige Leserschaft immer noch von Interesse ist. In dem Buch umfasst die Erzählung 179 Seiten. Es folgen editorische Notizen, 16 Seiten Anmerkungen, ein gut 20-seitiges Nachwort des Herausgebers Rolf Parr, Siglen, Literaturverzeichnis und Abbildungsnachweise der 6 Abbildungen im Anhang. Auf dem Schutzumschlag erkennt man zwei stattliche Gebäude vor einem Berghang, die ich anhand eines Bildes im Anhang als Kurhaus und Actienhôtel in Bad Harzburg auf einem Postkartenmotiv von 1908 identifizieren kann. Heimspiel.

dtv 2019, 320 S., ISBN 9783423281690. Aus dem Französischen von Brigitte Große. TB und E-Book sind noch lieferbar.

Fast stammte ich aus einer Bergarbeiterfamilie. Ich war ein Kleinkind, als es 1963 in Lengede zu einem schweren Grubenunglück kam, bei dem 29 Bergleute ihr Leben ließen. Mein Vater überlebte, aber seine geplante Karriere im Bergbau kam zu einem abrupten Ende. Elf Jahre später kamen bei einem Unglück in Liévin-Lens 42 Menschen ums Leben. Und dieses Unglück ist die Blaupause für „Am Tag davor“ des französischen Schriftstellers Sorj Chalandon. Für mich mit meinem speziellen familiären Hintergrund war das eine durchaus intensive Lektüre. Meines Vaters Erzählungen über diese Katastrophe gingen damals über Allgemeinplätze nicht hinaus und der Rest war Schweigen oder ein wenig Bergmann-Romantik. Hier nun dieser Roman über Profitsucht, Schuld und Rache. Ein Buch, das vor fünf Jahren in Deutschland sehr gut besprochen, zum Teil auch enthusiastisch gefeiert wurde.

Hanser 2024, 400 S., ISBN 978-3-446-27951-3, aus dem Französischen von Wolfgang Matz, auch als E-Book erhältlich.

Julien Greens „Treibgut“ ist eine Neuübersetzung dieses Romans von Wofgang Matz, der auch als Herausgeber verantwortlich ist. Mir fiel beim Namen Julien Green sofort der „Leviathan“ ein. Den einzigen Roman des Autors, den ich bisher gelesen habe, allerdings vor sehr langer Zeit. Dieses neue, wunderbar aufgemachte Buch des Hanser Verlags zeigt auf dem Umschlag eine Fotografie des Seine-Quais mit Blick über das Viaduc de Passy auf den Eiffelturm aus den 1930er Jahren. Ob am Morgen oder Abend aufgenommen, weiß ich nicht zu sagen, auf jeden Fall wirkt das Bild durch eine diffuse, neblige Unschärfe. Der eigentliche Roman umfasst 329 Seiten, die restlichen 70 gehören dem umfangreichen Anhang (Nachwort, editorische Notiz, Abbildungen, Anmerkungen, Zeittafel). Dass ich das gut 40-seitige Nachwort entgegen meinen Gepflogenheiten erst am Schluss gelesen habe, war eine sehr gute Idee, denn in diesem Fall heißt es nicht grundlos Nach-Wort. Später mehr dazu.

Suhrkamp 2023, 829 S., aus dem Polnischen von Lisa Palmes, ISBN 978-3-518-43131-3, auch als E-Book erhältlich.

Es fing damit an, dass ich das Buch im Schaufenster der Buchhandlung meines Vertrauens entdeckte: Der Name der polnischen Autorin, Joanna Bator, kam mir gleich bekannt vor. Einige Jahre ist es her, dass ich ›Sandberg‹ las und geradezu verzückt war. Damit war genug Vertrauen in das jüngste Werk der Autorin hergestellt (zumal das Feuilleton begeistert auf die Veröffentlichung letztes Jahr reagierte, was allerdings nicht allzu viel heißen will) und ich kaufte den 800-Seiten-Wälzer. Es ist nicht eben leicht, über dieses Buch zu schreiben, ohne von vornherein zu viel zu verraten. Also beschränke ich mich auf Aufbau, Orte und Personal.

Aufbau Verlag 2024, 304 S., Übersetzung aus dem Amerikanischen: Brigitte Jakobeit und Volker Oldenburg, ISBN: 978-3-351-04224-0, auch als E-Book erhältlich.

Dass ich einen Band von Erzählungen von der ersten bis zur letzten Geschichte mit Interesse durchlese, kommt nicht allzu oft vor. Bei Diane Olivers ›Nachbarn‹ ist das geschehen. Das Buch kam in diesem Jahr heraus und ist eine Besonderheit. Die Autorin Diane Oliver wurde 1943 in Charlotte, North Carolina geboren und verstarb mit 22 Jahren bei einem Verkehrsunfall. Bis zu ihrem frühen Tod 1966 waren vier ihrer Kurzgeschichten veröffentlicht. Sie galt als großes Talent und geriet dann in Vergessenheit, bis sie jetzt wiederentdeckt wurde. Diane Olivier wuchs in einer afroamerikanischen Mittelschicht Familie auf und so waren ihre Themen besonders stark vom Leben mit und dem Aufbegehren gegen die herrschende Segregation geprägt. Dies sind Themen des Buches, doch ist es die erzählerische Perspektive, die diese 14 Geschichten noch heute so außergewöhnlich gut lesbar macht .

Wallstein Verlag 2023, hg. und kommentiert von Moritz Baßler. 288 S., ISBN 978-3-8353-5521-7

Das ist ja ein Ding! Es gibt eine neue kritische kommentierte Ausgabe der Werke von Wilhelm Raabe! Der erste Band erschien im Oktober 2023 im Wallstein Verlag: ›Fabian und Sebastian. Eine Erzählung‹. Der Erstdruck dieses Werkes erfolgte 1881 und 1882 in ›Westermann’s illustrierte Monats-Hefte‹. Herausgeber der Hefte war der zu dieser Zeit sehr bekannte Schriftsteller Friedrich Spielhagen. Die lange Erzählung Raabes gehört also zu dessen Spätwerk und wurde lange Zeit eher übersehen als besprochen, galt aber auch als eine Art Geheimtipp. Für mich Grund genug, mir diese Ausgabe zu besorgen und ›Fabian und Sebastian‹ zu lesen.

Suhrkamp 2022, Berner Ausgabe — Band 7, Broschur, 183 S., ISBN: 978-3-518-43066-8

Dieser dritte Roman Robert Walsers (nach ›Geschwister Tanner‹ und ›Der Gehülfe‹) ist in Berlin entstanden, dort 1909 erschienen und handelt auch, da ist jetzt neu, in Berlin. Gilt ›Der Gehülfe‹ als Walsers erfolgreichster Roman, so zählt ›Jakob von Gunten‹ als sein künstlerisch ambitioniertester. Erzählt wird in Form eines Tagebuches (allerdings ohne Datumseinträge) der Aufenthalt des aus adligem Elternhaus stammenden Jakob von Gunten in einer Schule für kommende Diener. Tatsächlich hatte Robert Walser in seiner Berliner Zeit für eine kurze Zeit eine solche Lehranstalt besucht. Am Ende der 132 Seiten des Romans wird diese Schule, das Institut Benjamenta, nicht mehr existieren.

Deutscher Kunstverlag 2022, Hg.: Klassik Stiftung Weimar, Broschur, 112 S., ISBN: 978-3-422-98919-1

Arno Schmidt Lesern und Leserinnen dürfte Fanny Esterházy ein Begriff sein, hat sie doch 2016 den wundervollen Prachtband ›Arno Schmidt. Eine Bildbiographie‹ herausgegeben. Hier fungiert sie als Autorin des Bandes ›Wielandgut Oßmannstedt‹, den der Deutsche Kunstverlag in seiner Reihe ›Im Fokus‹ veröffentlicht hat. Das Gut bei Oßmannstedt diente dem Dichter Christoph Martin Wieland für sechs Jahre als Wohnsitz. Jahre in denen Wielands letzter Roman und Höhepunkt seines Schaffens ›Aristipp und einiger seiner Zeitgenossen‹ entstand.

Aufbau, Berlin 2001 (Große Brandenburger Ausgabe. Das erzählerische Werk. Bd. 17), 716 S., ISBN 3-351-03129-7.

»Zum Schluß stirbt ein Alter, und zwei Junge heiraten sich; – das ist so ziemlich alles, was auf 500 Seiten geschieht. Von Verwicklungen und Lösungen, von Herzenskonflikten oder Konflikten überhaupt, von Spannungen und Überraschungen findet sich nichts.«, zitiert aus einem Briefentwurf Fontanes an Adolf Hoffmann. An anderer Stelle: »Einerseits auf einem altmodischen märkischen Gut, andererseits in einem neumodischen gräflichen Hause (Berlin) treffen sich verschiedene Personen und sprechen da Gott und die Welt durch. Alles Plauderei, Dialog, in dem sich die Charaktere geben, und mit ihnen die Geschichte.« Mit diesen beiden Zitaten Fontanes aus dem Jahre 1897 wäre eigentlich alles über ›Der Stechlin‹, Theodor Fontanes letzten, 1898 posthum veröffentlichten Roman, gesagt. Doch geben wir uns ein klein wenig mehr Mühe.

Suhrkamp 2019, Berner Ausgabe – Band 6, Broschur, 292 S., ISBN: 978-3-518-42901-3.

Für vier Monate arbeitete Robert Walser als Angestellter des Technikers Carl Dublers. Er verlässt die Anstellung Neujahr 1904, unmittelbar vor dem Konkurs Dublers. Walser wird die Vornamen der Kinder der Familie Dubler in seinem Roman ›Der Gehülfe‹ von 1907 (Erscheinungsjahr 1908) übernehmen, genau wie die obskuren Erfindungen. Der Roman handelt von eben einer solchen Anstellung: Joseph Marti, 24 Jahre, wird Gehülfe des Ingenieurs Carl Tober. Ein halbes Jahr später, als der erfolglose Erfinder bankrott ist, wird Joseph die Villa Abendstern bei Bärenswil am Zürichsee verlassen. Das ist in wenigen Worten die Handlung dieses Romans. Der Roman ist bis heute der meistgelesene von Robert Walser.