Literatur

Kennt man Angela Carter heute noch? Sie war keine Unbekannte als 1979 ihr wohl berühmtestes Buch ›The Bloody Chamber‹ veröffentlicht wurde. Als Godmother der feministischen (Horror-) Literatur bezeichnet sie Suhrkamp im Klappentext. Ganz so einfach ist das mit solchen Zuschreibungen vielleicht nicht, wie wir noch sehen werden. Auf jeden Fall hat sich der Verlag 46 Jahren nach Erscheinen der Erstausgabe daran gemacht, dieses sehr besondere Buch in einer (sehr guten) Übersetzung von Maren Kames neu aufzulegen. Ich kannte Angela Carter, die in England zu den wichtigsten Autorinnen der Nachkriegsliteratur zählt, nicht, ich kannte auch dieses Buch nicht und ich staunte bei der Lektüre nicht schlecht.

Dann also mal los. Es liegt noch manches ungelesen in den Regalen, aber jetzt soll es ans Ende gehen. Raabes vorletzter vollendeter Roman und vielleicht der wichtigste? An ›Die Akten des Vogelsangs‹ schrieb Raabe gut zwei Jahre. Er plagte sich. 1895 veröffentlicht gehört es natürlich zum Alterswerk und damit zu dem Abschnitt seines Schreibens, der uns heute mit Abstand am meisten interessiert. Während er an dem Buch schrieb, feierte er seinen 63-jährigen Geburtstag. Ich bin, während ich hier berichte, nur wenig älter und behaupte, dass es im doppelten Sinne ein Alterswerk ist. Wer schon ein wenig erlebt hat, wer noch in der Lage ist, in sich zu fühlen und Fragen zu stellen, wird von diesem Buch angefasst werden.

Eines Tages überkam mich die Lust, eine Lovecraft-Geschichte in der edlen, aber sehr schweren und unbequemen Tor-Ausgabe zu lesen: Der Schatten über Innsmouth. Nach Beendigung dieser athletischen Lesung erinnerte ich mich an meine Sehnsucht nach zeitgenössischer Fantasy oder Science Fiction, die neben Einfällen und Ideen auch literarisch etwas zu bieten hat. Bei der anschließenden Suche auf der Webseite von Tor-Online stieß ich auf den Namen Nora Keita Jemisin: Von 2016 bis 2018 hatte die Autorin dreimal hintereinander den Hugo Award in der Kategorie Best Novel gewonnen. Wenn das keine Referenz ist. Ich besorgte mir also den ersten Teil ihrer Broken-Earth-Trilogy ›Zerrissene Erde‹. 2015 erschien die Originalausgabe unter dem Titel ›Fifth Season‹, 2018 die deutsche Übersetzung von Susanne Gerold im Knaur Verlag. Es war eine ziemlich aufregende Leseerfahrung.

Nun war mal wieder eine Quartalsbestellung fällig und ich studierte also das Programm der Büchergilde Gutenberg und mir sprang diese wunderschön aufgemachte Ausgabe von ›Die rätselhaften Honjin-Morde‹ von Seishi Yokomizo ins Auge. Allein eine klassisch-knifflige Mordfallgeschichte zu lesen, hätte mich nicht hinreichend gereizt, aber das Geschehen spielt hier nicht in England oder Amerika, sondern in Japan, und zwar im Jahr 1937 und die Illustrationen von Ann-Kathrin Peuthen sind ein echter Hingucker. Und schon war mein Interesse geweckt. (Es braucht ja nicht viel.)

»Der neue Wunnicke ist da«, so hallt es durch Blätter und Webseiten. Kein Feuilleton lässt sich das 2025 im Berenberg Verlag erschienene ›Wachs‹ von Christine Wunnicke entgehen und viele Blogs besprechen zeitnah. Mir wurde die Autorin mit der Verleihung des Wilhelm-Raabes-Literaturpreises 2020 bekannt und ich habe seitdem alle ihre Veröffentlichung gelesen. Nur einige frühere Romane stehen noch in wartender Stellung im Regal. Ich gehöre also zu den geneigten Leserinnen und Leser ihrer Romane und will deshalb an diesem Ort ebenfalls ein paar Anmerkungen zu ihrem neusten Roman loswerden.

Noch vor dem Jahreswechsel holte ich mir ein Stück wohlig lesende Kindheit zurück. Ich besorgte mir nach einigem Hin- und Her (überquellende Regale) den vierbändigen Schuber ›Walt Disneys wunderbare Welt‹. Den roten Schuber mit den großformatigen roten, orangen, grünen und blauen Bänden aus dem Hause Ehapa muss ich nur anblicken, um einen emotionalen Kick um mehr als 50 Jahre zurück zu erleben. Wie prägend diese Kassette war, bemerkte ich später in meiner Social Media Blase: Doch so einige Menschen reagierten darauf und hatten die Bände aus dem Jahre 1969 (oder einer späteren Auflage) in ihr Erwachsenenleben hinübergerettet.

Die zwei Wochen, die ich zwischen den Feiertagen freie Lesezeit habe, wollte ich nutzen und diesmal ist es mir zumindest über die Weihnachtstage geglückt. Den Anfang machte eine wunderschöne Ausgabe von ›Der Master von Ballantrae. Eine Wintergeschichte‹ aus dem Mareverlag. Übersetzt wurde dieses Buch aus der Feder von Robert Louis Stevenson von Melanie Walz. Zu lange stand es schon ungelesen in seinem schmucken Schuber in meinem Regal. Der Kaufreiz solcher schönen Ausgaben ist für mich zu groß, dann allerdings die Skepsis, ob ich einen Abenteuerroman überhaupt lesen will. Ich kenne ja ›Der befremdliche Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde‹ und natürlich ›Die Schatzinsel‹, beide in der Übersetzung von Friedhelm Rathjen.

Es soll sich in meinem Blog etwas ändern. Genauer: Für mich wird sich etwas ändern. Ich will zukünftig meine Beiträge wie ein Journal oder Tagebuch schreiben. Hin und wieder Einträge über verschiedene Dinge wie Gedanken, die mich beschäftigen, oder Musik und Bücher, die mich beeindrucken. Ausführlicherer Besprechungen, die dann Autor und Titel des Buches als Beitragsüberschrift haben, werden seltener. So weit der Plan.

Wallstein Verlag 2024, hg. und kommentiert von Rolf Parr, 236 S., ISBN 978-3-8353-5753-2

Der Wallstein Verlag hat den zweiten Band seiner Neuedition maßgeblicher Werke Wilhelm Raabes veröffentlicht. Es wurde nicht wie ursprünglich geplant ›Der Lar‹, sondern ›Unruhige Gäste – Ein Roman aus dem Säkulum‹. Der Roman gehört zu Raabes Spätwerk, welches für die heutige Leserschaft immer noch von Interesse ist. In dem Buch umfasst die Erzählung 179 Seiten. Es folgen editorische Notizen, 16 Seiten Anmerkungen, ein gut 20-seitiges Nachwort des Herausgebers Rolf Parr, Siglen, Literaturverzeichnis und Abbildungsnachweise der 6 Abbildungen im Anhang. Auf dem Schutzumschlag erkennt man zwei stattliche Gebäude vor einem Berghang, die ich anhand eines Bildes im Anhang als Kurhaus und Actienhôtel in Bad Harzburg auf einem Postkartenmotiv von 1908 identifizieren kann. Heimspiel.

dtv 2019, 320 S., ISBN 9783423281690. Aus dem Französischen von Brigitte Große. TB und E-Book sind noch lieferbar.

Fast stammte ich aus einer Bergarbeiterfamilie. Ich war ein Kleinkind, als es 1963 in Lengede zu einem schweren Grubenunglück kam, bei dem 29 Bergleute ihr Leben ließen. Mein Vater überlebte, aber seine geplante Karriere im Bergbau kam zu einem abrupten Ende. Elf Jahre später kamen bei einem Unglück in Liévin-Lens 42 Menschen ums Leben. Und dieses Unglück ist die Blaupause für „Am Tag davor“ des französischen Schriftstellers Sorj Chalandon. Für mich mit meinem speziellen familiären Hintergrund war das eine durchaus intensive Lektüre. Meines Vaters Erzählungen über diese Katastrophe gingen damals über Allgemeinplätze nicht hinaus und der Rest war Schweigen oder ein wenig Bergmann-Romantik. Hier nun dieser Roman über Profitsucht, Schuld und Rache. Ein Buch, das vor fünf Jahren in Deutschland sehr gut besprochen, zum Teil auch enthusiastisch gefeiert wurde.