Lit 1920-1932

Limmat Verlag Zürich 2023, 192 S., übersetzt und mit einem Nachwort von Steven Wyss, ISBN: 978-3-03926-055-3, auch als E-Book erhältlich.

Was muss man zu diesem Roman wissen, der zurzeit als »Klimaroman der Stunde« gefeiert wird? Der Autor C. F. Ramuz wurde 1878 in Lausanne geboren und verstarb 1947 in Pully bei Lausanne. Der Dichter gehört heute zu den bedeutenden Schweizer Autoren französischer Sprache und war auch als Lyriker und Essayist produktiv. Vielleicht wird der eine oder die andere »Deborence« kennen, ein Roman, der sich auf einen Bergsturz gründet und wie die allermeisten Romane Ramuz‘ im bäuerlichen Umfeld spielt? So auch »Sturz in die Sonne« das im Original »Présence de la mort« heißt. Dem wunderbar konzentrierten Nachwort des Übersetzers Steven Wyss kann man entnehmen, dass sich die neue Übersetzung im Limmat Verlag auf die gekürzte Fassung von 1941 bezieht (die Originalausgabe ist von 1922) und der jetzige Titel auf einen Arbeitstitel Ramuz‘ sich stützt.

In ›Romane & Erzählungen 1916–1929‹ (S. 63 – 146), Kiepenheuer & Witsch 1989, ISBN: 3-462-01960-0, nicht mehr im Handel. Es gibt zahlreiche andere Ausgaben.

›Das Spinnennetz‹ erschien 1923 als Fortsetzung in der Wiener Arbeiter-Zeitung und war danach über Jahrzehnte vergessen. Erst 1967 erschien der Roman in Buchform. Dieses grad etwas über 80 Seiten starke Werk steht mit ›Hotel Savoy‹ (1924), ›Die Flucht ohne Ende‹ (1927) und ›Rechts und Links‹ (1929) für die erste Schaffenszeit der Rothschen Zeitromane. Dass Joseph Roth eher als Journalist denn als Romancier wahrgenommen wurde, bleibt bei der Lektüre von ›Das Spinnennetz‹ zu bedenken. Von der Meisterschaft eines ›Radetzkymarsch‹ ist der Autor hier zugegeben noch ein gutes Stück entfernt, aber dieser wilde Erstling hat durchaus seinen Reiz.

Manesse 2014, 665 S., ISBN: 978-3-7175-2218-8, mit einem Nachwort von Eva Demski. Es gibt auch viele andere, preisgünstigere Ausgaben.

›Radetzkymarsch‹, der große Roman über den schleichenden Untergang der Habsburger Monarchie, den Zerfall von k. u. k. Österreich-Ungarn. In Kaffees und Hotelzimmern hat sich Joseph Roth dieses Werk abgerungen, das erst in der Frankfurter Zeitung als Fortsetzungsroman und 1932 als Buch erschien. Österreich, Galizien, Exil, Judentum, Alkohol, Sehnsucht, Traurigkeit: Das sind ein paar Schlagworte, die einem im Zusammenhang mit Joseph Roth einfallen (wenn denn heutigen Lesern zum Namen etwas einfällt). Der zuletzt schwer alkoholkranke Autor verstarb 1939 im Exil in Paris und wurde nicht einmal 44 Jahre alt. Er hinterließ uns bemerkenswerte Romane und Erzählungen und war zeitlebens auch journalistisch tätig. ›Radetzkymarsch‹ gehört gewiss zu seinen besten Werken.

Text (1104 S.) und Kommentar (528 S.), S. Fischer 2002, ISBN: 978-3-10-048324-9 

Den Zauberberg. Nun habe ich ihn also gelesen, durchgelesen, endlich. Im wievielten Anlauf, weiß ich nicht mehr. Woran bin ich bloß so oft gescheitert? Gewiss an meiner Unerfahrenheit und falschen Erwartungen, an den anstrengenden Dialogen zwischen Settembrini und Naphta, an dem Erzähler, der in mir in Thomas Manns Romanen immer wieder ein gewisses Unbehagen auslöst. Nun also hat es geklappt und es war ein großes Vergnügen. Zwar bleibt, was die Romane Manns angeht, ›Der Erwählte‹ mein Favorit und jemanden, der Thomas Mann zum ersten Mal zu lesen beschließt, würde ich die frühen Erzählungen empfehlen, aber ›Der Zauberberg‹ ist schon die Lebenszeit wert, die man für die Lektüre veranschlagen muss. 

DVB Verlag 2020, 380 S., ISBN: 3903244031

Maria Lazar wurde 1895 in Wien in eine großbürgerliche, jüdische Familie, die früh zum Katholizismus konvertiert war, hineingeboren. Schon 1920 veröffentlichte Maria Lazar ihren ersten Roman »Die Vergiftung«, eine Abrechnung mit der bürgerlichen Gesellschaft. Es folgten Bühnenstücke und der bis dato nur in einer gekürzten englischen Exil-Ausgabe existierende Roman »Leben verboten!« und schließlich 1937 »Die Eingeborenen von Maria Blut«. Diese drei Romane sind lediglich ein Ausschnitt des Schaffens der Autorin und wurden in den letzten Jahren im österreichischen DVB-Verlag neu aufgelegt. DVB bedeutet »Das vergessene Buch« und passender könnte für Maria Lazar, die aufgrund einer unheilbaren Erkrankung 1948 in Stockholm sich das Leben nahm, dieses Motto nicht sein. Heuer veröffentlichte der Verlag mit seinem Verleger Albert C. Eibl »Leben verboten!« – das erste Mal in seiner Originalfassung von 1932.

Historischer Stadtplan aus:
Reiner Stach, Die Kafka-Biographie in drei Bänden, S.Fischer 2017

Ende November 1922 formulierte der schwer erkrankte Franz Kafka an Max Brod seinen letzten Willen: »Von allem, was ich geschrieben habe, gelten nur die Bücher: Urteil, Heizer, Verwandlung, Strafkolonie, Landarzt und die Erzählung: Hungerkünstler … Wenn ich sage, daß jene 5 Bücher und die Erzählung gelten, so meine ich damit nicht, daß ich den Wunsch habe, sie mögen neu gedruckt und künftigen Zeiten überliefert werden, im Gegenteil, sollten sie ganz verloren gehn, entspricht dieses meinem eigentlichen Wunsch. Nur hindere ich, da sie schon einmal da sind, niemanden daran, sie zu erhalten, wenn er dazu Lust hat.«
Wäre es also nach Kafka gegangen, wären etwa 450 Seiten geblieben. (Hätte er das wirklich so haben wollen?)

Verlag interna, Bonn 2017, 55 Seiten, ISBN 978-3-945778-45-6

Eine kurze Novelle in einer eher Broschüre denn Buch gedruckt, Umschlag in Blau und Schwarz auf weißem Hintergrund gehalten, ein Hochzeitsbild auf einem Nachtisch oder Kommode, darunter ein Zitat von Oskar Maria Graf:

Nichts in diesen Blättern ist erfunden, beschönigt oder zugunsten einer Tendenz niedergeschrieben.

In seiner Reihe ”Fünf.Zwei.Vier.Neun.” (die 5249 Tage der Weimarer Republik) möchte der Verlag Interna Werken vergessener Autoren und Autorinnen der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen neue Leser und Leserinnen zuführen. Es gibt viel zu entdecken, denn die Talente, die durch ihr schreckliches Ende im Konzentrationslager oder durch Flucht oder andere Umstände aus dem literarischen Gedächtnis unserer Republik entschwanden, sind von großer Zahl. Mala Laaser gehört zu diesen Talenten und auch wenn ihr das Schicksal einer Carry Brachvogel erspart blieb, so verstummte sie doch in der Emigration in England. Die vorliegende Novelle wurde in einer Zeitschrift des Central Verbands deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens veröffentlicht und liegt jetzt, um die 85 Jahre später das erste Mal als Buch vor.

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Robert Musil Gesamtausgabe, Jung und Jung 2016-2022, 12 Bände, herausgegeben von Walter Fanta. Apparat und Kommentare auf www.musilonline.at. Weitere interessante Links am Ende dieses Textes.

Musil also, Der Mann ohne Eigenschaften, MoE. Zum wievielten Mal eigentlich? Immer wieder Auszüge, Strecken, Abbrüche, fast vollständig das geniale „Der Mann ohne Eigenschaften.Remix” von 2004 gehört. Dieser immer aktuelle und unzeitgemäße Roman, 1930 wird das erste Buch, dessen Handlung unmittelbar vor Ausbruch des 1. Weltkrieges spielt, herausgegeben, begleitet mich mein Leben lang. Robert Musil, der Zweifler und Unentschlossene, wurde aus wirtschaftlichen und gesundheitlichen Gründen daran gehindert, diesen Roman zu Ende zu schreiben. Man könnte auch sagen: Musil scheiterte an diesem Roman. Es gibt ein erstes Buch mit zwei Teilen. Und zwei Jahre später, 1932, wurde der erste Teil des zweiten Buches veröffentlicht. Der Rest sind mehr oder weniger fertig ausgearbeitete Fortsetzungen aus dem Nachlass. 

Diogenes, 2008, 176 Seiten, ISBN: 978-3-257-23807-5. Auch als E-Book erhältlich.

Lange Zeit hieß meine Prämisse: Romane von Georges Simenon immer wieder mal, aber bitte die Non-Maigrets. Folgerichtig nenne ich die wunderbare 50-bändige Romanauswahl von Simenons Werken aus dem Hause Diogenes mein eigen. Nun sind Vorurteile dazu da, ab und an überprüft zu werden, und so hatte ich schon vor einiger Zeit versuchsweise und ein wenig skeptisch zu einem Maigret gegriffen. Und er hatte mir tatsächlich gefallen. Heute wieder so ein Tag: Was soll ich bloß lesen? Ah, da gibt es noch ungelesene Maigrets, die sich in meinem Reader tummeln. Ich entschied mich für einen sehr frühen Krimi, aus der ersten Staffel sozusagen: „Maigrets Nacht an der Kreuzung” von 1931.

Weidle Verlag, 2016, 180 Seiten, aus dem Niederländischen von Albert Vigoleis Thelen, ISBN: 978-3-938803-78-3, CulturBooks (digitale Lizenz), ISBN 978-3-95988-046-6.

Was eine seltsame Geschichte, was ein merkwürdiges Buch, das mich nach der Lektüre ein wenig ratlos und fasziniert zurückläßt. Eine Erzählung von nicht enden wollenden Martyrien, romantischer Liebe und unbändiger Freiheitsliebe, Phantasie und geschichtlichem Hintergrund und einer seltsamen Symbiose zwischen Autor und seinem Übersetzer. Ich fange der Reihe nach an.

Der Autor Jan Jacob Slauerhoff wurde 1898 in den Niederlanden geboren und verstarb ebendort 1936. Er studierte Medizin und arbeitete ab 1923 als Schiffarzt und bereiste Afrika, China und die Westindischen Insel. „Het verboden rijk” wurde 1932 veröffentlicht. Slauerhoff gehört zu den bedeutenden niederländischen Lyriker.