Lit 1920-1932

Weidle Verlag, 2016, 180 Seiten, aus dem Niederländischen von Albert Vigoleis Thelen, ISBN: 978-3-938803-78-3, CulturBooks (digitale Lizenz), ISBN 978-3-95988-046-6.

Was eine seltsame Geschichte, was ein merkwürdiges Buch, das mich nach der Lektüre ein wenig ratlos und fasziniert zurückläßt. Eine Erzählung von nicht enden wollenden Martyrien, romantischer Liebe und unbändiger Freiheitsliebe, Phantasie und geschichtlichem Hintergrund und einer seltsamen Symbiose zwischen Autor und seinem Übersetzer. Ich fange der Reihe nach an.

Der Autor Jan Jacob Slauerhoff wurde 1898 in den Niederlanden geboren und verstarb ebendort 1936. Er studierte Medizin und arbeitete ab 1923 als Schiffarzt und bereiste Afrika, China und die Westindischen Insel. „Het verboden rijk” wurde 1932 veröffentlicht. Slauerhoff gehört zu den bedeutenden niederländischen Lyriker.

Dörlemann Verlag 2016, ISBN 978-3-03820-026-0, 160 Seiten, auch als eBook erhältlich
Übersetzt von Maria Hummitzsch

Diesen kleinen Roman einzuordnen, fällt nicht leicht. Und vielleicht sollte man das auch einfach lassen, denn es ist ein Gewinn, dass man diese Geschichte in vielen Lesarten genießen kann: Ende des neunzehnten Jahrhunderts schreit während eines Spazierganges Mrs. Silvia Tebrick, geborene Fox, auf und als ihr Ehemann Mr. Tebrick sich ihr zu wendet, sieht er statt seiner Gattin einen Fuchs, genauer gesagt eine Fähe, die einst seine Frau war. Mit fast stoischer Ruhe und Gelassenheit nimmt er dieses Mysterium an und führt fortan mit seiner Frau der Fähe das Eheleben so gewohnt wie möglich weiter. Er kündigt dem Hauspersonal, beziehungsweise schickt es für unbestimmte Zeit in den Urlaub, um einen Skandal zu vermeiden. Das Problem: Die sich an ihr früheres Leben erinnernde Füchsin verwildert zusehens. Ihr einstiges Menschsein verschwindet nach und nach aus ihrem Fähenbewußtsein. Wer sich nun an Kafkas „Die Verwandlung” erinnert fühlt, liegt nicht so falsch. Mit einer großen Gelassenheit wird auch hier die plötzliche Verwandlung zur Kenntnis genommen, auch hier spielen psychologische Vorgänge eine wichtige Rolle, aber die Kälte der Familie in Kafkas Erzählung weicht in Garnetts kurzem Roman der unerschütterlichen Liebe des Ehemanns. Der Roman weißt einige überraschende Wendung auf, hat rührende Szenen und ein berückendes Ende. Es darf hier nicht zu viel verraten werden.

Atrium Verlag, Oktober 2013, ISBN: 3-85535-391-3, 320 Seiten, auch als eBook erhältlich.

Erich Kästner: Fabian. Die Geschichte eines Moralisten. Der Roman erschien nach einigen vom Verlag verlangten Kürzungen und Änderungen 1931, wurde ein Erfolg und schon zwei Jahre später von den Nazis als entartet gebrandmarkt, schließlich verboten und verbrannt. Seit fast einem Jahr gibt es den Fabian nun ungekürzt, in seiner ursprünglichen Fassung und unter dem eigentlich vorgesehenen Titel Der Gang vor die Hunde auf dem Markt. Zu verdanken ist diese Rekonstruktion einer »imaginären Erstausgabe« dem Münchner Germanisten und Kästner-Biografen Sven Hanuschek. Kein neuer Fabian, vielmehr ist Der Gang vor die Hunde rauer, deftiger und erotischer. Eben nichts für Konfirmanden wie Kästner selbst sagte.

HEERESBERICHT
Nikol Verlag, 400 Seiten, ISBN 978-3-86820-129-1

Edlef Köppen wurde 1893 geboren. Er war Kriegsfreiwilliger und nahm von Oktober 1914 bis Oktober 1918 am I. Weltkrieg teil. Seine Erfahrungen verarbeitete er in seinem bekanntesten Roman „Heeresbericht“, der 1930 veröffentlicht wurde. 1939 starb Köppen an den Folgen einer Kriegsverletzung.

Im „Heeresbericht“ werden die Erlebnisse des anfangs kriegsbegeisterten Adolf Reisiger von 1914 bis 1918 geschildert. Sie enden mit Reisigers psychischen Zusammenbruch und seiner Einlieferung in eine Heilanstalt. Erzählt wird in einem lakonischen Ton, ohne jede Weinerlichkeit oder Kaltschnäuzigkeit. So steht dieser Roman irgendwo zwischen Remarques „Im Westen nichts Neues“ und Jüngers „In Stahlgewittern“. Köppen bedient sich des Montierens von Originaldokumente (Zitate des Kaisers, Zeitungsberichte, Reklame, Tagebucheinträge, etc.) im Text, sowie gelegentlich eingeschobener Bewußtseinsströme. Der Roman wirkt bei heutiger Lektüre ungeheuer modern und erzeugt große Intensität. Zu Unrecht steht er in der zweiten Reihe derjenigen Romane, die den I. Weltkrieg zum Thema haben.