Juli Zeh: Unterleuten
Luchterhand 2016, 640 S., ISBN: 978-3-630-87487-6, auch als E-Book erhältlich.
Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal einen Roman von Juli Zeh gelesen? Ich meine ausgelesen. Ich sehe in mein Bücherregal: Adler und Engel, 2001, ihr Debüt. Ich war so begeistert, daß ich mir sogar eine Widmung hatte einschreibenlassen. Danach konnte mich die Autorin mit ihren Veröffentlichungen nicht mehr so richtig begeistern. Vor wenigen Wochen also hörte ich eine Episode von DurchDieGegend, eines meiner Lieblingspodcasts, in dem der Journalist und Radiomacher Christian Möller mit Kulturschaffenden durch die Gegend geht und sie interviewt. In dieser Folge mit besagter Juli Zeh als Befragte. Ich kam ins Grübeln, ob ich ihr nicht mal wieder eine Chance geben sollte? Herr Möller persönlich stieß mich noch mal an … also gut, gekauft: Unterleuten, der aktuelle Roman von Juli Zeh.

„Das ist große Erzählkunst. Lesen sie das. Sofort. Für mich schon jetzt der beste Krimi des Jahres” befiehlt der Rezensent der Krimikolumne des Bücherdiwans Andreas Ammer ins Mikrophon. Nun gut, meinen Band mit Erzählungen von Carl Nixon kann ich durchaus mal unterbrechen, um den hochgelobten Krimi von Max Annas dazwischen zu schieben. Man ist ja doch neugierig. Immerhin steht der Roman auf Platz eins der KrimiZEIT-Bestenliste. Ist also erfolgreich wie sein Vorgänger „Die Farm”, der mit dem deutschen Krimi Preis ausgezeichnet wurde. Ich folge dem Rezensenten.
Dieses sei vorweggenommen: Das Buch gibt es (bis dato) ausschließlich als eBook bei CulturBook. Inzwischen hat das Haus angekündigt, dass ein oder andere Buch auch drucken zu wollen. Allerdings ist der Verlag ein Spezialist für elektronische Bücher (und mein persönlicher Lieblingsverlag für eBooks). Wegen der unschlagbaren Ästhetik der Buchcover und der interessanten Auswahl von Autoren und Autorinnen lohnt sich unbedingt ein Blick auf das Sortiment. Geführt wird CulturBook von Jan Karsten und der bekannten Autorin Zoë Beck.
Im November 1941 waren es nur wenige Trauerende, die dem Begräbnis der Schauspieler Joachim und Meta Gottschalk und ihrem achtjährigen Sohn Michael beiwohnten. Von den ehemaligen Kollegen und Kolleginnen waren es unter anderem Brigitte Horney, Gustav Knuth und Elisabeth Lennartz, Hans Brausewetter, Werner Hinz, Wolfgang Liebeneiner und Ruth Hellberg. Wenige Tage zuvor hatte die Familie die Nachricht erreicht, daß die Ehefrau Meta Gottschalk, geborene Wolff, zusammen mit ihrem Sohn deportiert werden sollte. Der von den Behörden geforderten Trennung von der jüdischen Ehefrau hatte sich Joachim Gottschalk, ein damals sehr bekannter Schauspieler der UFA, stets widersetzt. Die Familie sah keinen anderen Ausweg als den gemeinschaftlichen Suizid.
Wir hören sie laufend: Schreckensmeldungen, Skandale, Katastrophen …. Und wir können und wollen kaum noch darauf reagieren. Es reicht für ein paar Diskussionen im Bus, am Arbeitsplatz oder am Stammtisch. In die Tiefe gegangen, nach dem Gründen für irgendeinen Missstand gesucht wird kaum, denn die nächste Sensationsmeldung ist schon im Anmarsch und die Tatsachen werden nach dem ersten Bohei aus den Augen verloren, sollten sie selbiges überhaupt erreicht haben. Die Halbwertszeiten für Skandale werden immer kürzer und richten sich nach ihren medialen Verwertbarkeiten, nicht nach ihren Folgen und Ausmaßen. Die Tatsachen selbst und die Schlussfolgerungen, die aus diesen gezogen werden müssten, interessieren kaum. Allenfalls eine Zweiminuten-Nachricht in der Tagesschau: Zschäpe will aussagen, sagt dann nichts, Frisur, Mimik, allgemeine Empörung, fertig. Der Nächste bitte.


Erich Kästner: Fabian. Die Geschichte eines Moralisten. Der Roman erschien nach einigen vom Verlag verlangten Kürzungen und Änderungen 1931, wurde ein Erfolg und schon zwei Jahre später von den Nazis als entartet gebrandmarkt, schließlich verboten und verbrannt. Seit fast einem Jahr gibt es den Fabian nun ungekürzt, in seiner ursprünglichen Fassung und unter dem eigentlich vorgesehenen Titel Der Gang vor die Hunde auf dem Markt. Zu verdanken ist diese Rekonstruktion einer »imaginären Erstausgabe« dem Münchner Germanisten und Kästner-Biografen Sven Hanuschek. Kein neuer Fabian, vielmehr ist Der Gang vor die Hunde rauer, deftiger und erotischer. Eben nichts für Konfirmanden wie Kästner selbst sagte.
Joachim Meyerhoff ist ein gefragter Theaterschauspieler, zur Zeit mit Engagements am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg und dem Burgtheater in Wien, und er ist ein erfolgreicher Autor obendrein. „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ ist der zweite Teil des sechsteiligen Zyklus „Alle Toten fliegen hoch“. Meyerhoff erzählt von seiner Kindheit inmitten der Kinder- und Jugendpsychatrie Hesterberg am Rande der Stadt Schleswig. Die Anstalt beherbergte 1200 Patienten, allerdings nicht ausschließlich Kinder und Jugendliche, sondern auch erwachsene Menschen mit körperlicher, geistiger und psychischer Behinderung. Und im wahrsten Sinne des Wortes mittendrin lebt Joachim mit seinem Vater, dem erfolgreichen, aber weitesgehend lebensunpraktischen Direktor der Psychatrie, seiner mit der ihr zugedachten Rolle hadernden Mutter, seinen zwei ihn traktierenden älteren Brüdern und dem Familienhund, der ihm nicht selten der treueste Freund zu sein hat. Aber nicht nur aus dem Leben seiner Familie, auch aus dem der Patienten wird mit Humor, Respekt und Zuneigung erzählt. Meyerhoffer geht hierbei nicht zwingend chronologisch vor. Es gibt Erinnerungssprünge und auch weit über seine Kindheit hinausgehende Begebenheiten, die in dem Roman ihren Platz finden.