DER KAISER VON CHINA
Dumont Verlag, 160 Seiten, ISBN 978-3-8321-8074-4

Und wieder was mit 200 Seiten. Die Geschichte ist verzwickt: Keith Stapperpfennig wuchs beim Großvater auf. Zusammen mit vier Geschwister und diversen, immer jünger werdenden Großmüttern. In die letzte Großmutter verliebt sich Keith. Zu Großvaters Achtzigsten bekommt dieser von seinen Enkeln eine Reise nach China geschenkt. Allein: begleiten will ihn keiner, es bleibt am Schluß an Keith hängen. Dieser allerdings verjubelt die Reisekosten, muß den Großvater allein reisen lassen und erfährt bald darauf, daß dieser im Westerwald gestorben sei. Nun muß der Held für die Geschwister eine Geschichte erfinden, damit diese glauben, daß die Reise nach China stattgefunden hat.
Soweit der Plot. Der Roman ist geschrieben nach der Art eines Münchhausens: Voller Fantasie und Skurrilität. Dabei immer amüsant und wunderbar unterhaltend. Vieles in der Geschichte erkennt man wieder, vor allem, wenn die Familienverhältnisse beschrieben werden. Man lacht lauthals, und ab und an schluckt man auch. Unterhaltung auf sehr hohem Niveau.

ZETTEL’S TRAUM
Suhrkamp Verlag, 1536 Seiten, ISBN 978-3-518-80300-4

Nun ist es also soweit: Zettel’s Traum ist nach 40 Jahren als gesetztes Buch erschienen. In meinem erweiterten Freundeskreis (gell Martin) wird öfters über dieses Werk gelästert: „Zettel’s Traum“ gilt als Synonym für unsinnige Buchprojekte, die nichts mit dem Bedürfnissen des lesenden Menschen zu tun haben, sondern bestenfalls literarische Prestigeobjekte darstellen. Ich lasse diese Freunde reden, und sehe es vollkommen anders. Sicher: wer liest schon die über 1500 Seiten (großformatig!) von Zettel’s Traum von vorne bis hinten, und vor allem: wer versteht das alles? Aber ist das wichtig? Mir nicht, ich weide in diesem Text und amüsiere mich auf das allerprächtigste! Die Handlung ist eh überschau- bar und man kann wunderbar irgenwo in den Text gehen und sich auf das allerbeste unterhalten lassen. Wenn es einen Text gibt, der nichts für SchnellleserInnen ist, dann dieser.

Da hat er einfach recht: „(: war kein übler Einfall, vom RAABE so’n halbes Dutznd der kurz=&=gutn 200=Seiter …“, so schreibt Arno Schmidt und er meint Romane wie Stopfkuchen, Das Odfeld, Horacker, Pfisters Mühle oder den Abu Telfan. Ich weiß nicht, ob AS die Romane von Georges Simenon geschätzt hat, aber meines Erachtens könnte man dieses Kompliment auch Simenons Non-Maigret Romane zusprechen. Nur das es eben um ein Vielfaches mehr als ein halbes Dutzend sind …

Nachdem ich mir die besten der Maigret Romane in der neuen Hardcover Ausgabe von Diogenes besorgt und gelesen hatte, war noch ein Wunsch offen: bitte diese wunderbar ausgestattete Reihe (gebunden, klein, mit Lesebändchen, 9 € pro Band) auch mit den Non-Maigret Romanen von Georges Simenon, das wärs. Und nun ist es soweit: Angefangen mit der Verlobung des Monsieur Hire und Tropenkoller im Oktober, für November Das Haus am Kanal und Der Mann aus London, werden insgesamt fünfzig Romane in der Reihe „Ausgewählte Romane“ veröffentlicht, jeden Monat zwei.

Kommen die Maigret Romane bisweilen ein wenig antiquiert daher, wirken die Maigret Romane auf mich seltsam zeitlos. Fast immer sehr spannend, auch philosophisch, nie prätentiös, ziehen sie einen in ihren Bann. Das Richtige für ein Wochenende auf der Couch. Mehr kann man einfach nicht verlangen, oder?

PS.: ich weiß schon, einige wenige Romane haben mehr als 200 Seiten, so wie die unvergesslichen Glocken von Bicêtre, aber das ist die Ausnahme und macht rein garnichts.

Heute habe ich beim Walken
wieder eine neue Folge aus dem Hörspielpool gehört:

Michaela Melián: Memory Loops

Zitat:
„Tonspuren zu Orten des NS-Terrors in München – Herzog-Max-Straße Herzog-Rudolf-Straße Antonienstraße Knorrstraße – Die Stimmencollage aus den Berichten zweier Brüder markiert wichtige Punkte und Strecken auf der Karte des NS-Terrors gegen Juden in München: das Rathaus, die Lindwurmstraße, von der Herzog-Max- zur Herzog-Rudolf-Straße, von der Knorrstraße nach Berg am Laim, vom Wittelsbacher Palais zum Hauptbahnhof Richtung Theresienstadt. Seit 1945 leben die Brüder wieder in München und sind bis heute in der Erinnerungspolitik aktiv engagiert.(BR 2010)“

Was vor allem beeindruckte, war dieser nüchterne, fast emotionslose Tonfall, der alles Geschehene noch ungeheuerlicher erscheinen läßt. Unbedingt hörenswert, jede der fünf Folgen dauert eine knappe Stunde.