England

Oktopus/Kampa Verlag 2022, 255 S., grundlegende Überarbeitung der Übersetzung von Maria Wolff, ISBN: 978-3-311-30035-9, auch als E-Book erhältlich.

›The Daughter of Time‹ hieß die Originalausgabe von 1951, ›Richard der Verleumdete‹ die erste deutsche Übersetzung von Maria Wolff aus dem Jahre 1959, in der Neuausgabe des Kampa Verlags in seinem Oktopus Programm heißt der Titel jetzt ›Alibi für einen König‹. Josephine Tey hieß eigentlich Elizabeth Mackintosch. Sie wurde 1896 in Schottland geboren und starb 1952, ein Jahr nach Veröffentlichung des hier vorgestellten Romans, in London. Gordon Daviot war ein weiteres Pseudonym, das die Autorin dann nutzte, wenn sie Theaterstücke schrieb. Tey gehörte zur Generation der Agatha Christies oder Dorothy L. Sayers unterschied sich von diesen aber dadurch, dass sie mit den gängigen Stilmitteln brach. Und das macht sie eben interessant.

Fischer 2009, 896 S., ISBN: 978-3-596-90209-5, auch als E-Book erhältlich.

Da war einiges los in meinen 10er Jahren: 1969 die Mondlandung, 70 die WM in Mexiko und 1971 schließlich »Die Frau in Weiß«, ein Fernsehdreiteiler, der die bundesrepublikanischen Straßen leerräumte, ein Straßenfeger eben. Schaut man sich auf Youtube diese Verfilmung des Wilkie-Collins-Klassikers an, so mag dieses Fernsehstück heutzutage nicht mehr recht zünden. Und der Roman? Die Wiederentdeckung dieses Schauerromans aus der viktorianischen Zeitepoche darf sich zu großen Teilen Arno Schmidt auf die Fahnen schreiben. 1962 übersetze er die rund 800 Seiten und nach anfänglichen Bedenken seitens des Verlags wegen des Umfangs kam »Die Frau in Weiß« ungekürzt und in der Übertragung von Arno Schmidt 1965 auf den Markt. Das Buch wurde ein Bestseller (wie auch das englische Original bei seiner Erstveröffentlichung 1860) und, wenn man so will, Arno Schmidts erfolgreichstes Buch. Und heute? Ich habe (leider) ein recht schlechtes Gedächtnis und so kannte ich den Plot dieses Klassikers nur noch schemenhaft. Gute Voraussetzung aber, um die Probe aufs Exempel zu probieren: Funktioniert »Die Frau in Weiß« auch heute noch?

Dörlemann Verlag 2016, ISBN 978-3-03820-026-0, 160 Seiten, auch als eBook erhältlich
Übersetzt von Maria Hummitzsch

Diesen kleinen Roman einzuordnen, fällt nicht leicht. Und vielleicht sollte man das auch einfach lassen, denn es ist ein Gewinn, dass man diese Geschichte in vielen Lesarten genießen kann: Ende des neunzehnten Jahrhunderts schreit während eines Spazierganges Mrs. Silvia Tebrick, geborene Fox, auf und als ihr Ehemann Mr. Tebrick sich ihr zu wendet, sieht er statt seiner Gattin einen Fuchs, genauer gesagt eine Fähe, die einst seine Frau war. Mit fast stoischer Ruhe und Gelassenheit nimmt er dieses Mysterium an und führt fortan mit seiner Frau der Fähe das Eheleben so gewohnt wie möglich weiter. Er kündigt dem Hauspersonal, beziehungsweise schickt es für unbestimmte Zeit in den Urlaub, um einen Skandal zu vermeiden. Das Problem: Die sich an ihr früheres Leben erinnernde Füchsin verwildert zusehens. Ihr einstiges Menschsein verschwindet nach und nach aus ihrem Fähenbewußtsein. Wer sich nun an Kafkas „Die Verwandlung” erinnert fühlt, liegt nicht so falsch. Mit einer großen Gelassenheit wird auch hier die plötzliche Verwandlung zur Kenntnis genommen, auch hier spielen psychologische Vorgänge eine wichtige Rolle, aber die Kälte der Familie in Kafkas Erzählung weicht in Garnetts kurzem Roman der unerschütterlichen Liebe des Ehemanns. Der Roman weißt einige überraschende Wendung auf, hat rührende Szenen und ein berückendes Ende. Es darf hier nicht zu viel verraten werden.

IM VISIER
Edition Moderne, 106 Seiten, ISBN 978-3-03731-085-4

Es ist spätabends, der Fernseher bleibt aus. Ich liege auf der Couch. Nippe gelegentlich am Glas Rotwein. Vor meinen Augen geht Martin Terrier seiner Arbeit nach. Er ist ein Berufskiller. Auf den ersten Seiten tötet er zwei Menschen in Liverpool, zurück in Paris lenkt er seinen Citroen durch die nächtliche Metropole. Er will aufhören, hat genug, will den Rest seiner Tage mit seiner Jugendliebe Alice verbringen. Doch das ist nicht so einfach, denn seinem Auftraggeber Mr. Cox paßt das gar nicht… es gibt eine Menge Probleme.

„Im Visier“ ist ein Thriller von Jean-Patrick Manchette. Gezeichnet hat ihn Jaques Tardi (120, Rue De La Gare [nach Malet], Elender Krieg [nach Verney], Der Dämon im Eis, Adeles ungewöhnliche Abenteuer). Tardi macht aus seinen Vorlagen stets etwas eigenes, er verändert nicht, sondern gibt etwas hinzu. Für mich ist er der beste Comiczeichner der Welt (keiner zeichnet das Paris der 1950er Jahre wie er). „Im Visier“ ist brutal, schnell, lakonisch, gnadenlos, mit den Bildern von Tardi unwiderstehlich.

Artikel in der TAZ über „Im Visier“:
http://www.taz.de/!85329/

VOM ENDE EINER GESCHICHTE
Kiepenheuer & Witsch, 192 Seiten, ISBN 978-3-462-04433-1

Vorgestern habe ich den neuen und vielgerühmten Roman Vom Ende einer Geschichte von Julian Barnes zu Ende gelesen. Aufmerksam wurde ich auf das Buch, weil es in allen Kulturmedien besprochen wurde, schließlich erhielt Barnes für diesen Roman den Booker Price. Von Julian Barnes kannte ich bisher Flauberts Papagei und die Kavanagh Krimis.

Zum Inhalt des aktuellen Buches:
Tony Webster ist Rentner, hat eine erfolgreiche Berufskarriere und eine Ehe (gütliche Trennung) hinter sich. Er erinnert sich 40 Jahre zurück, an seine Schulzeit und an den Tag, als Finn Adrian seiner Clique beitrat. Er war der mit Abstand intelligenteste von den vieren. Sex und Bücher, das waren die Themen der Freunde, sie probierten sich als moderne Dandys und diskutierten philosophische Fragen. Einen Bruch gab es, als Finn Tony die Freundin ausspann. Später aber geschah ein noch viel tieferer Einschnitt: Finn Adrian nahm sich das Leben. Der Grund hierfür blieb im Dunkeln. So erinnert sich Webster an seine Schulzeit bis er eines Tages ein Teil des Tagebuches Finn Adrians erhält. Und seine Erinnerung erweist sich nun als durchaus trügerisch…

EINFACHE GEWITTER
Berlin Verlag, 448 Seiten, ISBN 978-3833307010

Der Inhalt sei aus dem Klappentext zitiert: “ … Von einer Sekunde auf die andere muss Adam Kindred, angesehener Klimatologe auf Durchreise in London, untertauchen. Jeder Weg zu seinem früheren Leben ist versperrt. Kontakt zur Familie nicht möglich, Kreditkarte und Mobiltelefon nicht zu benutzen, das Hotelzimmer außer Reichweite. Nur Stunden zuvor hatte er in einem kleinen italienischen Restaurant in Chelsea Philip Wang kennengelernt, Chef-Entwickler des Pharmakonzerns Calenture-Deutz.“

Mehr soll nicht verraten werden, außer dieses: Adam muß untertauchen und erlebt die Welt plötzlich aus völlig anderem Blickwinkel (von unten sozusagen). Schließlich gelingt es ihm, die Initiative zu ergreifen, und er ermittelt fortan selbst in seinem Fall. Und das Ende, das verrate ich jetzt doch, ist ein Happy End, das sich themsemäßig gewaschen hat.

Die Kritik war zum Teil überschwenglich, ein Thriller mit literarischem Anspruch hieß es, so schrieb zum Beispiel die geschätzte Iris Radisch in Die Zeit: „Ein literarischer Thriller – unglaublich raffiniert gemacht!“ Nun ja, ich weiß wirklich nicht, ob man dem folgen kann: Ich habe den Roman durchaus mit Interesse gelesen, auch wenn ich auf den immerhin 445 Seiten einige Längen zu überstehen hatte. Aber was mich wirklich geärget hat: Eher schwach gezeichnete, unglaubwürdige Figuren, Ungenauigkeiten in der Beschreibung des Pharma-Geschäfts und eine klischeehafte, irgendwie flach erzählte Geschichte. Nö, der Brecher war dieser Kriminalroman nicht, sorry!