»… und die Kamele lächelten überaus hämisch.« Ich habe Thomas Manns ›Die Geschichten Jaakobs‹ gelesen

Nein, eine Rezension oder gar Kritik dieses ersten Teils der Joseph-Tetralogie von Thomas Mann werden diese Bemerkungen nicht sein. Dazu fehlt mir an Fachwissen so ziemlich alles. Ich habe mich an ›Die Geschichten Jaakobs‹ herangewagt, nachdem ich wieder und wieder um das umfangreiche Romanwerk der Joseph-Romane herumgeschlichen bin, und werde hier in groben Zügen meine Erfahrung teilen. Es gibt ein paar Hindernisse, die zu überwinden gilt, aber am Ende alles halb so wild. Das Vergnügen ist groß, viel größer als erwartet. Zuerst also ein kleiner Überblick, um was es sich bei diesem vierteiligen Zyklus überhaupt handelt.

Vier Teile, das sind ›Die Geschichten Jaakobs‹ (1933), ›Der junge Joseph‹ (1934), ›Joseph in Ägypten‹ (1936) und ›Joseph der Ernährer‹ (1943). Im Jahr 1933 beginnt mit Manns Abreise nach Holland sein Exil, 1934 fährt der Autor zum ersten Mal nach Amerika, 1938 siedelt er mit seiner Familie in die USA über und bleibt dort bis 1952. In den Jahren zwischen vorletztem und letztem Band der Joseph Romane schreibt Mann unter anderem das Essay ›Bruder Hitler‹, den Roman ›Lotte in Weimar‹ und die Radiosendungen ›Deutsche Hörer!‹ entstehen. Nach dem letzten Band der Joseph-Reihe werden der ›Doktor Faustus‹ (1947) und der wunderbare kleine Roman ›Der Erwählte‹ (1951) erscheinen. 1954 noch der erste Teil des Felix Krull, 1955 stirbt Thomas Mann in Zürich.

Der Stoff des Joseph-Romans speist sich aus dem Teil der Genesis (also dem ersten Buch der Tora), der die Erzelternerzählungen (Abraham, Isaak und Jaakob nebst Esau) und die Josephsgeschichte umfasst. Das umfasst in der Bibel Genesis 12-50, gute 40 bis 60 Seiten, je nach Ausgabe. Sich die Namen vor der Lektüre des Joseph Romans erneut präsent zu machen, macht Sinn und die Lektüre des Romans verständlicher. Wer keine Lust auf Bibellektüre hat, kann sich aber auch mit dem Wikipedia-Artikel ›Genesis‹ begnügen. Das mag ausreichen.

Wie aus den Überschriften leicht zu ersehen ist, handeln die Romane chronologisch die Geschichte Josephs ab: Sein Elternhaus, dann seine Jugend, die Zeit in Ägypten, schließlich Josephs Rückkehr. Innerhalb des ersten Teils schreiten die Ereignisse nicht immer chronologisch voran. Gleich zu Beginn treffen wir Joseph am Brunnen an, der Vater Jaakob tritt hinzu und dessen Geschichte wird erzählt. Wie nun der Erzähler die Geschichten Jaakobs wiedergibt, ist sehr komplex. Über allem steht, dass der Mythos der biblischen Erzählung in ein Menschliches, Allzumenschliches transformiert wird, ohne dass bei allem Witz und auch vorhandenem Slapstick die Figuren lächerlich gemacht werden würden. Thomas Mann bedient sich allen Stilmitteln, die ihm zur Verfügung stehen: Da werden Dinge, wo nötig, romanhaft hinzuerfunden, Handlungsabläufe ein wenig geändert, da wird ein Essay über Vater und Brudermord à la Freud eingebaut, da wird über Mythen und Religionen und soziologische Sachverhalte nachgedacht, um im nächsten Kapitel Situationskomik vom Feinsten abzuliefern. Diese Figuren leben und sind aus der Starre des biblischen Kontextes befreit. Das ist großartig zu lesen. Dass auch Lehren, die Thomas Mann aus der Zeit des Faschismus zieht, im Text ihren Niederschlag finden, steht außer Frage.

Es gibt ein paar Schwierigkeiten, die mir bei Romanen Thomas Manns regelmäßig entgegentreten: Da ist der typische Thomas Mann Erzählerton, abgehoben, von oben herab bildungsbürgerlich auf die gesegnete Leserschaft herabrieselnd. Je nach eigener Gefühlslage triggert mich das enorm (oder aber es fasziniert mich). Dann die Mannsche Ironie: Unerträglich für mich(!) in ihrer Penetranz z. B. im Felix Krull. Hier aber wunderbar gesetzt, ich habe diesbezüglich nichts auszusetzen. Das Fehlen von starken und echten Frauengestalten: Nun ich lese auch Wilhelm Raabe und Arno Schmidt mit Vergnügen, da bin ich einigermaßen abgehärtet und weiß, was ich zu erwarten habe. Und im ersten Band des Jospeh-Zyklus gibt Mann sich Mühe: Dina (wenn auch als Opfer), Rebecca, Lea und Rahel bleiben mir sehr wohl als Romangestalten im Gedächtnis.

›Die Geschichten Jaakobs‹ umfassen in meiner großzügig gesetzten Ausgabe 360 Seiten für die 7 Hauptstücke, beginnend mit der Szene am Brunnen und endend mit der Geburt Benjamins und Rahels Tod, plus den 58 Seiten des Vorspiels (Höllenfahrt). In anderen Ausgaben wird die Anzahl der Seiten entsprechend weniger sein. Das Vorspiel ›Höllenfahrt‹ ist ein wahrer Brocken und birgt die Gefahr in sich, genervt und deprimiert die Lektüre abzubrechen, bevor sie überhaupt begonnen hat. Das wäre ein Jammer. Der Essay handelt vom Graben im Brunnen der Vergangenheit, Schicht für Schicht, um den zu dem Schöpfungsmythos zu gelangen, nur um festzustellen, dass es immer weitere Schichten gibt. ›Höllenfahrt‹ ist natürlich auch eine Anspielung auf Dantes Höllenfahrt und enthält die Quintessenz des Josephromans. So ungefähr wenigstens. Ich habe sorgfältig gelesen und das, was ich nicht verstanden habe, stehen gelassen. Man könnte auch gleich auf das Vorspiel verzichten und direkt in das erste Hauptstück eintauchen. Das ist erlaubt, weil es ja ein Buch ist.

Schon sind wir beim Thema Hilfsmittel, um die Komplexität des Romans besser zu verstehen: Ein hilfreiches kleines Buch ist Hermann Kurzkes ›Mondwanderungen‹. Es fasst auf gut 200 Seiten den Aufbau des Romans, die wichtigsten Figuren und die Wirkungsgeschichte zusammen. In der großen kommentierten (und teuren) Frankfurter Ausgabe hat man die Möglichkeit, die beiden Bücher (es sind hier jeweils zwei Bücher zusammengefasst) mit einem jeweiligen Kommentarband zu erwerben. Man kann, aber man muss nicht. Ich habe mir die beiden Doppelpacks vor wenigen Jahren gegönnt und der Kommentarband wurde von mir während der Lektüre genau zweimal genutzt: Einmal nachdem ich zu Beginn des 4. Hauptstücks in dem ersten Kapitel ›Urgeblök‹ an meine Verstandes- und Toleranzgrenzen stieß. Ich stellte das Buch entnervt ob meines Unverständnisses ins Regal zurück und erinnerte mich kurz danach an den Kommentarband. Dort erfuhr ich, dass in diesem Kapitel eine mannsche Auseinandersetzung mit Sigmund Freuds ›Totem und Tabu‹ vonstatten ging. Ich grummelte ein wenig, las weiter und hatte alsbald wieder viel Spaß mit der Lektüre. Das zweite Mal kam ich an eine schockierende Stelle. Gegen Ende des vierten Hauptstücks, Jaakob ist inzwischen bei Laban, las ich Folgendes:

Später erfuhr Jaakob, dass das Paar in der Frühzeit seiner Ehe sehr wohl ein Söhnchen gehabt, es jedoch anlässlich des Hausbaues geopfert, nämlich lebend in einem Tonkruge, unter Beigabe von Lampen und Schüsseln, im Fundament beigesetzt hatte, um damit Segen und Gedeihen auf Haus und Wirtschaft heraufzubeschwören.

Thomas Mann legte großen Wert darauf, Erkenntnisse der Altorientalistik in seinen Text einzuarbeiten. Entsprechende Funde im Zweistromland würde man heute eher als Grabstätten und nicht als Hausopfer interpretieren. Mann wollte derart die archaische Rückständigkeit Labans unterstreichen. Nun ja, zweimal habe ich den Kommentarband also gewinnbringend genutzt. Bedingung für die Lektüre ist er nicht gewesen.

Mein Ratschlag wäre also: In der lokalen Buchhandlung des Vertrauens eine Ausgabe ›Die Geschichten Jaakobs‹ bestellen, die Wartezeit mit dem Wikipediaartikel über die Genesis verbringen und am nächsten Tag loslegen, guten Gewissens gleich mit dem ersten Hauptstück. Unverständliche Stellen würdig ignorieren und mit einem Heidenspaß der Lektüre frönen. Ein großartiges Buch. Und es warten ja noch drei weitere Teile.

2 Kommentare on "»… und die Kamele lächelten überaus hämisch.« Ich habe Thomas Manns ›Die Geschichten Jaakobs‹ gelesen"


  1. Chapeau!
    Der Josephroman. Ein gewaltiges Trumm. Nicht bloss vom Umfang, auch von den Kreuz- Querbedeutungen. Ich bin vor zig Jahren tatsächlich schon bei der Höllenfahrt wieder ausgestiegen.
    Vielleicht sollte ich doch noch mal… Die Winterzeit mit langen dunklen Abenden kommt demnächst wieder.
    Vielen Dank für den Bericht und Anregung.
    Robert

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    1. Vielen Dank und sehr gern, Robert. Der Roman ist ein großes Vergnügen und das Vorspiel kann man wirklich weglassen. Da geht ersteinmal nichts verloren.
      Die vier Romane sind außerdem im Abstand von Jahren geschrieben worden. Man muß das auch nicht hintereinander weglesen.
      Schönen Sonntag noch!

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