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Die Neuausgabe von Eduard von Keyserlings ›Wellen‹ in der ›Manesse Bibliothek‹ 2011 hatte mal wieder für einige Bewegung im deutschsprachigen Feuilleton gesorgt: Die soundsovielte Wiederentdeckung des Autors. Inzwischen gibt es auch noch Sammlungen der Erzählungen (2018), der späten Romane (2019) und der Feuilletons (2021) in der Schwabinger Ausgabe, ebenfalls bei Manesse. Eduard Graf von Keyserling entstammt dem baltischen Zweig der ländlich-adeligen Familie Keyserlingk auf Schloss Tels-Paddern im heutigen Lettland, so steht es in Wikipedia. Er wurde dort 1855 geboren und starb schwer krank und verarmt, doch bis zuletzt außerordentlich produktiv 1918 in München. Der Roman ›Wellen‹ von 1911 gehört zu seinem Spätwerk und stellt ohne Zweifel einen Höhepunkt seines Schaffens dar.

Und wieder hat der Wallstein Verlag einen „neuen“ Raabe herausgebracht. Das ist sehr erfreulich und diese Renaissance Raabes auf dem Buchmarkt war vor wenigen Jahren durchaus nicht erwartbar. Ich habe u. a. die 26 Bände der Braunschweiger Ausgabe in den Regalen stehen, aber zum einen wurde die kritische kommentierte Ausgabe des Wallstein Verlags im Vergleich zu den Bänden aus den 1960er Jahren nicht nur im Anmerkungsbereich sinnvoll aktualisiert, zum anderen sind diese neuen Ausgaben sehr ansprechend ausgestattet. Und zu guter Letzt gehört der Verlag für dieses nicht risikolose Unternehmen belohnt. Was zählen da schon überbordende Regale?

Dann also mal los. Es liegt noch manches ungelesen in den Regalen, aber jetzt soll es ans Ende gehen. Raabes vorletzter vollendeter Roman und vielleicht der wichtigste? An ›Die Akten des Vogelsangs‹ schrieb Raabe gut zwei Jahre. Er plagte sich. 1895 veröffentlicht gehört es natürlich zum Alterswerk und damit zu dem Abschnitt seines Schreibens, der uns heute mit Abstand am meisten interessiert. Während er an dem Buch schrieb, feierte er seinen 63-jährigen Geburtstag. Ich bin, während ich hier berichte, nur wenig älter und behaupte, dass es im doppelten Sinne ein Alterswerk ist. Wer schon ein wenig erlebt hat, wer noch in der Lage ist, in sich zu fühlen und Fragen zu stellen, wird von diesem Buch angefasst werden.

»Der neue Wunnicke ist da«, so hallt es durch Blätter und Webseiten. Kein Feuilleton lässt sich das 2025 im Berenberg Verlag erschienene ›Wachs‹ von Christine Wunnicke entgehen und viele Blogs besprechen zeitnah. Mir wurde die Autorin mit der Verleihung des Wilhelm-Raabes-Literaturpreises 2020 bekannt und ich habe seitdem alle ihre Veröffentlichung gelesen. Nur einige frühere Romane stehen noch in wartender Stellung im Regal. Ich gehöre also zu den geneigten Leserinnen und Leser ihrer Romane und will deshalb an diesem Ort ebenfalls ein paar Anmerkungen zu ihrem neusten Roman loswerden.

Es ist immer zu viel los und die benötigten Pausen (= einfach nur blöd schauen) werden mit zunehmenden Alter länger. Deshalb erst jetzt der Rückblick auf meinen ersten Lesemonat im neuen Jahr. (Ein wenig Gitarre habe ich übrigens wieder gespielt, was sehr erfreulich ist, denn die olle Schulter scheint wieder mitzumachen.) Aber bleibe ich bei den Büchern: Die erste Lektüre dieses Jahr war ›Mario und der Zauberer‹ von Thomas Mann. Kennt man natürlich, aber vielleicht ist es schon länger her, dass die Novelle gelesen wurde. Dann schreiben ja alle Zeitungen von Wolf Haas und seinem neuen raffinierten Roman ›Wackelkontakt‹. Natürlich war ich ein Fan von Brenner, warum also nicht zu dem gelben Buch mit dem unscharfen Cover greifen? Last but not least sollte es ein Krimi sein. Oder vielleicht doch eher ein Roman? ›Die Aosawa Morde‹ von Riku Onda.

Es soll sich in meinem Blog etwas ändern. Genauer: Für mich wird sich etwas ändern. Ich will zukünftig meine Beiträge wie ein Journal oder Tagebuch schreiben. Hin und wieder Einträge über verschiedene Dinge wie Gedanken, die mich beschäftigen, oder Musik und Bücher, die mich beeindrucken. Ausführlicherer Besprechungen, die dann Autor und Titel des Buches als Beitragsüberschrift haben, werden seltener. So weit der Plan.

Wallstein Verlag 2024, hg. und kommentiert von Rolf Parr, 236 S., ISBN 978-3-8353-5753-2

Der Wallstein Verlag hat den zweiten Band seiner Neuedition maßgeblicher Werke Wilhelm Raabes veröffentlicht. Es wurde nicht wie ursprünglich geplant ›Der Lar‹, sondern ›Unruhige Gäste – Ein Roman aus dem Säkulum‹. Der Roman gehört zu Raabes Spätwerk, welches für die heutige Leserschaft immer noch von Interesse ist. In dem Buch umfasst die Erzählung 179 Seiten. Es folgen editorische Notizen, 16 Seiten Anmerkungen, ein gut 20-seitiges Nachwort des Herausgebers Rolf Parr, Siglen, Literaturverzeichnis und Abbildungsnachweise der 6 Abbildungen im Anhang. Auf dem Schutzumschlag erkennt man zwei stattliche Gebäude vor einem Berghang, die ich anhand eines Bildes im Anhang als Kurhaus und Actienhôtel in Bad Harzburg auf einem Postkartenmotiv von 1908 identifizieren kann. Heimspiel.

Wallstein Verlag 2023, hg. und kommentiert von Moritz Baßler. 288 S., ISBN 978-3-8353-5521-7

Das ist ja ein Ding! Es gibt eine neue kritische kommentierte Ausgabe der Werke von Wilhelm Raabe! Der erste Band erschien im Oktober 2023 im Wallstein Verlag: ›Fabian und Sebastian. Eine Erzählung‹. Der Erstdruck dieses Werkes erfolgte 1881 und 1882 in ›Westermann’s illustrierte Monats-Hefte‹. Herausgeber der Hefte war der zu dieser Zeit sehr bekannte Schriftsteller Friedrich Spielhagen. Die lange Erzählung Raabes gehört also zu dessen Spätwerk und wurde lange Zeit eher übersehen als besprochen, galt aber auch als eine Art Geheimtipp. Für mich Grund genug, mir diese Ausgabe zu besorgen und ›Fabian und Sebastian‹ zu lesen.

Deutscher Kunstverlag 2022, Hg.: Klassik Stiftung Weimar, Broschur, 112 S., ISBN: 978-3-422-98919-1

Arno Schmidt Lesern und Leserinnen dürfte Fanny Esterházy ein Begriff sein, hat sie doch 2016 den wundervollen Prachtband ›Arno Schmidt. Eine Bildbiographie‹ herausgegeben. Hier fungiert sie als Autorin des Bandes ›Wielandgut Oßmannstedt‹, den der Deutsche Kunstverlag in seiner Reihe ›Im Fokus‹ veröffentlicht hat. Das Gut bei Oßmannstedt diente dem Dichter Christoph Martin Wieland für sechs Jahre als Wohnsitz. Jahre in denen Wielands letzter Roman und Höhepunkt seines Schaffens ›Aristipp und einiger seiner Zeitgenossen‹ entstand.

Aufbau, Berlin 2001 (Große Brandenburger Ausgabe. Das erzählerische Werk. Bd. 17), 716 S., ISBN 3-351-03129-7.

»Zum Schluß stirbt ein Alter, und zwei Junge heiraten sich; – das ist so ziemlich alles, was auf 500 Seiten geschieht. Von Verwicklungen und Lösungen, von Herzenskonflikten oder Konflikten überhaupt, von Spannungen und Überraschungen findet sich nichts.«, zitiert aus einem Briefentwurf Fontanes an Adolf Hoffmann. An anderer Stelle: »Einerseits auf einem altmodischen märkischen Gut, andererseits in einem neumodischen gräflichen Hause (Berlin) treffen sich verschiedene Personen und sprechen da Gott und die Welt durch. Alles Plauderei, Dialog, in dem sich die Charaktere geben, und mit ihnen die Geschichte.« Mit diesen beiden Zitaten Fontanes aus dem Jahre 1897 wäre eigentlich alles über ›Der Stechlin‹, Theodor Fontanes letzten, 1898 posthum veröffentlichten Roman, gesagt. Doch geben wir uns ein klein wenig mehr Mühe.