Wolfgang Schorlau: Die schützende Hand
Kiepenheuer & Witsch, 2015, 384 S., ISBN: 978-3-462-04666-3, auch als eBook erhältlich.
Wir hören sie laufend: Schreckensmeldungen, Skandale, Katastrophen …. Und wir können und wollen kaum noch darauf reagieren. Es reicht für ein paar Diskussionen im Bus, am Arbeitsplatz oder am Stammtisch. In die Tiefe gegangen, nach dem Gründen für irgendeinen Missstand gesucht wird kaum, denn die nächste Sensationsmeldung ist schon im Anmarsch und die Tatsachen werden nach dem ersten Bohei aus den Augen verloren, sollten sie selbiges überhaupt erreicht haben. Die Halbwertszeiten für Skandale werden immer kürzer und richten sich nach ihren medialen Verwertbarkeiten, nicht nach ihren Folgen und Ausmaßen. Die Tatsachen selbst und die Schlussfolgerungen, die aus diesen gezogen werden müssten, interessieren kaum. Allenfalls eine Zweiminuten-Nachricht in der Tagesschau: Zschäpe will aussagen, sagt dann nichts, Frisur, Mimik, allgemeine Empörung, fertig. Der Nächste bitte.

Um die abgedrehte Handlung dieses futuristisch-wissenschaftlichen Thrillers zu umreißen, bemühe ich den Verlagstext: „Die nahe Zukunft: Die Nano-Droge Nexus ermöglicht es den Menschen, die Grenzen der eigenen Wahrnehmung zu überschreiten und mit dem Bewusstsein anderer in Verbindung zu treten – ein gewaltiger Schritt in der Evolution des Menschen. Als jedoch eine Gruppe skrupelloser Wissenschaftler Nexus für ihre eigenen Zwecke missbraucht, zwingt die US-Regierung den jungen Nano-Techniker Kade Lane, sich in die Organisation einzuschleusen, um ihrem Treiben ein Ende zu bereiten. Lane gerät in einen Strudel aus Machtgier, Korruption und Mord …“
Fragt man mich nach meinen Lieblingsbüchern, so nenne ich neben anderen auch gern „Das Herz ist ein einsamer Jäger (The heart is a lonely hunter)“ von Carson McCullers. Ich verschenke das Buch sehr oft, selbst gelesen habe ich es vor vielen, vielen Jahren. Als ich vor wenigen Wochen das Buch wieder einmal als Geschenk verpackt habe, kamen mir die Idee und auch die große Lust, es erneut zur Hand zu nehmen. Es ist bekanntlich immer eine spannende Angelegenheit, ein geliebtes Buch nach langer Zeit wieder zu lesen. Enttäuschung, neue Perspektiven, Déjà-vu-Erlebnisse, Bewußtwerdung der eigenen Entwicklung … vieles ist möglich und so war ich sehr gespannt.
Kriegsende vor siebzig Jahren, da war es auch an mir, eine zum Ereignis passende Neuerscheinung zu lesen. Fast neu, denn „Alles Licht, das wir nicht sehe“ erschien bereits 2014 als deutsche Übersetzung. Inzwischen gibt es viele positive Besprechungen hierzulande und Anthony Doerr hat für den Roman den Pulitzerpreis 2015 in der Sparte Belletristik erhalten.

Erich Kästner: Fabian. Die Geschichte eines Moralisten. Der Roman erschien nach einigen vom Verlag verlangten Kürzungen und Änderungen 1931, wurde ein Erfolg und schon zwei Jahre später von den Nazis als entartet gebrandmarkt, schließlich verboten und verbrannt. Seit fast einem Jahr gibt es den Fabian nun ungekürzt, in seiner ursprünglichen Fassung und unter dem eigentlich vorgesehenen Titel Der Gang vor die Hunde auf dem Markt. Zu verdanken ist diese Rekonstruktion einer »imaginären Erstausgabe« dem Münchner Germanisten und Kästner-Biografen Sven Hanuschek. Kein neuer Fabian, vielmehr ist Der Gang vor die Hunde rauer, deftiger und erotischer. Eben nichts für Konfirmanden wie Kästner selbst sagte.
Joachim Meyerhoff ist ein gefragter Theaterschauspieler, zur Zeit mit Engagements am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg und dem Burgtheater in Wien, und er ist ein erfolgreicher Autor obendrein. „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ ist der zweite Teil des sechsteiligen Zyklus „Alle Toten fliegen hoch“. Meyerhoff erzählt von seiner Kindheit inmitten der Kinder- und Jugendpsychatrie Hesterberg am Rande der Stadt Schleswig. Die Anstalt beherbergte 1200 Patienten, allerdings nicht ausschließlich Kinder und Jugendliche, sondern auch erwachsene Menschen mit körperlicher, geistiger und psychischer Behinderung. Und im wahrsten Sinne des Wortes mittendrin lebt Joachim mit seinem Vater, dem erfolgreichen, aber weitesgehend lebensunpraktischen Direktor der Psychatrie, seiner mit der ihr zugedachten Rolle hadernden Mutter, seinen zwei ihn traktierenden älteren Brüdern und dem Familienhund, der ihm nicht selten der treueste Freund zu sein hat. Aber nicht nur aus dem Leben seiner Familie, auch aus dem der Patienten wird mit Humor, Respekt und Zuneigung erzählt. Meyerhoffer geht hierbei nicht zwingend chronologisch vor. Es gibt Erinnerungssprünge und auch weit über seine Kindheit hinausgehende Begebenheiten, die in dem Roman ihren Platz finden.