Literatur

Chris Ware, der Erschafffer des außergewöhnlichen Comics „Jimmy Corrigan – Der klügste Junge der Welt“, das es jetzt endlich auch in deutscher Sprache gibt, auf der Leipziger Buchmesse. Der Ton ist leider nicht so berühmt, interessant ist das Interview auf jeden Fall. Einen lesenswerten Aufsatz von Katja Lüthge über die berühmte Graphic Novel gibt es hier (externer Link) in der Taz zu lesen. Wer Leseproben ansehen will, sei auf die entsprechende Seite des Reprodukt Verlags (externer Link) hingewiesen.

Evolver, 200 Seiten (Print), ISBN: 978-3950255874

Das Gute zuerst: Es geht in Fleischwölfe nicht um Vergewaltigung, wie das Cover nahelegen könnte. Es geht um Kannibalismus: Äpfel sind böse (sagt die Bibel), wir sind Gottes Kinder, wir essen Fleisch. Das Fleisch von zufällig vorbeifahrenden Passanten in einer atomverseuchten Wüste. Beschrieben wird die Nahrungsbeschaffung der reizenden Familie Stern aus verschiedenen Perspektiven: Die des Sohnes der Familie, eines ehemaligen Polizisten, eines Liebhabers des Horrorvideo-Genres, eines Toten und mehr. Dann stellt sich noch die Frage, ob es den Film, dem das Buch vorausging, überhaupt gibt, geben kann? Oder ist alles Fiktion? Und was machen die Medien daraus?

»Stettin, den 1. September 1916. Herrn und Frau N.N.! Die gewaltige Wendung, die die Gnade des allmächtigen Gottes, unsere durch seine Macht und Kraft bewaffneten Truppen uns errungen haben, lassen uns in eine große gesegnete kommende Zeit blicken. Möchte unser Volk so viel Gnade nie vergessen, nie den alten Gott, der Staat und Volk vor allem Übel bewahrt. Ihre Wohnung kostet vom 1. Oktober ab 30 Mark. Achtungsvoll Frau R.«

(Karl Kraus: Die Fackel Nr. 445-453, 68)

Hoffmann und Campe, 240 Seiten, ISBN 978-3-455-40418-0

Eine Konstruktion wie ein Escher-Bild, so oder so ähnlich könnte man dieses Buch nach seiner Besonderheit gefragt beschreiben: Der Held (und Freund des Autors) Benjamin Lee Baumgärtner verliebt sich immer wieder aufs Neue an Orten (London bis Bienenbüttel), an denen grad eine Seuche (von Rinderwahnsinn bis  EHEC) ausbricht. Nebenher sucht er nach seinem indianisch-stämmigen Vater. Im Buch treten aber auch das Buch selbst und der Autor auf. Situationen werden typografisch dargestellt und verdeutlicht (ein Hoch auf die Druckkunst!) und um zu zeigen, wie man nichts versteht, wenn in einem Raum chinesisch gesprochen wird, werden schon einmal ein paar Seiten mit chinesischen Schriftzeichen gedruckt. Das ist intelligente Spielerei, ohne Frage gelungen, aber mit der Zeit auch ermüdend. Ebenso wie das gewollte Verzögern der Handlung,um langen Diskussionen über Sprache Raum zu geben. Eine intellektuelle Spielwiese, auf der sich zu amüsieren Wolf Haas den Leser einlädt. Vom typisch lakonisch-flapsigen Haas-Ton bleibt bedauerlicher Weise zu oft nur die Weitschweifigkeit. Konstruktion frißt Flair, hätte mein Urteil gelautet, wäre da nicht der wirklich amüsante Schluß gewesen. Plötzlich wird wieder erzählt, überraschend und sehr witzig. Ich schließe das Buch lachend, aber auch ein wenig ratlos.

DRACULA (übersetzt von Andreas Nohl)
Steidl Verlag, 540 Seiten, ISBN 978-3869304625

„Nein“, sagte sie und hob abwehrend die Hand, „in diesem Augenblick hält der Tod mich fester umklammert als würde die Erde eines Grabes auf mir lasten!“. So heißt es gegen Ende des Vampirroman-Klassikers von Bram Stoker. Man merkt, daß hier reichlich Pathos und Kitsch geboten wird. Auch in den Handlungssträngen und was das Erzähltempo angeht holpert und stottert es ab und an bedenklich. Dies ist vor allem der Erzähltechnik des Briefromans geschuldet. Formal besteht Dracula aus Briefen und Tagebucheinträgen der Protagonisten, auch ein Phonograph kommt zum Einsatz. Diese Wahl der Form sollte der Handlung Authentizität vermitteln. Eine Rechnung, die heute natürlich nicht mehr aufgeht. Nein, ein Artist der Sprache war Bram Stoker nicht, einer der berühmtesten Autoren der Literaturgeschichte schon.

ALOIS NEBEL
Voland & Quist, 360 Seiten, ISBN 978-3-863910-12-9

Schon Wolfgang Hildesheimer ließ seinen Romanhelden in Tynset Kursbücher lesen und auch Alois Nebel, Fahrdienstleiter an einem kleinen Bahnhof an der tschechoslowakisch-polnischen Grenze, im ehemaligen Sudetenland, sammelt und liest am liebsten Fahrpläne („Ich lese auch gerne auf dem Klo. – Was denn? – Fahrpläne. Da ist immer alles gleich“). Geplagt wird er von Alpträumen, die ihn bei nebliger Witterung heimsuchen: Geister aus den Epochen der jüngeren Geschichte Mitteleuropas (Nazizeit, Vertreibung der Deutschen, sowjetische Besatzung) fahren in Zügen durch Alois Nebels Bahnhof. Schließlich bringen diese düsteren Visionen den Helden in eine Nervenheilanstalt. Er lernt den mysteriösen Stummen kennen und freundet sich mit ihm an. Der Kampf gegen seine Dämonen beginnt, und auch eine wunderbare Liebesgeschichte.

LANDGERICHT
Jung und Jung, 496 Seiten, ISBN 978-3-99027-024-0

Warum lese ich diesen Roman? Aufmerksam geworden wurde ich wieder einmal durch den Bücherdiwan auf Bayern 2, sowie den vielen Berichten in den Medien, denn Frau Krechel hat dieses Jahr für Landgericht den Deutschen Buchpreis erhalten. Und ich interessiere mich für Geschichte, vor allem Familiengeschichte. Was in den Köpfen der Menschen der jungen Bundesrepublik vor sich ging, ist für mich ein höchst interessantes Thema.

Das ewige Problem mit meinen Bücherstapeln:

Inzwischen stehen Türme auch vor dem Regal und versperren den Zugang zu den anderen Büchern. Der Werkhaus Hocker aus Pappe, ein Geschenk, holte meine Haufen erst einmal vom Boden. Vier separate Stapel haben Platz auf der Sitzfläche. Schaut wenigstens ein wenig wohnlicher aus. Aber zu bewegen ist dieses Gebilde natürlich nicht.

Gestern im Baumarkt (nicht mein Lieblingsort, eigentlich) auf der Suche nach einem Wäscheständer. Ich sehe einen Mann mit einem Möbelroller unterm Arm … und mein Gehirn schafft es, blitzartig die Verbindung herzustellen. 200 kg Tragkraft für wenig mehr als 10 Euro, 100 Bücher haben nun bequem Platz und rollen lässig vor meinem Hauptregal hin und her. So einfach ist das manchmal.

Nebenbei: Finden kann ich meine ungezählten Bücher mit Hilfe einer Katalogisierungssoftware.