Richard Koechli: Der vergessene König des Blues – Tampa Red

tredition 2017, 272 S., ISBN: 978-3-7439-0616-7, auch als eBook zu haben.

Als Hudson Whittaker 1981 verarmt und vergessen in einem Altenheim in Chicago starb, lernte ich ihn als Tampa Red, den „Guitar Wizard”, kennen. Und ich hörte in den folgenden Jahren meine Tampa Red Yazoo-Scheibe rauf und runter: „Bottleneck Guitar – 1928-1937”. Vor allem hatte es mir der „Denver Blues” angetan. So einfach und doch irgendwie unerreichbar. Wie machte er das bloß, wie schaffte er diesen Ton. Es gab noch keine rauschunterdrückte CDs und keine druckbaren Tabs im Netz: Was ich da hörte, erschien mir umso magischer. Heute stehen dem lernenden Musiker viel mehr Möglichkeiten offen. Eine musikalische Perle an Technik und Phrasierung bleibt dieses Stück aber bis heute. Tampa Reds Schaffenszeit reichte von 1928 bis 1953, dann noch mal zwei LPs 1960 und 1962, dann nichts mehr. Einer der produktivsten, wirkungsreichsten und kommunikativsten Blueskünstler wurde einfach vergessen. Robert Johnson, Son House oder Blind Willie Johnson, um nur einige wenige Künstler der ersten beiden Dekaden des Blueszeitalters zu nennen, sind bis heute bekannt und genießen Kultstatus. Tampa Red? Sein Bekanntheitsgrad steht in einem gänzlich falschen Verhältnis zu seiner Wirkungskraft. Richard Koechli, der bekannte Bluesmusiker und Autor aus der Schweiz hat sich aufgemacht, dieses Verhältnis zurechtzurücken: „Der vergessene König des Blues – Tampa Red” heißt seine in diesem Jahr erschienene Biografie in Romanform.

Koechlis Buch ist aufgeteilt in 6 Kapiteln, einem Schlusswort, gefolgt von gut ein Dutzend Stellungnahmen von Persönlichkeiten der heutigen Bluesszene zu Tampa Red, einigen CD-Tipps (leider fehlen die wichtigen Complete Works 1-15 von Document Records) und Informationen zum weiteren Schaffen des Musikers und Autoren Richard Koechli. Der Gegenstand des Romans ist also Tampa Red, dessen bürgerlicher Name Hudson Whittaker war. Geboren 1904 in Smithville im US-Bundesstaat Georgia, gestorben 1981 in Chicago. Seine Karriere begann 1928: Als die „Hokum Boys”, gemeinsam mit dem Pianisten Georgia Tom (Thomas A. Dorsey), landete Tampa mit „It’s Tight like That” (ein Song voller Schlüpfrigkeiten) einen ersten Hit und es sollten für Tampa Red in den nächsten Jahren in wechselnden Besetzungen viele weitere folgen. Er bekam den Titel „The Guitar Wizard” aufgrund seines rasanten Single-String-Bottleneck Spiels verpaßt. Tampa Red spielte bis in die 1940er Jahre eine National Tricone Gitarre (eine Gitarre mit Metallkorpus und drei eingebauten Resonatoren), dann eine Gibson ES-150, eine der ersten elektrischen Gitarren. Er war ein hervorragender Sänger, außerordentlich fruchtbarer Komponist und, ach ja, auch ein leidenschaftlicher Kazoospieler. Jeder Bluesfan kennt Songs wie „Anna Lou”, „Black Angel Blues”, „Crying Won’t Help You”, „It Hurts Me Too” oder „Love Her with a Feeling”, Bluesvergreens, die allesamt aus der Feder von Hudson Whittaker stammten. Ferner war sein und seiner Frau Haus in Chicago „der” Musikertreffpunkt. Dort war Tampa Red Gastgeber, Freund und Mentor vieler späteren Bluesgrößen. Der Tod seiner Ehefrau Frances 1953 warf ihn völlig aus der Bahn. Dazu kamen massive Alkoholprobleme. 1960 und 1962 kam es noch einmal zu zwei Produktion: „Don’t Tampa With The Blues” und „Don’t Jive Me” heißen diese berührenden letzten Aufnahmen, danach wird es dunkel um diesen einstigen Star der Bluesszene. Das Bluesrevival der 1960er Jahren geht an ihm vorbei, er hat die Kraft nun nicht mehr. Verarmt, stirbt er 1981 in einem Altenheim. Es ist Richard Koechli zu verdanken, daß dem Bluesfan jetzt eine geballte Sammlung an Wissen über Werk, Zeit und Wirkungsgeschichte dieses großartigen Musikers zur Verfügung steht. Über die Form, die Koechli wählt, nämlich die mehrer fiktiver Interviews kurz vor Hudson Whittakers Tod, kann man allerdings auch streiten. Aber der Reihe nach.

Zuerst muß das Cover gelobt werden: Inspiriert von einem Foto von Jacques Demêtre hat es Roland Sommer angefertigt. Ein Volltreffer: Vor der Silhouette von Chicago (wie man vermuten darf) sitzt Tampa Red versonnenen Blickes mit seiner Gibson auf dem Schoß. Alles schlicht in schwarz-weißer Schraffur gehalten, wirklich sehr gelungen. Und schon kommen wir zum Text, der Biografie in Romanform. Wie schon gesagt: Hudson Whittaker alias Tampa Red starb einsam und vergessen 1981 in einem Altenheim. Koechli läßt ihn nun in den letzten Wochen seines Lebens zwei Freunde finden, die ihn dazu anhalten, seine Lebensgeschichte zu erzählen. Genau geht das so: Anna, die im Pflegeberuf ihre Profession findet, macht in einem Chicagoer Altenheim, indem der in sich zurückgezogene Whittaker lebt, ein Praktikum. Sie möchte über Biografiearbeit Zugang zu den Patienten bekommen und sucht sich für einen Versuch eben diesen Mr. Whittaker aus. Der beginnt sich zu öffnen und als sie zu Hause ihrem Freund Eric von diesem besonderen Mann erzählt, erkennt dieser recht schnell, daß es sich bei Hudson Whittaker nur um Tampa Red, den Guitar Wizard handeln kann. Eric ist von Beruf Automechaniker, seine eigentliche Berufung aber ist es, alles über die Bluesgeschichte wissen zu wollen. Ein Bluesexperte also, man kennt diese Leute. Also los geht’s: Selbstredend treffen sich die drei von nun an regelmäßig zum Interview, der vergessene Bluesstar, Anna, die für Seele und Gefühl zuständig ist, und der junge, altkluge Kenner der Bluesgeschichte. Der romanhafte Tampa Red erfährt in den letzten Wochen eine Anerkennung, die er im wirklichen Leben bedauerlicherweise nicht erfahren hat. In dieses erzählerische Konstrukt packt Koechli alles, was er Biografisches und Wirkungsgeschichtliches über Tampa Red erforscht hat. Und das ist jede Menge. Selbst wer vorher nichts über die Blueshistorie der 1920er und 1930er Jahre wußte, kann nach der Lektüre des Buches auf belastbares Grundwissen verweisen. Und wer schon Voraussetzungen mit bringt, wird sein bisheriges Wissen vertiefen können. So gesehen: endlich eine angemessene biografische Arbeit über diesen wunderbaren und wichtigen Bluesmusiker.

Aber besteht das Buch als Roman, als Biografie? Das Buch wird in Blueskreisen, soweit ich das überblicken kann, sehr gelobt. Das sei Koechli bei all der Arbeit des Sammelns und Recherchierens vergönnt. Die Leserin ist aber in diesem Fall nicht nur Bluesfan, sondern auch Literaturliebhaberin und hat bei der Lektüre erhebliche Kopfschmerzen bekommen. Die Figuren sind einfach zu schablonenhaft gezeichnet. Die Dialoge stimmen häufig nicht. Man merkt es dem Buch an, daß der Autor seine liebe Mühe hatte, das ganze Material in die Wortwechsel zu quetschen. Es wirkt zu oft zu gekünstelt und die Protagonisten leben einfach nicht aus sich heraus. Leider verstärkt sich dieser Eindruck je länger die Lektüre andauert. Und das Rollenverständnis des Autors läßt die Leserin schon mal die Luft anhalten. Eine Kostprobe, es sprechen Whittaker, Eric, dann Anna und es geht um die Schellackplattensammlung von Eric:

«Wenn uns damals jemand gesagt hätte, dass diese Dinger später zwischen Sammlern für Unsummen gedealt würden, hätten wir uns totgelacht.»
«Diese Dinger sind Zeugen der Musikgeschichte, für mich wertvoller als jedes Gold der Welt.»
«Eric hütet sie wie Schätze. Ich darf mit meinem Putzlappen noch nicht mal in die Nähe seiner Sammlung kommen, schon gehen sämtliche Sirenen los», scherzte Anna.

Mit anderen Worten: Es ist mühsam diesen Roman als Roman zu lesen. Und lese ich den Roman als Biografie, nervt der Plot drumherum. Leider ist das aus literarischer Sicht mein ernüchterndes Fazit. Als Bluesfan allerdings bin ich froh, daß es endlich eine Biografie über diesen großartigen Künstler gibt. Es wurde höchste Zeit und deshalb ist Richard Koechli dafür uneingeschränkt zu danken.

Anmerkungen:

  • Wer die Musik von Tampa Red kennenlernen möchte, kann den Namen einfach in die Youtube-Suche eingeben. Es gibt genug für’s erste Kennenlernen. Wer weiter gehen will: Die erwähnte Veröffentlichung auf Yazoo ist sehr zu empfehlen (gibt es sie auch als Download) oder eines der vielen Best-Of. Perfekt ist die 15 CD Ausgabe bei Document. Dann fehlen nur noch „Don’t Tampa With The Blues” und „Don’t Jive Me” von 1960 und 1962 und man wäre komplett.
  • Bei den Statements der zeitgenössischen Musiker bitte nicht das des Musikers, Autors und Blueskenners Klaus Mojo Kilian verpassen: Das Thema des begnadeten Harpspielers ist selbstverständlich das Kazoo („stöhn!”).
  • Freunde des eBooks bezahlen in diesem Falle nicht nur erheblich weniger, sondern haben auch die Möglichkeit per Wortsuche das fehlende Namensregister zu ersetzen.
Die letzten Hörzeichen von Tampa Red

3 Kommentare on "Richard Koechli: Der vergessene König des Blues – Tampa Red"

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