Die letzten Tage konnte ich des Öfteren über die Charaktereigenschaft „Scheu-sein“ lesen und hören. Da ist zum einen der neue erste Katholik, dem man diese Eigenschaft nachsagt, zum anderen wird der heranwachsende Big Daddy Wilson als extrem scheuer Junge vom Lande, der in Edenton, North Carolina, bei Mutter und Großmutter aufwächst, beschrieben. Wochentags besuchte er die Schule, Sonntags ging’s in die Kirche. Schließlich verließ Young Wilson mit 16 Jahren das behütete Zuhause und schloß sich wie viele junge Amerikaner der Armee an. Wenige Jahre später verliebte er sich in eine deutsche Frau und blieb. Das Schicksal nahm seinen Lauf: Ausgerechnet in Deutschland besuchte er sein erstes Blueskonzert und wurde illuminiert. Das Gedichteschreiben trat in den Hintergrund, fortan gab es ein Ziel: Blues! Er mußte auf die Bühne, und spätestens hier verlor sich die Scheu. Bei RUF Records folgte vor nicht ganz zehn Jahren die erste CD, inzwischen sind es acht, der Mann hat Nachholbedarf.
Und nun schließt sich die neunte Veröffentlichung an: Im April wird „I’m Your Man“ des Bluesman, Singers und Songwriters auf dem Label Dixiefrog erscheinen. Die Besetzung: Natürlich Big Daddy Wilson Gesang, Gitarren von Staffan Astner, Sven Lindvall sorgt für den Rhythmus, Per Lindvall bedient Bässe und Tuba, die Tasten Peter Hallström. Dazu spielt Petra Wahlgren Viola und Violine, singt Andre de Lange im Hintergrund und hat Eric Mossnelid einen Auftritt mit seiner Klarinette.
Und nach was klingt „I’m Your Man“? Man könnte sagen, mal nach Ry Cooder, mal nach John Lee Hooker, mal nach B.B. King, aber immer nach Big Daddy Wilson. Dessen fantastische Stimme zieht sich wie ein Leitfaden durch alle Songs: Dunkel, tief, nuancenreich, Suche statt Klischee. Der Spätberufende fasziniert, er nimmt den Zuhörer mit und zeigt, was für eine wunderbare Sache dieser Blues ist. Und er wird dabei begleitet von einer Band, die ich nicht genug loben kann. Die Musiker nehmen sich zurück, wo es angebraucht ist, sind jederzeit auf der Höhe, Drive statt es Krachen zu lassen und keine Minute Langeweile. Das ist allererste Güteklasse! Exemplarisch soll hier Staffan Astner genannt werden. (Nicht nur) seine Slidearbeit ist vom Feinsten, sparsam, aber immer überraschend und effektvoll, Gänsehaut ohne minutenlange Soli. Gekrönt wird diese Arbeit vom ständigen Wechsel der Stile: Mississippi, Chicago, Dixie, Ballade, ohne daß je der rote Faden verloren ginge.
Neben der Stimme Big Daddy Wilsons sind es die Themen seiner Texte, die das Kontinuum dieser Produktion bilden: Überwiegend geht es um die Beziehungen zwischen Männern und Frauen, hier bleibt Wilson klassisch. Los geht’s mit „Travellin‘ Blues“, ein Song, der stark an das bekannte „Baby Please Don’t Go“ erinnert und mit effektvollen, tiefen, rotzigen Slidetönen anhebt und dafür sorgt, daß Hörer und Hörerinnen sofort hellwach sind. Stilwechsel: „Hold The Ladder“, geschrieben von Freund und Förderer Eric Bibbs, ist irgendwo zwischen Blues, Soul und Gospel angesiedelt, eben ein typischer Eric Bibb Song. Und der Eric Bibb Gitarrist Staffan Astner zeigt schon beim zweiten Take, was für ein vielseitiger Gitarrist er ist. Bei „I Wanna Be Your Man“ darf der Dixie geschunkelt werden, um anschließend in zwangloses Wippen überzugehen: „My Day Will Come“. Man möchte Big Daddy Wilson hier widersprechen, und das Futur ins Präsenz setzen. Es darf wieder durchgeschnauft werden, was für eine wunderschöne sehnsuchtsvolle Ballade (mit Violine) „Please“ ist. Die Tränen sind noch nicht getrocknet, da wird es schon stürmisch: „Hurricane“. Es rockt und einmal mehr zeigt Astner sein Können. Es ist typisch für diese extrem abwechslungsreiche CD, daß immer wieder Stilwechsel folgen. Das Stück, das mich an die besten „mexikanischen“ Ry Cooder Songs erinnert, heißt „Oh Carolina“. Dann warnt Big Daddy Wilson seine weiblichen Fan, daß er ein „Born Loser“ sei. Da würde ich gerne wissen, was ein Gewinner ist. Aber keine Zeit zum Nachdenken, auf Platz 10 spielt Wilson Diddley Bow (ein Instrument, daß mit Trommelstock und Slide gespielt wird, auch bekannt unter dem Namen Jitterbug) und „Baby’s Coming Home Again“ gebärdet sich entsprechend downhome, direkt aus der sprichwörtlichen Waschküche. Nach der das Herz erwärmenden Geschichte in „Show Dog“ folgt eine wunderbare Liebeserklärung am Schluß dieser CD: „I’m So Glad“. Glücklich, der mit solchem Talent gesegnet ist!
Gern wäre ich meiner Rezensentenpflicht nachgekommen und hätte das Haar aus der Suppe gefischt. Ich habe es nicht gefunden. Diese CD hat es verdient, uneingeschränkt empfohlen zu werden.
Auf Big Daddy Wilsons Webseite (Link zu externer Seite) sind einige Youtubes zum Reinschnuppern installiert. Hier eines meiner Lieblings Videos, aufgenommen vor einem Jahr in den Niederlanden mit Roberto Morbioli (Gitarre) und Detlef Blanke (Baß):
Danke für Deinen fein klingenden Tipp … das könnte uns gefallen!
Gerne! Die CD hat mich wirklich begeistert. Im April soll sie dann erscheinen.
Besten Dank für Deinen Kommentar und schöne Feiertage noch!