Lit: Belletristik

EINFACHE GEWITTER
Berlin Verlag, 448 Seiten, ISBN 978-3833307010

Der Inhalt sei aus dem Klappentext zitiert: “ … Von einer Sekunde auf die andere muss Adam Kindred, angesehener Klimatologe auf Durchreise in London, untertauchen. Jeder Weg zu seinem früheren Leben ist versperrt. Kontakt zur Familie nicht möglich, Kreditkarte und Mobiltelefon nicht zu benutzen, das Hotelzimmer außer Reichweite. Nur Stunden zuvor hatte er in einem kleinen italienischen Restaurant in Chelsea Philip Wang kennengelernt, Chef-Entwickler des Pharmakonzerns Calenture-Deutz.“

Mehr soll nicht verraten werden, außer dieses: Adam muß untertauchen und erlebt die Welt plötzlich aus völlig anderem Blickwinkel (von unten sozusagen). Schließlich gelingt es ihm, die Initiative zu ergreifen, und er ermittelt fortan selbst in seinem Fall. Und das Ende, das verrate ich jetzt doch, ist ein Happy End, das sich themsemäßig gewaschen hat.

Die Kritik war zum Teil überschwenglich, ein Thriller mit literarischem Anspruch hieß es, so schrieb zum Beispiel die geschätzte Iris Radisch in Die Zeit: „Ein literarischer Thriller – unglaublich raffiniert gemacht!“ Nun ja, ich weiß wirklich nicht, ob man dem folgen kann: Ich habe den Roman durchaus mit Interesse gelesen, auch wenn ich auf den immerhin 445 Seiten einige Längen zu überstehen hatte. Aber was mich wirklich geärget hat: Eher schwach gezeichnete, unglaubwürdige Figuren, Ungenauigkeiten in der Beschreibung des Pharma-Geschäfts und eine klischeehafte, irgendwie flach erzählte Geschichte. Nö, der Brecher war dieser Kriminalroman nicht, sorry!

JEDER STIRBT FÜR SICH ALLEIN
Aufbau-Verlag, 704 Seiten, ISBN 978-3-7466-2811-0

Die Handlung des Romans ist rasch erzählt: Der Sohn des stillen, unnahbaren Arbeiters Otto Quangel und dessen Frau Anna stirbt 1940 im Krieg. Erschüttert und voll ohnmächtigen Zorns beschließen sie, Widerstand gegen das unmenschliche System zu leisten. Sie schreiben Postkarten mit eindeutigen, einfachen Botschaften, die das Nazi-Regime als verbrecherisch entlarven sollen, und verteilen diese in Berlin. Sie werden gefaßt und 1943 hingerichtet. Soweit stimmen die Begebenheiten mit den tatsächlichen Geschehnissen in Berlin der 1940er Jahren überein. Das Ehepaar hieß in Wirklichkeit Hampel, im Buch sind Gestapo-Fotos von ihnen zu sehen. Dann aber fügt Fallada den historischen Fakten Figuren und Begebenheiten hinzu und malt so ein Sittenbild der einfachen Leute im Dritten Reich: ungeschönt, rauh und sehr nah. Hier liegt die ungeheure Stärke dieser großen und letzten Erzählung von Hans Fallada (Wer einmal aus dem Blechnapf frißt, Kleiner Mann – was nun?, Der Trinker, Wolf unter Wölfen), und, ein wenig, auch seine Schwäche.

DAS FEST DES ZIEGENBOCKS
Suhrkamp Verlag, 538 Seiten, ISBN 978-3-518-41232-9

Es ist das populärste Buch des letztjährigen Literaturnobelpreisträgers. Da wurde ich neugierig und habe mir den über 500 Seiten starken Roman zur Hand genommen.

Die Geschichte: 1961 regiert General Trujillo, genannt der Ziegenbock, die Dominikanische Republik. Er tut dies mit Verführung und zügelloser Gewalt. Es ist das Jahr, in dem er von einer Gruppe von zum Teil ehemaligen Anhängern umgebracht wird. 1996: Urania Cabral kommt viele Jahre nach diesen Ereignissen aus dem Exil zurück, um ihren schwerkranken Vater und ihre Familie wiederzutreffen. Ihr Vater gehörte zu der engen Gefolgschaft des Diktators, seit zehn Jahren ist er nach einem Gehirnschlag gelähmt und stumm. Urania, die in New York Karriere gemacht hat, bezahlt die Pflegekosten, wohl mehr aus Haß denn aus Mitleid. Erst am Schluß des Romans werden die Motive hierfür deutlich. Auch der Titel des Buches erschließt sich erst am Ende vollständig.

Beleuchtet werden nun dieses Treffen mit ihrer Familie und ihrem Vater, ihre gemeinsame Vergangenheit, das Leben des Ziegenbocks und die Ereignisse um die Verschwörer, ihre Motive und Erinnerungen, das Attentat selbst und die Folgen.

Ja, das ist ein Diktatorenroman, das kann man sagen. Ich hatte nach dem Lesen das Gefühl, mehr über das „System“ Diktatur zu wissen, und das keineswegs allein die Gewaltherrschaften in lateinamerikanischen Ländern betreffend. Es geht auch um Chauvinismus, Sexismus und Verachtung: mit das Erste, was Urania bei ihrer Rückkehr bemerkt, ist der „vermessend“-abschätzige Blick der Männer in ihrer Heimat, der so in ihrer Wahlheimat New York nicht denkbar ist. Das Fest des Ziegenbock ist ein Roman, der stellenweise schockiert und viele Fragen über das Wie und Warum von Gewaltherrschaft stellt.

Llosas Stil hat mich nicht allzusehr fasziniert. Kein Zauber, der mich gefangengenommen hätte, aber dafür (fast) durchweg sehr spannend. Nur manchmal, wenn er zum Beispiel die Vergangenheiten und Motive der Attentäter hintereinander erzählt, ist das eher etwas ermüdend. Auf der anderen Seite: die Beschreibung der Folterungen der gefangenen Attentäter hinterläßt einen tiefen Eindruck. Hier ist Llosa nicht auf Effekt aus, vielmehr erzählt er fast lakonisch, und wohl deshalb berührt es einen so stark.


Nun habe ich sie doch tatsächlich zusammengekauft, meine kleine Wilhelm-Raabe-Bibliothek. Die wunderbaren Insel Reihe von 1985, die ich zur Hälfte besaß, habe ich mit Hilfe des Klassikerforums (hier wird Sie geholfen) und ZVAB Suche komplettiert. Den Hastenbeck (Band 9 der Reihe, und die letzte vollendete Erzählung von Raabe aus dem Jahre 1899) sogar in der 1981er Ausgabe, die zusätzlich mit einem Bildanhang versehen ist. Die zehn Bände enthalten die nach Raabes eigener Meinung gelungensten & aus heutiger Sicht lesenswertesten Werke und sind chronologisch geordnet.

DER KAISER VON CHINA
Dumont Verlag, 160 Seiten, ISBN 978-3-8321-8074-4

Und wieder was mit 200 Seiten. Die Geschichte ist verzwickt: Keith Stapperpfennig wuchs beim Großvater auf. Zusammen mit vier Geschwister und diversen, immer jünger werdenden Großmüttern. In die letzte Großmutter verliebt sich Keith. Zu Großvaters Achtzigsten bekommt dieser von seinen Enkeln eine Reise nach China geschenkt. Allein: begleiten will ihn keiner, es bleibt am Schluß an Keith hängen. Dieser allerdings verjubelt die Reisekosten, muß den Großvater allein reisen lassen und erfährt bald darauf, daß dieser im Westerwald gestorben sei. Nun muß der Held für die Geschwister eine Geschichte erfinden, damit diese glauben, daß die Reise nach China stattgefunden hat.
Soweit der Plot. Der Roman ist geschrieben nach der Art eines Münchhausens: Voller Fantasie und Skurrilität. Dabei immer amüsant und wunderbar unterhaltend. Vieles in der Geschichte erkennt man wieder, vor allem, wenn die Familienverhältnisse beschrieben werden. Man lacht lauthals, und ab und an schluckt man auch. Unterhaltung auf sehr hohem Niveau.

ZETTEL’S TRAUM
Suhrkamp Verlag, 1536 Seiten, ISBN 978-3-518-80300-4

Nun ist es also soweit: Zettel’s Traum ist nach 40 Jahren als gesetztes Buch erschienen. In meinem erweiterten Freundeskreis (gell Martin) wird öfters über dieses Werk gelästert: „Zettel’s Traum“ gilt als Synonym für unsinnige Buchprojekte, die nichts mit dem Bedürfnissen des lesenden Menschen zu tun haben, sondern bestenfalls literarische Prestigeobjekte darstellen. Ich lasse diese Freunde reden, und sehe es vollkommen anders. Sicher: wer liest schon die über 1500 Seiten (großformatig!) von Zettel’s Traum von vorne bis hinten, und vor allem: wer versteht das alles? Aber ist das wichtig? Mir nicht, ich weide in diesem Text und amüsiere mich auf das allerprächtigste! Die Handlung ist eh überschau- bar und man kann wunderbar irgenwo in den Text gehen und sich auf das allerbeste unterhalten lassen. Wenn es einen Text gibt, der nichts für SchnellleserInnen ist, dann dieser.