Heinz Rein: Finale Berlin
Schöffling & Co 2015, 760 Seiten, ISBN: 978-3-89561-483-5, auch als eBook erhältlich.
Heute eine relativ kurze Notiz über ein Buch, dass die Presse bei Erscheinen 2015 fast einhellig gelobt und als eine großartige Wiederentdeckung gefeiert hat. Der Autor heißt Heinz Rein (1906-1991) und arbeitete u. a. als Bankangestellter und Sportjournalist. Politisch stand er links und fand sich zeitweise in Gestapohaft wieder. Sein Buch „Finale Berlin” wurde 1947 veröffentlicht und war ein Erfolg. Für lange Zeit in Vergessenheit geraten, wurde der Roman vor wenigen Jahren neu aufgelegt. Die Handlung spielt in den letzten beiden Aprilwochen 1945 in Berlin, also unmittelbar vor dem Kriegsende, und beschreibt den Sturm auf Berlin aus der Sicht einer kleinen Widerstandsgruppe, die alles in ihrer Macht stehende versucht, um unnötiges Blutvergießen zu verhindern. Doch nicht nur die verzweifelt-wildgewordene SS ist ihnen auf der Spur. Nahezu jeder Volksgenosse könnte ein Verräter sein. Und über allen das Inferno des Sturms auf die Hauptstadt. Die größte Stärke bezieht der Roman aus seiner zeitlichen Nähe zu den tatsächlichen Ereignissen und der Fähigkeit des Autors, diese Hölle eindrücklich zu schildern. Ich ging nicht zuletzt wegen des Themas und den vielen Feuilleton-Hymnen auf das Buch (nicht zuletzt lobt auch Fritz J. Raddatz den Text im Nachwort ausdrücklich) mit großen Erwartungen an die Lektüre.

Eine kurze Novelle in einer eher Broschüre denn Buch gedruckt, Umschlag in Blau und Schwarz auf weißem Hintergrund gehalten, ein Hochzeitsbild auf einem Nachtisch oder Kommode, darunter ein Zitat von Oskar Maria Graf:
Die 1864 geborene Carry (Caroline) Brachvogel war Tochter der vermögenden Münchner Kaufmannsfamilie Hellmann. Ihre Liebe zur Literatur entwickelte sich früh, allerdings veröffentlichte sie ihr erstes Schauspiel „Vergangenheit” erst 1894, ein Jahr darauf „Alltagsmensch”, ihren ersten Roman. Nach dem frühen Unfalltod ihres Ehemanns 1892 war Carry Brachvogel alleinerziehende Mutter zweier Kinder und überhaupt kein Alltagsmensch. Sie war Frauenrechtlerin und gründete eine Organisation für schreibende Frauen. Überhaupt waren ihre gesellschaftspolitischen Ansichten nicht allein für ihre Zeit erstaunlich modern. Die Münchnerin wurde schließlich in den 1920er Jahren weit über die bayerischen Landesgrenzen hinaus bekannt. Sie schrieb Romane, Novellen, Biografien und Feuilletons. Ab 1933 geriet sie als Jüdin ins Visier der Nationalsozialisten. 1942 wurde diese großartige Frau und Schriftstellerin in Thersienstadt umgebracht. Und sie verschwand damit auch aus den literarischen Köpfen ihres Heimatlandes.
London, vielleicht bald. Diese Zeile ist dem neuen Roman von Zoë Beck vorangestellt. Und ich bin ehrlich: Anfangs fand ich diese Zeile ein wenig arm. Vielleicht? Bald? Was soll das heißen? Aber diese Worte passen hervorragend und man kommt während und nach der Lektüre immer wieder auf diese Zeile zurück. Vielleicht schon ganz nah? Denn der Thriller spielt, so scheint es, fast in der Gegenwart. Brexit, die aufstrebende Rechte, Spaltung der Gesellschaft, blanker Rassismus (wir denken heute an den Grenfell Tower) und eine durch und durch korrumpierte Drogenpolitik. Das sind die wichtigsten Themen dieses Buches. Ein ganz starker zeitkritischer Krimi von Zoë Beck, der ohne Belehrung auskommt, dafür aber viel Spannung bietet. Und so ganz nebenbei gesellschaftliche Probleme ausspricht, für die es keine einfachen Lösungen gibt.
Wenn man will, kann man die zwölf Erzählungen, die mit dem verstörenden „Der schmutzige Junge” beginnen und dem titelgebenden, schier unerträglichen bedrückenden „Was wir im Feuer verloren” enden, als eine Sammlung von nahezu perfekt komponierten Horrorgeschichten ansehen. Es ist alles, was das Genre fordert, vorhanden: psychotische Menschen, grausame Geschehnisse, überraschende Wendungen und Schockmomente. Die Schlussakkorde der Geschichten sind fast immer stimmig, nichts was Liebhaber des Grauens vermissen werden. „Was wir im Feuer verloren” ist den Romanen und Erzählungen eines Lovecrafts, Borges oder McCarthys durchaus ebenbürtig. Doch Mariana Enriquez Band ragt über das Genre noch hinaus, bedient sich sozusagen der Schreckensgeschichten als Folie, um auch noch eine ganz andere Geschichte zu erzählen: Die von den verlorenen Generationen Argentiniens. Und sie erzählt modern, mit herausragendem sprachlichen Talent, Lob an dieser Stelle auch der Übersetzerin Kirsten Brand, und sie erzählt aus weiblicher Perspektive.
An einem trostlosen Wintertag 1971, dem Tag der Beerdigung seiner Mutter Maria Handke, geborene Sivec, fasste Peter Handke den Entschluss, ein Buch über das Leben der Verstorbenen zu schreiben. 1972 wurde die knapp einhundertseitige Erzählung „Wunschloses Unglück” veröffentlicht. Es wurde zu eines seiner erfolgreichsten, schönsten und berührendsten Bücher. Ich habe die Erzählung nach vielen Jahren wiedergelesen und war so beeindruckt, dass ich an dieses frühe Meisterwerk erinnern möchte.
Wir sind im Nordwesten Schottlands, man schreibt das Jahr 1869, es ist August. In einem kleinen Bauerndorf werden auf brutale Art und Weise drei Mitglieder der Familie Lachlan Mackenzie, dem neuen Constabler des Dorfes, niedergemetzelt: Mackenzie selbst, seine Tochter und sein Sohn. Mörder ist der siebzehnjährige Roderick Macrae, Sohn eines verarmten Nachbars und Crofters, einem schottischen Kleinbauern. In Ordnung, dann wäre der Fall ja gelöst und niemand braucht das Buch mehr zur Hand zu nehmen. Mitnichten, denn in diesem Kriminalfall geht es um das Wie und Warum. In seinem zweiten Buch, das erste wird aufgrund des Erfolgs von „Der Fall Roderick Macrae” demnächst in deutscher Übersetzung erscheinen, zeigt der schottische Autor Graeme Macrae Burnet, was im Genre Kriminalroman alles so geht. Vielschichtig, atmosphärisch, spannend und am Ende hat man sogar etwas gelernt.