Heyne Verlag 2016, ISBN 9783453317161, 592 Seiten, auch als eBook erhältlich.
Ich bin kein Science-Fiction Fan. Aber ich suche in der Sparte immer wieder mal nach einem Buch, das mich zu einem solchen Fan machen könnte. Phantastik mit mehr als Raumschiffen, viel Technik und klarem Gut und Böse. Einem Buch, das vielleicht mal den Hugo oder Galaxy Award gewonnen hätte, von prominenten Lesern wie Obama oder Zuckerberg empfohlen wird, einem Buch, das auch von einem chinesischen Schriftsteller stammen dürfte … einem Science-Fiction wie „Die drei Sonnen“ des gelernten Computertechnikers und vielfach ausgezeichneten Autors Liu Cixin. Es geht in diesem Roman um die chinesische Kulturrevolution und deren Folgen auf den Gemütszustand der Generationen, um Gewissen und Verantwortung, um Nano- und Astrophysik und ziemlich reale Aliens, die unserer Erde einen Besuch abstatten wollen. Könnte doch spannend werden, oder?
Spoilergefahr: Die Handlung hat so viele überraschende Wendungen und Perspektiven, daß man vorsichtig sein muß, um nicht zu viel zu verraten. Also erst einmal zum Formalen: Das knapp sechshundertseitige Buch ist aufgeteilt in drei Teile (Zeiten der Raserei, Three Body, Sonnenuntergang der Menschheit) mit insgesamt fünfunddreißig Kapiteln. Der schmale erste Teil umfasst die Kapitel 1-3, der zweite die Kapitel 4-20. Den ersten Teil könnte man auch als eine Art Prolog ansehen: Wir treffen auf die spätere Astrophysikerin Ye Wenjie als junges Mädchen, das mit ansehen muss, wie ihr Vater, ebenfalls Physiker, während der Kulturrevolution zu Tode geprügelt wird. Man ist mitten drin im Wahnsinn der Kulturrevolution, in diesem Horror von Hysterie, Misstrauen, Verrat und Gewalt. Wenige Jahre später, selbst des Verrats an der Revolution angeklagt, wird sie zu mutmaßlich lebenslangen Arbeiten in einer Militärbasis, genannt „Rotes Ufer” gezwungen. Die komplett desillusionierte Ye Wenjie empfindet dieses aber eher als Schutz vor den vielen schrecklichen Dingen, die sie in ihren jungen Jahren erleben mußte. Der Zweck von „Rotes Ufer” ist es, Kontakt mit Außerirdischen zu suchen. Ye Wenjie aber geht in Gedanken einen Schritt weiter, denn diese, ihre bekannte Welt muß gerettet werden:
„Es war doch sehr wahrscheinlich, dass das Verhalten der Menschheit seinem Wesen nach insgesamt und der Mensch selbst von Natur aus böse war. Und dass bei unterschiedlichen Menschen nur unterschiedliche Teile eines Ganzen erkennbar wurden. Die Menschheit konnte gar kein intuitives Gefühl für Moral entwickeln, genauso wenig wie es möglich war, sich selbst am Schopf in die Höhe zu ziehen und sich daran hinauf ins Weltall zu schwingen. Daher konnte der Impuls für die moralische Erweckung der Menschheit nur von außerhalb der menschlichen Spezies kommen.” (Zitat aus Liu Cixin: Die drei Sonnen)
In der Gegenwart treffen wir auf den Nanophysiker Wang Miao, dem plötzlich eine Art Countdown vor der Linse steht und der wenig später erfahren wird, daß es eine Suizidserie arrivierter WissenschaftlerInnen gibt. Unter anderem teilt auch die Tochter von Ye Wenjie dieses Schicksal. Die Wissenschaft der Physik scheint in ziemliche Unordnung geraten zu sein. Wang Miao versucht, diesen mysteriösen Vorgängen auf die Spur zu kommen. Und er entdeckt Ungeheuerliches.
Und schließlich die Welt von Three Body, deren Bewohner ein wirkliches Problem haben: Treffen drei physikalische Körper aufeinander, ist es nicht möglich, Voraussagen zu treffen. Sind diese drei Körper drei Sonnen, so steckt die betroffene Zivilisation in größtmöglichen Schwierigkeiten. So ergeht es den Bewohner von Trisolaris. Schier unendlich weit von unserer guten, alten Erde entfernt. Scheinbar.
Man kann schon erahnen, wie allein diese drei Stränge zusammen kommen könnten, aber damit wäre nur ein Teil der Faszination, die von diesem Science-Fiction ausgeht, erklärt. Es ist die ungeheure Vielschichtigkeit des Romans, die in so lesenswert macht. Es werden philosophische wie politische, technische wie gesellschaftliche Problematiken angesprochen, wobei die Basis immer die uns bekannte Gegenwart ist. Daraus erst entwickelt sich die unfassbare Realität jenseits der uns bekannten Welt. Und immer bleibt es spannend und überraschend. Ein wenig über Physik zu wissen, schadet nicht, aber auch wem dieses nicht gegeben ist (wie mir), wird seine helle Freude (und auch ein wenig Grusel) an dieser Erzählung haben. Dieses ist der erste Teil einer Trilogie, der schon vor zehn Jahren in China erschienen ist. Man darf sich auf die deutsche Veröffentlichung des zweiten Teils wirklich freuen.
Nebenher, wie so oft vonnöten, sei bemerkt, daß die ePub-Ausgabe sehr nachlässig formatiert ist. Ärgerlich wie unnötig.
Ich glaube, ich werde es suchen.
Ja Rita, gibt es in Englisch. Liebe Grüße!