Deutschland
Juli Zeh: Unterleuten
Luchterhand 2016, 640 S., ISBN: 978-3-630-87487-6, auch als E-Book erhältlich.
Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal einen Roman von Juli Zeh gelesen? Ich meine ausgelesen. Ich sehe in mein Bücherregal: Adler und Engel, 2001, ihr Debüt. Ich war so begeistert, daß ich mir sogar eine Widmung hatte einschreibenlassen. Danach konnte mich die Autorin mit ihren Veröffentlichungen nicht mehr so richtig begeistern. Vor wenigen Wochen also hörte ich eine Episode von DurchDieGegend, eines meiner Lieblingspodcasts, in dem der Journalist und Radiomacher Christian Möller mit Kulturschaffenden durch die Gegend geht und sie interviewt. In dieser Folge mit besagter Juli Zeh als Befragte. Ich kam ins Grübeln, ob ich ihr nicht mal wieder eine Chance geben sollte? Herr Möller persönlich stieß mich noch mal an … also gut, gekauft: Unterleuten, der aktuelle Roman von Juli Zeh.
Hans Schweikart: Es wird schon nicht so schlimm!
Herausgegeben von Carsten Ramm. Mit einem Nachwort von Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen.
Verbrecher Verlag 2014, ISBN: 9783957320636, 120 S., auch als eBook erhältlich.
Im November 1941 waren es nur wenige Trauerende, die dem Begräbnis der Schauspieler Joachim und Meta Gottschalk und ihrem achtjährigen Sohn Michael beiwohnten. Von den ehemaligen Kollegen und Kolleginnen waren es unter anderem Brigitte Horney, Gustav Knuth und Elisabeth Lennartz, Hans Brausewetter, Werner Hinz, Wolfgang Liebeneiner und Ruth Hellberg. Wenige Tage zuvor hatte die Familie die Nachricht erreicht, daß die Ehefrau Meta Gottschalk, geborene Wolff, zusammen mit ihrem Sohn deportiert werden sollte. Der von den Behörden geforderten Trennung von der jüdischen Ehefrau hatte sich Joachim Gottschalk, ein damals sehr bekannter Schauspieler der UFA, stets widersetzt. Die Familie sah keinen anderen Ausweg als den gemeinschaftlichen Suizid.
Wolfgang Schorlau: Die schützende Hand
Kiepenheuer & Witsch, 2015, 384 S., ISBN: 978-3-462-04666-3, auch als eBook erhältlich.
Wir hören sie laufend: Schreckensmeldungen, Skandale, Katastrophen …. Und wir können und wollen kaum noch darauf reagieren. Es reicht für ein paar Diskussionen im Bus, am Arbeitsplatz oder am Stammtisch. In die Tiefe gegangen, nach dem Gründen für irgendeinen Missstand gesucht wird kaum, denn die nächste Sensationsmeldung ist schon im Anmarsch und die Tatsachen werden nach dem ersten Bohei aus den Augen verloren, sollten sie selbiges überhaupt erreicht haben. Die Halbwertszeiten für Skandale werden immer kürzer und richten sich nach ihren medialen Verwertbarkeiten, nicht nach ihren Folgen und Ausmaßen. Die Tatsachen selbst und die Schlussfolgerungen, die aus diesen gezogen werden müssten, interessieren kaum. Allenfalls eine Zweiminuten-Nachricht in der Tagesschau: Zschäpe will aussagen, sagt dann nichts, Frisur, Mimik, allgemeine Empörung, fertig. Der Nächste bitte.
Unfähig zu trauern
Die offiziellen Stellungnahmen des DFB, aber auch die unsägliche Fernsehberichterstattung rund um die Ereignisse in Paris und Hannover haben mich so genervt, daß ich hier ausnahmsweise einen sehr guten Kommentar zum Thema in „11 Freunde“ verlinken werde. http://m.11freunde.de/artikel/wie-ungelenk-der-deutsche-fussball-reagiert
Lieber Doré als Horvath
Bekanntlich wurde der große Ödön von Horváth 1938 in Paris von einem Ast erschlagen. Als ich heute aus manchen Gründen sehr spät, es war nach drei, meinen Mittagspausenspaziergang antrat, mußte ich an das Schicksal des verehrten Autors denken. Es hatte sehr zu winden angefangen, fast schon ein Sturm, und auf der Anhöhe ging es durch ein kleines Waldstück. Ich hatte so meine Bedenken, ob mein Tun wirklich vernünftig sei. Auf dem Rückweg aber wurde ich für meinen Mut belohnt: Diese Wolken, dieses Licht! Ich erinnerte mich, wie ich als Kind vor der riesigen Hausbibel lag und stundenlang die Illustrationen von Gustave Doré betrachtete. Erschienen ist mir übrigens des Weiteren niemand, auch kein Satan, der aus den Wolken stürzte … das war dann auch gut so.
Wo die Naab in die Donau mündet
Es ist fast sieben geworden, nach Feierabend, Heimfahrt und Wochenendeinkauf. Draußen hat es noch 25 °C. Egal, es wird dieses Wochenende nicht mehr kühler. Also Walkingstöcke in die Hände nehmen und los geht es. Gegen acht, kurz vor der Umkehr und nahe der Stelle, wo die Naab bei Mariaort in die Donau mündet, dieses Bild voller Abendstimmung. Auf dem Rückweg kommt die Dunkelheit schnell.
Wilhelm Raabe: Der Schüdderump
Antiquarisch, als eBook oder als PDF-Download erhältlich. 379 Seiten in der Braunschweiger Ausgabe, Band 8.
Ich lese gern und immer wieder Romane von Wilhelm Raabe (1831-1910). Ich mag die scheinbare Behaglichkeit, hinter der jederzeit eine Katastrophe lauern mag, diese etwas umständliche, manchmal an Jean Paul erinnernde Erzählweise, deren Handlung aber zielgerichtet vorangetrieben wird. Überhaupt: Raabe zu lesen bedeutet, sich auf eine Entdeckungsreise zu begeben, sowohl was das Erzählte, als auch die literarische Form angeht. Hier sind entschleunigtes Lesen und Einlassen auf einen sehr eigenen Erzählstil gefragt, die Belohnung folgt garantiert. Raabe hat sehr viel geschrieben, denn er war ein Berufsschriftsteller. Nicht alles ist gut, vieles aber großartig und wer etwas vom bürgerlichen Leben im Deutschland des 19. Jahrhunderts (Gesellschaftskritik eingeschlossen) wissen will, kommt an Raabe nicht vorbei. „Der Schüdderump“ (1870) ist aus seiner mittleren Periode. Neben dem unsäglichen „Der Hungerpastor“ (1863) und dem interessanten „Abu Telfan“ (1867) stellt „Der Schüdderump“ den Höhepunkt der Stuttgarter Trilogie dar und leitet zu den folgenden großartigen Romanen und Erzählungen der späteren Werke. Vor einer Woche habe ich den Schüdderump ausgelesen und bin noch ganz angefüllt von der Lektüre. Und da es draußen unerträglich schwül und heiß ist und die Hausarbeit auch nicht übermäßig lockt, sollen ein paar Zeilen über diesen wunderbar-traurigen Roman aufgeschrieben werden.
Und noch einmal der Februar, hier wie er sich heute während meines Mittagspausenspaziergangs präsentierte
Die Ermittlungen im Falle des Oktoberfestattentats von 1980 – Die Hoffnung stirbt zuletzt
Das eben begonnene Jahr könnte ein aufregendes für die noch lebenden und die Angehörigen und Freunde aller Opfer des Münchner Oktoberfestattentats von 1980 werden. Und ein aufregendes Jahr für Rechtsanwalt Werner Dietrich, der die Opfer des Anschlags seit Beginn an vertritt, sowie für Ulrich Chaussy, Journalist, Buchautor und ebenfalls seit den frühen 1980ern ein vehementer Kritiker der staatlichen Ermittlungen in diesem Fall. Im November letzten Jahres meldete die Süddeutsche Zeitung, daß die Bundesanwaltschaft erwäge, die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat wieder aufzunehmen, da auf Antrag des Opferanwalts Werner Dietrich eine neue, offensichtlich sehr glaubwürdige und wichtige Zeugin angeführt wurde. Diese Zeugin kenne den Namen eines zweiten Täters. Dieses Jahr nun die Meldung, daß der Generalbundesanwalt Harald Range von den deutschen Geheimdiensten die Herausgabe aller Akten, die in Bezug zum Attentat stünden, gefordert hätte. Auch wenn viele Chancen der Aufklärung des folgenreichsten Terroranschlags auf deutschen Boden längst vertan wurden (man denke nur an die Vernichtungen der Asservate und die heutigen Möglichkeiten der DNA-Analyse), scheint nun alles wieder auf Anfang gestellt. Vierunddreißig Jahre danach …