Deutschland

Dumont 2016, 288 S., ISBN 978-3-8321-9840-4, gibt es auch als eBook und als Taschenbuch.

Heimat ist subjektives Erleben, ein Konstrukt, das im höchsten Maße individuell empfunden und gelebt wird (und eben nichts, was für Politik taugt). Berni Mayer, geboren im niederbayerischen Mallersdorf (für die Eingeweihten: an der Grenze zur Oberpfalz) und seit einiger Zeit in Berlin lebend, hat vor 2 Jahren mit »Rosalie« einen Heimatroman veröffentlicht, der es in sich hat und der so erfrischend anders ist als all der Quark, den man mitunter in diesem Metier vorgesetzt bekommt. Der Roman spielt in der niederbayerisch-oberpfälzischen Provinz in den späten 1980ern und 1990er Jahren. Der fiktive Ort heißt Praam und liegt an der nicht fiktiven Schwarzen Laaber. Von meinem Standort aus gesehen hat der Autor also ein Heimspiel. Aber bevor ich zur Handlung des Romans komme, sei noch ein wenig mehr über den Autor berichtet.

Insel Taschenbuch 1985, 343 S., ISBN 3-458-32581-6, einzelne der 10 Bände sind antiquarisch zu erwerben. Die vorgestellten Texte sind als Einzelausgaben, in Sammlungen oder als eBooks leicht zu finden, mehr dazu am Ende dieses Textes.

Ich habe Wilhelm Raabe schon immer gemocht. Seinen etwas verschrobenen, zum entschleunigten Lesen zwingenden Stil, seinen Realismus und das Gespür für die einfachen Leute seiner Zeit. Will man etwas über »the normal ones« der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland erfahren, so greife man mutig zu diesen Erzählungen und Romanen. Zugegeben, Raabe zu lesen ist nicht ganz leicht, aber die Schwierigkeiten sind nicht intellektueller Art, sondern betreffen die Lesegewohnheiten: Raabe ist eine Anti-Pagetuner. Auch faszinieren mich bis heute seine differenzierte Haltung zu seinen Zeitgenossen, die überraschend modernen Themen, die der Autor aufgreift (man denke nur an Pfisters Mühle) oder die breit geschilderten Idyllen mit großer Behaglichkeit (ein Raabsches Lieblingswort), die plötzlich als Trugbild demaskiert werden. Die Heimeligkeit ist selten von Dauer. Raabe, Keller, Storm, Fontane …. ich würde mich, wäre ich gezwungen, für Raabe entscheiden. 1985 gab Insel Taschenbuch zum 75. Todestags des Autors eine 10-bändige Auswahl heraus. Als ich zur Jahreswende die Gelegenheit hatte, eine noch verschweißte Kassette mit diesen Bänden zu kaufen, konnte ich nicht widerstehen. Meine alten, arg lädierten und zusammengekauften 10 Bände wurde verschenkt und die funkelnagelneue, inzwischen 32 Jahre alte Jubiläumsausgabe steht jetzt da wie neu. Und wird gelesen. Ich habe den Plan, jeden der 10 Bände nacheinander zu lesen und im Blog vorzustellen.

Schöffling & Co 2015, 760 Seiten, ISBN: 978-3-89561-483-5, auch als eBook erhältlich.

Heute eine relativ kurze Notiz über ein Buch, dass die Presse bei Erscheinen 2015 fast einhellig gelobt und als eine großartige Wiederentdeckung gefeiert hat. Der Autor heißt Heinz Rein (1906-1991) und arbeitete u. a. als Bankangestellter und Sportjournalist. Politisch stand er links und fand sich zeitweise in Gestapohaft wieder. Sein Buch „Finale Berlin” wurde 1947 veröffentlicht und war ein Erfolg. Für lange Zeit in Vergessenheit geraten, wurde der Roman vor wenigen Jahren neu aufgelegt. Die Handlung spielt in den letzten beiden Aprilwochen 1945 in Berlin, also unmittelbar vor dem Kriegsende, und beschreibt den Sturm auf Berlin aus der Sicht einer kleinen Widerstandsgruppe, die alles in ihrer Macht stehende versucht, um unnötiges Blutvergießen zu verhindern. Doch nicht nur die verzweifelt-wildgewordene SS ist ihnen auf der Spur. Nahezu jeder Volksgenosse könnte ein Verräter sein. Und über allen das Inferno des Sturms auf die Hauptstadt. Die größte Stärke bezieht der Roman aus seiner zeitlichen Nähe zu den tatsächlichen Ereignissen und der Fähigkeit des Autors, diese Hölle eindrücklich zu schildern. Ich ging nicht zuletzt wegen des Themas und den vielen Feuilleton-Hymnen auf das Buch (nicht zuletzt lobt auch Fritz J. Raddatz den Text im Nachwort ausdrücklich) mit großen Erwartungen an die Lektüre.

Verlag interna, Bonn 2017, 55 Seiten, ISBN 978-3-945778-45-6

Eine kurze Novelle in einer eher Broschüre denn Buch gedruckt, Umschlag in Blau und Schwarz auf weißem Hintergrund gehalten, ein Hochzeitsbild auf einem Nachtisch oder Kommode, darunter ein Zitat von Oskar Maria Graf:

Nichts in diesen Blättern ist erfunden, beschönigt oder zugunsten einer Tendenz niedergeschrieben.

In seiner Reihe ”Fünf.Zwei.Vier.Neun.” (die 5249 Tage der Weimarer Republik) möchte der Verlag Interna Werken vergessener Autoren und Autorinnen der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen neue Leser und Leserinnen zuführen. Es gibt viel zu entdecken, denn die Talente, die durch ihr schreckliches Ende im Konzentrationslager oder durch Flucht oder andere Umstände aus dem literarischen Gedächtnis unserer Republik entschwanden, sind von großer Zahl. Mala Laaser gehört zu diesen Talenten und auch wenn ihr das Schicksal einer Carry Brachvogel erspart blieb, so verstummte sie doch in der Emigration in England. Die vorliegende Novelle wurde in einer Zeitschrift des Central Verbands deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens veröffentlicht und liegt jetzt, um die 85 Jahre später das erste Mal als Buch vor.

Brandstätter Verlag 2017, 216 S., ISBN: 978-3-7106-0090-6, auch als eBook erhältlich.

1998, mit ihrer Rolle als Mephistopheles in Goethes Faust machte Adele Neuhauser sich für das Theater liebende Regensburg unsterblich. Mein liebstes Stück war zwei Jahre später „Meisterklasse”, ein Stück über die ihre Schüler terrorisierende und in eigenen Erinnerungen gefangene Maria Callas. Ich höre noch heute mein verängstigtes Herz in der fünfzehnten Reihe klopfen. Großartig. Nach ihrem Engagement in Regensburg hob Adelele Neuhausers Karriere ab und heute ist sie aus der deutschsprachigen Fernsehlandschaft nicht mehr wegzudenken. Spätestens nach den ersten Folgen des Austria-Tatorts ist klar: Adele Neuhauser hat es geschafft. Daß so eine Karriere nicht immer nur glatt und reibungslos verläuft, liegt auf der Hand. In ihrem autobiographischen Buch „Ich war mein größter Feind” nimmt Adele Neuhauser Leser und Leserinnen mit in ihre Familiengeschichte und erzählt von ihren wichtigsten Lebensabschnitten. Und weil es eben Adele ist, die das tut, habe ich tatsächlich das erste Mal in meinem Leben die Autobiographie einer lebenden Person des öffentlichen Lebens gelesen. 

Hofenberg Digital 2016, 100 Seiten (i. d. Hardcover-Ausgabe), Erstdruck 1911, auch eine kartonierte und eine gebundene Ausgabe sind erhältlich.

Die 1864 geborene Carry (Caroline) Brachvogel war Tochter der vermögenden Münchner Kaufmannsfamilie Hellmann. Ihre Liebe zur Literatur entwickelte sich früh, allerdings veröffentlichte sie ihr erstes Schauspiel „Vergangenheit” erst 1894, ein Jahr darauf „Alltagsmensch”, ihren ersten Roman. Nach dem frühen Unfalltod ihres Ehemanns 1892 war Carry Brachvogel alleinerziehende Mutter zweier Kinder und überhaupt kein Alltagsmensch. Sie war Frauenrechtlerin und gründete eine Organisation für schreibende Frauen. Überhaupt waren ihre gesellschaftspolitischen Ansichten nicht allein für ihre Zeit erstaunlich modern. Die Münchnerin wurde schließlich in den 1920er Jahren weit über die bayerischen Landesgrenzen hinaus bekannt. Sie schrieb Romane, Novellen, Biografien und Feuilletons. Ab 1933 geriet sie als Jüdin ins Visier der Nationalsozialisten. 1942 wurde diese großartige Frau und Schriftstellerin in Thersienstadt umgebracht. Und sie verschwand damit auch aus den literarischen Köpfen ihres Heimatlandes.

Diogenes 2013, 128 S., ISBN: 978-3-257-06846-7, auch als eBook erhältlich

Ich habe kein gutes Gedächtnis. Und so stand ich lange ratlos vor meinem überbordenden Bücherregal: Wie hieß der Autor noch, der mit dieser knappen, klaren Sprache und den merkwürdigen, geheimnisvollen Plots, von dem ich vor langer Zeit so beeindruckt war, den ich dann aber später aus den Augen verloren hatte? Schließlich stieß ich unter L auf die gesuchten Bücher: Der Autor heißt Hartmut Lange, ist Jahrgang 1937, arbeite Anfang der 1960er Jahre als Dramaturg in Ostberlin, verließ 1965 die DDR und lebt in Berlin. Er gehört zu den stillen Autoren dieses Landes, bekannt vor allem für seine klassisch durchkomponierten Novellen, aber auch Dramen, Romane und Essays gehören zu seinem Werk. Es wurde Zeit, daß ich meine Zuneigung wieder erneuerte. Und so griff ich zu dem relativ aktuellen Novellenband „Das Haus an der Dorotheenstrasse” von 2013.

Satyr Verlag 2013, 256 S., ISBN: 978-3944035031, auch als eBook erhältlich.

Zeit ist Luxus. Das ist keine leere Floskel, sondern entspringt realem Leben mit Leidenschaften und der Notwendigkeit eines Achtstundenarbeitstages. Es braucht also Auswahl und Konzentration. Was das Lesen betrifft, so helfen mir diverse Literatur-Blogs und Podcasts. Einer der von mir geschätzten Podcasts heißt Tsundoku (das ist japanisch und meint die Angewohnheit, gekaufte Bücher ungelesen in Regalen zu stapeln), wird von Andrea Diener betrieben und beschäftigt sich gut informiert und wunderbar unaufgeregt mit Büchern. In ihrer letzten Sendung stellte sie unter anderem Anselm Neft und seinen beiden Romanen „Hell” (2013) und „Vom Licht” (2016) vor. Das hatte nun Folgen.

Luchterhand 2016, 640 S., ISBN: 978-3-630-87487-6, auch als E-Book erhältlich.

Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal einen Roman von Juli Zeh gelesen? Ich meine ausgelesen. Ich sehe in mein Bücherregal: Adler und Engel, 2001, ihr Debüt. Ich war so begeistert, daß ich mir sogar eine Widmung hatte einschreibenlassen. Danach konnte mich die Autorin mit ihren Veröffentlichungen nicht mehr so richtig begeistern. Vor wenigen Wochen also hörte ich eine Episode von DurchDieGegend, eines meiner Lieblingspodcasts, in dem der Journalist und Radiomacher Christian Möller mit Kulturschaffenden durch die Gegend geht und sie interviewt. In dieser Folge mit besagter Juli Zeh als Befragte. Ich kam ins Grübeln, ob ich ihr nicht mal wieder eine Chance geben sollte? Herr Möller persönlich stieß mich noch mal an … also gut, gekauft: Unterleuten, der aktuelle Roman von Juli Zeh.