Raabe

Wallstein Verlag 2024, hg. und kommentiert von Rolf Parr, 236 S., ISBN 978-3-8353-5753-2

Der Wallstein Verlag hat den zweiten Band seiner Neuedition maßgeblicher Werke Wilhelm Raabes veröffentlicht. Es wurde nicht wie ursprünglich geplant ›Der Lar‹, sondern ›Unruhige Gäste – Ein Roman aus dem Säkulum‹. Der Roman gehört zu Raabes Spätwerk, welches für die heutige Leserschaft immer noch von Interesse ist. In dem Buch umfasst die Erzählung 179 Seiten. Es folgen editorische Notizen, 16 Seiten Anmerkungen, ein gut 20-seitiges Nachwort des Herausgebers Rolf Parr, Siglen, Literaturverzeichnis und Abbildungsnachweise der 6 Abbildungen im Anhang. Auf dem Schutzumschlag erkennt man zwei stattliche Gebäude vor einem Berghang, die ich anhand eines Bildes im Anhang als Kurhaus und Actienhôtel in Bad Harzburg auf einem Postkartenmotiv von 1908 identifizieren kann. Heimspiel.

Wallstein Verlag 2023, hg. und kommentiert von Moritz Baßler. 288 S., ISBN 978-3-8353-5521-7

Das ist ja ein Ding! Es gibt eine neue kritische kommentierte Ausgabe der Werke von Wilhelm Raabe! Der erste Band erschien im Oktober 2023 im Wallstein Verlag: ›Fabian und Sebastian. Eine Erzählung‹. Der Erstdruck dieses Werkes erfolgte 1881 und 1882 in ›Westermann’s illustrierte Monats-Hefte‹. Herausgeber der Hefte war der zu dieser Zeit sehr bekannte Schriftsteller Friedrich Spielhagen. Die lange Erzählung Raabes gehört also zu dessen Spätwerk und wurde lange Zeit eher übersehen als besprochen, galt aber auch als eine Art Geheimtipp. Für mich Grund genug, mir diese Ausgabe zu besorgen und ›Fabian und Sebastian‹ zu lesen.

Meine Ausgabe: Insel Verlag, Frankfurt a. M. 1985, 227 S., ISBN: 3-458-32587-5. Antiquarisch noch gut zu bekommen.

Stopfkuchen also. Stopfkuchen gehört zum Spätwerk Wilhelm Raabes und ist 1891 erstmals erschienen. Es ist sein bestes Werk (nach eigener und der Meinung vieler) und wohl sein bekanntestes Buch. Zumindest gilt das heutzutage, denn zu Raabes Zeit waren die frühen ›Der Hungerpastor‹ und ›Die Chronik der Sperlingsgasse‹ berühmter. Heute wissen wir vor allem sein Spätwerk zu schätzen. Die »kurz=&=gutn 200=Seiter«, wie Arno Schmidt sie einst nannte. Dieser Roman ist trotz des Untertitels weder ein Seeabenteuer, noch eine erste deutsche Kriminalgeschichte, auch ist Stopfkuchen keine Hommage an Arthur Schopenhauer, wie Rüdiger Safransiki noch behauptete. Drei Lektüren habe ich gebraucht, um zu erfassen, dass dieser Text viele Böden hat, irreführend und von großer Kunstfertigkeit ist.

Jung und Jung 2021, 64 S., gebundene Ausgabe, ISBN: 978-3-99027-253-4

Ein kleines blaues Büchlein aus dem Hause eines renommierten Salzburger Verlags mit einer Erzählung von Wilhelm Raabe. Das hat man nun auch nicht alle Tage, und so soll kurz berichtet werden. Denn meine Freude war groß, dass endlich mal wieder ein Buch von Wilhelm Raabe neu aufgelegt wird, auch wenn es eine grad 44 Seiten kurze Erzählung ist. Veröffentlicht wurde sie 1873, geschrieben bereits im Frühjahr 1872. Der Erzähler dieser Geschichte, ein nicht genannter Jurist, der es versteht, seine fünf Sinne beisammen zu halten, trifft auf einen ehemaligen Kollegen, den Königlich Preußischen Kreisrichter zu Groß-Fauhlenberge Löhnefinke, der sich einigermaßen seltsam verhält. Also der Reihe nach:

Vandenhoeck & Ruprecht 1966, 2. durchges. Auflage 1981, Bd. 17. Das Odfeld. Der Lar. (S. 221-395), als PDF bei »digi20.digitale-sammlungen.de« zum Download. Preiswerte Buchausgaben sind antiquarisch gut zu erreichen.

Den Lar sollte man nicht auslassen. Zwischen Odfeld und Stopfkuchen, zwei Riesen also im Raabschen Erzählkosmos, tummelt sich »Der Lar, eine Oster-, Pfingst-, Weihnachts- und Neujahrsgeschichte«. Eine Geschichte für jeden Festtag also. Raabe selbst hatte es mal nötig, sich so richtig gehen zu lassen, und so heißt das ironische Motto: »O bitte, schreiben auch Sie doch wieder mal ein Buch, in welchem sie sich kriegen!« Raabe tut das: 1889 kommt die Erzählung erst als Dreiteiler in Westermann Monatsheften, dann als Buch heraus. Es wird ein Erfolg und dann wird die Erzählung irgendwie vergessen. Zu Unrecht, wie man sehen wird. Dass das keine gewöhnliche Schmonzette geworden ist, wird uns schon beim Lesen des Vorworts klar: Paul Warnefried Kohl mit seiner Frau Rosine, geborene Müller, am Taufbecken. Mit von der Partie Kohls Jugendfreund Bogislaus Blech und der Kreisdienstarzt a. D. Schnarrwergk. Das glückliche Ende ist doch jetzt eigentlich schon erzählt? Nicht doch, es geht erst los.

Empfohlene Ausgabe: Wilhelm Raabe, Das Odfeld, herausgegeben von Hans-Jürgen Schrader, Insel Taschenbuch, 227 S., ISBN: 3-458-32586-7, antiquarisch noch recht gut zu erreichen. Oder die Reclam-Ausgabe.

Anfang November 1761, mitten im Chaos des Siebenjährigen Krieges stehen der alte Magister Noah Buchius und der ruppige Klosteramtmann von Amelungsborn am Rande des Odfelds im Weserbergland und werden Zeugen eines unheimlichen Spektakulums. Zwei riesige Rabenschwärme fallen übereinander her und befehden sich ohne Gnade. Buchius sieht den Verlauf der tierischen Luftschlacht als ein Zeichen: Der geliebte Herzog Ferdinand von Braunschweig wird siegen und die Menschen vor den einfallenden Franzosen schützen. Wir sind im dritten von fünfundzwanzig Kapiteln und wissen bereits, dass das berühmte Gymnasium von Amelungsborn nach Holzminden verlegt wurde und man den schrulligen Schulmeister Buchius zurückgelassen hat. Er lebt in einer Klosterzelle, leidlich versorgt von dem Amtmann, der mit Familie und Gesinde ebenfalls vor Ort ist. Die Lage wird immer brenzliger, die Gegend und damit auch das Kloster stehen mitten in der Kampfzone. Wir Leser und Leserinnen von »Das Odfeld« bleiben für die nächsten Stunden im Geschehen.

Vandenhoeck & Ruprecht 1970, Braunschweiger Ausgabe, Band 16;
Antiquarisch gut erreichbar: Insel 1985, Werke in Einzelausgaben, Band 5, 195 S., ISBN: 3-458-32585-9;
Braunschweiger Ausgabe als PDFs: digi20.digitale-sammlungen.de

Wilhelm Raabes veröffentlichte seine Langerzählung »Im alten Eisen« 1887. Sie gehört zu seinem Spätwerk, also den guten, knappen 200er Seiter, die nie ein großer Erfolg beim breiten Publikum wurden, aber heute von großem Interesse sind oder sein könnten. Diese Romane oder langen Erzählungen, »Stopfkuchen«, »Das Odfeld«, »Die Akten des Vogelsangs« und andere sind literarisch viel zu interessant, um in Vergessenheit zu geraten. Resigniert ob des Desinteresses des deutschen Lesepublikums, dem ihr Humorist und Idylliker abhandenkam, schrieb Raabe in dieser Periode für sich und sein literarisches Konzept. Ein Glücksfall für uns heutigen Leserinnen und Leser.

Hanser 1993, dtv 2006, 383 Seiten, beide Ausgaben sind antiquarisch erhältlich. 

1865 wird Wilhelm Raabes Erzählung »Else von der Tanne« veröffentlicht. Ein pessimistisches, ein wenig rührseliges Kunstwerk aus Raabes Übergangszeit zwischen Früh- und Spätwerk. Es handelt von einem armen Pastor in einem Dorf in der Nähe des Südharzes direkt nach Ende des Dreißigjährigen Kriegs. Zwei Flüchtlinge aus Magdeburg, Vater und Tochter, erreichen den Ort. Else hilft dem Pfarrer aus einer tiefen Sinnkrise, doch sind nicht nur Land und Besitz der Menschen verwüstet, auch die Seelen der Menschen sind es. Auf grad 40 Seiten wird hier das, was Krieg aus Menschen macht, verhandelt. Vielleicht ein wenig kitschig hier und da, aber insgesamt doch ein kleines Meisterstück aus Raabes Frühzeit. So ohne Weiteres hätte ich die Erzählung nicht aus dem Regal geholt, aber nachdem ich gestern die Biographie über Wilhelm Raabe von Werner Fuld fertig gelesen hatte, war mir danach, dieser Empfehlung Fulds nachzugehen: ein Treffer.

Insel Taschenbuch 1985, 182 S., ISBN 3-458-32583-2, Einzelausgaben der 10 Bände sind antiquarisch zu erwerben. Die vorgestellten Texte sind in Sammlungen oder als eBook leicht zu finden, mehr dazu in den Anmerkungen.

177 Seiten hat diese Geschichte, die erste der »der kurz=&=gutn 200=Seiter«, wie Arno Schmidt diese Folge von Romanen Wilhelm Raabes nannte. Entstanden ist das »Raubmörderidyll« 1875, direkt nach Abschluss der Krähenfelder Geschichten. Der Erstdruck war dann 1876. Der kleine Roman spielt in einem Dorf namens Gansewinckel im Weserland, der Heimat des Autors. Mit Horacker ist Cord Horacker, ein junger, aus der Fürsorgeanstalt entflohener Mörder und Jungfrauenschänder gemeint. Raabe spielt in dieser Geschichte wie so oft mittels seines biederen, abschweifenden, nicht selten an Jean Paul erinnernden Erzähltons, der aber offensichtlich auf etwas ganz anderes als auf Beschaulichkeit zielt. Raabe Erzählstil führt wieder einmal in die Irre. Die Kritik war entsprechend: Liebhaber feierten das Werk enthusiastisch, die meisten Feuilletons nannten den Roman eher drollig, mit Längen, Unverständlichkeiten und Unklarheiten. Grund genug der Sache einmal auf den Grund zu gehen. 142 Jahre nach dessen Erstveröffentlichung habe ich Horacker gelesen.

Insel Taschenbuch 1985, 315 S., ISBN 3-458-32582-4, Einzelausgaben der 10 Bände sind antiquarisch zu erwerben. Die vorgestellten Texte sind in Sammlungen oder als E-Book leicht zu finden.

Zum wilden Mann, Höxter und Corvey, Eulenpfingsten, Frau Salome, Die Innerste und Vom alten Proteus entstanden zwischen April 1874 bis August 1876 und bilden zusammen die Krähenfelder Geschichten. Der Titel war Wunsch des Verlags, Raabe sah ursprünglich den Titel Vom alten Proteus vor. Seit 1870 wohnte der Autor in einer südlich vor einem der Stadttore Braunschweigs gelegenen Gegend, die das Krähenfeld genannt wurde. Die vorliegende Ausgabe konzentriert sich auf drei der weniger humorigen als mehr konsequent durchgestalteten Erzählungen Zum wilden Mann, Höxter und Corvey und Die Innerste. Mit diesen Erzählungen befindet sich Raabes Erzählen bereits auf dem Niveau der späteren Jahre, nicht alle allerdings haben mir gleich gut gefallen. Die drei Erzählungen sind vom Umfang fast gleich, jeweils um die 100 Seiten.