Wilhelm Raabe: Deutscher Mondschein

Jung und Jung 2021, 64 S., gebundene Ausgabe, ISBN: 978-3-99027-253-4

Ein kleines blaues Büchlein aus dem Hause eines renommierten Salzburger Verlags mit einer Erzählung von Wilhelm Raabe. Das hat man nun auch nicht alle Tage, und so soll kurz berichtet werden. Denn meine Freude war groß, dass endlich mal wieder ein Buch von Wilhelm Raabe neu aufgelegt wird, auch wenn es eine grad 44 Seiten kurze Erzählung ist. Veröffentlicht wurde sie 1873, geschrieben bereits im Frühjahr 1872. Der Erzähler dieser Geschichte, ein nicht genannter Jurist, der es versteht, seine fünf Sinne beisammen zu halten, trifft auf einen ehemaligen Kollegen, den Königlich Preußischen Kreisrichter zu Groß-Fauhlenberge Löhnefinke, der sich einigermaßen seltsam verhält. Also der Reihe nach:

Der Erzähler hält sich auf Raten des Arztes mit seiner Familie in Sylt auf, um seinen Beamtenkopf mal ordentlich durchpusten zu lassen. Der Badetourismus nimmt in diesen Zeiten seinen Anfang. Er trifft auf genannten Löhnefinke, der voller Panik durch die Dünen stolpert. Der offensichtlich vom Wahnsinn erfasste Löhnefinke fürchtet den Mond, genauer den deutschen Mond. Der Erzähler erkennt nach kurzer Zeit in dem Irren den ehemaligen, zu seiner Zeit tadellosen Kollegen Löhnefinke und bietet diesem seinen Schutz an. Herr Löhnefinke wird ihm nun erzählen, warum er diese groteske Angst vor dem deutschen Mond hat: Der Mond zwänge ihn in ein Dichterdasein, um die Poesiefeindlichkeit der Menschheit abzubüßen. Und dann wird es ziemlich wild, es geht um die Prosa des deutschen Beamtentums, um Romantik, um die verpuffte Revolution von 1848, um ein Sonett auf Bismarck und ich als Leserin bedaure ein wenig, dass ich nicht jede Anspielung verstehe. Aber andererseits: Dieses kleine Stück steckt so voller Witz und erzählerischer Raffinesse, dass man das hinnehmen kann (und die Wissenslücken vielleicht im Nachgang auffüllen mag). Raabe spielt hier gleich auf mehreren Böden und ich frage mich während der Lektüre, ob die beiden, Erzähler und Löhnefinke, nicht vielleicht auch eine Person sein mögen? Das kurze, hilfreiche Nachwort von Jochen Missfeldt eröffnet uns noch einige Lesarten mehr.

Wieder einmal wird mir klar, wie modern dieser Raabe geschrieben hat, welche Mittel ihm zur Verfügung standen, wie weit er seiner Zeit voraus war. Am Schluß fangen Frau und Tochter ihren Löhnefinke, den sie schlicht für verrückt geworden halten, wieder ein und der Erzähler beschließt, seinem Jungen, der Student der Mathematik ist, eine Jean-Paul-Gesamtausgabe zu schenken. Die Rache der Poesie, der deutsche Mond – man weiß ja nie. Wir wollen zukünftig unseren echten Freunden dieses kleine Büchlein von Wilhelm Raabe als Mitbringsel überreichen.

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