Text (1104 S.) und Kommentar (528 S.), S. Fischer 2002, ISBN: 978-3-10-048324-9
Den Zauberberg. Nun habe ich ihn also gelesen, durchgelesen, endlich. Im wievielten Anlauf, weiß ich nicht mehr. Woran bin ich bloß so oft gescheitert? Gewiss an meiner Unerfahrenheit und falschen Erwartungen, an den anstrengenden Dialogen zwischen Settembrini und Naphta, an dem Erzähler, der in mir in Thomas Manns Romanen immer wieder ein gewisses Unbehagen auslöst. Nun also hat es geklappt und es war ein großes Vergnügen. Zwar bleibt, was die Romane Manns angeht, ›Der Erwählte‹ mein Favorit und jemanden, der Thomas Mann zum ersten Mal zu lesen beschließt, würde ich die frühen Erzählungen empfehlen, aber ›Der Zauberberg‹ ist schon die Lebenszeit wert, die man für die Lektüre veranschlagen muss.
›Der Zauberberg‹ ist Thomas Manns dritter Roman und gehört zu seinem Hauptwerk, für nicht wenige ist es der größte Roman des Autors. Veröffentlicht wurde das Buch 1924 und somit wird es in einem Atemzug mit Joyce ›Ulysses‹, Woolfs ›To the Lighthouse‹ oder Prousts ›A la recherche du temps perdu‹ genannt. Beginne ich mit einer kurzen Zusammenfassung: Ein begüterter junger Mann aus Hamburg, Hans Castorp, reist nach Davos, um seinem Vetter Joachim Ziemßen für drei Wochen Gesellschaft in der guten Luft eines Lungensanatoriums zu leisten. »Es werden, in Gottes Namen, ja nicht geradezu sieben Jahre sein!«, heißt es gegen Ende des Vorsatzes. Man ahnt schon hier, dass es genau so kommen wird. Zuletzt lässt der Erste Weltkrieg alles ins Tal strömen, in die entsetzliche Wirklichkeit des Krieges. Bis dahin wird der Held, durchaus naiv und ein wenig dumm, eine Reifung der besonderen Art erleben. Er wird sich in die geheimnisvolle, Türe schlagende Russin Clawdia Chaucat verlieben und eine durchaus zweifelhafte Erziehung durch den Literaten Settembrini und den Jesuiten Naphta erfahren. Sein Vetter wird sterben wie noch viele andere der anwesenden Lungenkranken. Gegen Ende des Buches, noch sind mehr als hundert Seiten zu lesen, ist Clawdia endgültig abgereist, Joachim, Peeperkorn und Naphtan sind tot und die Stimmung im Sanatorium ändert sich. Kartenspiele, Séancen und das Grammophon halten Einzug, Gereiztheiten und der große Stumpfsinn breiten sich aus. Eine Katastrophe liegt in der Luft. Castorps Aufenthalt in Davos wird immer weiter hinausgezögert bis nach sieben Jahren der große Krieg aus- und der Held unter Zustimmung des Humanisten Settembrini in die Welt aufbricht.
Der Stil dieses Klassikers ist parodistisch, essayistisch, es ist ein Bildungsroman, eine Satire, ein Roman über die Zeit, ein intellektueller Roman. Die Stilmittel, die Thomas Mann nutzt, sind extrem vielfältig, es ist eine Unmenge an Stoff, der hier schriftstellerisch bewältigt wird, und es tummeln sich eine große Anzahl an bemerkenswerten Figuren, die uns Leser in Erinnerung bleiben. Große Mühe machte mir zu Beginn der Erzähler: Der Zauberer, der seinen Sessel zurechtrückt und überlegen der gespannten Leserschaft die Erzählung darbringt. Ich lerne erst während der Lektüre, damit umzugehen und diese so gar nicht modern anmutende Erzählerhaltung zuzulassen. Die Manierismen, das Zeigenwollen was man so kann (und er konnte bekanntlich eine Menge), goutiere ich fortan mit einem Lächeln. Und so ermüdend die nicht enden wollenden Dialoge zwischen Settembrini und Naphtan und andere Längen auch immer wieder mal sein mögen: Es gibt die umwerfenden Szenen im Speisesaal, das großartige Schneekapitel, die Karen Karstedt, die mich zu Tränen rührt, natürlich darf ein unglücklicher Mensch mit schlechten Zähnen nicht fehlen und nicht zu vergessen der große Mynherr Peeperkorn. Die Art wie Thomas Mann das Problem der Zeit nicht nur erläutert, sondern auch in die Romanstruktur selbst hineinarbeitet, ist bestechend. Man muss, um das zu bemerken, kein Germanist sein. Es ist während der Lektüre erfassbar.
Der umfangreiche Kommentarband meiner großen kommentierten Frankfurter Ausgabe beinhaltet u. a. Entstehungsgeschichte, Quellenlage, Rezeptionsgeschichte und natürlich einen ausführlichen Stellenkommentar. Dies alles hilft zur Vertiefung in den Roman, für das Verständnis ist er nicht zwingend notwendig. Insofern wäre für die Lektüre auch eine vernünftige Taschenbuchausgabe ausreichend. ›Der Zauberberg‹ ist ein Roman, den man gewiss mehrfach und mit zunehmenden Gewinn lesen kann, und es gibt nicht wenige Menschen, die genau das tun. Und ja, man sollte ›Der Zauberberg‹ wenigstens einmal von vorne bis hinten durchgelesen haben. Es ist ein ziemlich gutes Buch.
Du hast es wieder auf den Punkt gebracht. Man bekommt spontan Lust das aktuelle Buch zuzuklappen und sich seinen Zauberberg aus dem Regal zu holen. Wovon ich dank dir sogar zwei Exemplare habe. 🙂
»Fünfmal täglich kam an den sieben Tischen einhellige Unzufriedenheit zum Ausdruck mit dem Witterungscharakter des diesjährigen Winters.«
… oder einfach das Schneekapitel noch einmal lesen?
Vielen lieben Dank für Deinen Kommentar, Sabine!
Toll, liebe Lena…du hast ihn durchgelesen.
Das habe ich bisher noch nicht geschafft, obwohl ich es schon einige Male versucht habe.
Aber vielleicht klappt es demnächst doch einmal?
Danke für das „gute Zureden“.
Liebe Grüße für dich
von Rosie
Aber gerne doch, liebe Rosie. Ich habe ja auch viele Anläufe gebraucht. Aber vielleicht liest mal ›Der Erwählte‹ vorher, der ist noch besser ( meiner bescheiden Meinung nach) und viel kürzer.
Liebe Grüsse aus dem sonnigen Regensburg!
Lena