Stendhal: Rot und Schwarz

Hanser 2004, 872 Seiten, übersetzt von Elisabeth Edl, ISBN 9783446204850. Als TB ist diese Ausgabe 2006 bei dtv erschienen.

Stendhal hieß mit bürgerlichem Namen Marie Henri Beyle, wurde 1783 in Grenoble geboren und starb 1842 in Paris. Von 1800 bis 1814 stand er in Napoleons Diensten, danach lebte er in Mailand – er blieb zeitlebens ein großer Bewunderer Italiens – wurde 1821 von dort ausgewiesen, lebte in Paris und wurde 1831 zum Konsul in Civitavecchia ernannt. Bis zum Ende seines Lebens pendelte er zwischen Civitavecchia und dem naheliegenden Rom. Stendhal verfasste Essays, Reiseberichte, schrieb Tagebücher. Seine Romane erlangten erst spät den ihnen angemessen Platz im Kanon der französischen Literatur. Heute gehören ›Die Kartause von Parma‹ (1839) und ›Rot und Schwarz‹ (1830) unbestritten zum Kanon der Weltliteratur (wie man so sagt). ›Rot und Schwarz‹ habe ich nun mit einiger Begeisterung gelesen.

Vorweg einige Anmerkungen zur Ausgabe: Die Übersetzung von Elisabeth Edl wurde und wird allgemein für ihre Genauigkeit gefeiert. Einige wenige, die der Meinung sind, dass die eher freie, den Ton des Originalwerks treffendere Übertragung von Otto Flake vorzuziehen sei. Diese Ausgabe (dtv 1979) ist heute noch für sehr wenige Euros antiquarisch zu erwerben. Ich war durchaus versucht, mir zum Vergleich die Flake-Übersetzung zu besorgen, habe es dann aber unterlassen, weil ich mich mit der aktuellen Ausgabe mit der Übersetzung von Elisabeth Edl außerordentlich wohl gefühlt habe. Der Roman selbst ist in zwei Bücher aufgeteilt. Das erste umfasst 300 Seiten in 30 Kapitel, das zweite etwas mehr als 350 Seiten in 45 Kapitel. Es folgen ein etwa 50-seitiges Nachwort der Übersetzerin, einige Bemerkungen über Ausgabe und Übersetzung, dann kommt Stendhal mit eigenen Aussagen zu seinem Werk zu Wort. Natürlich enthält der Apparat eine biographische Zeittafel und die letzten 100 Seiten gehören den Anmerkungen zum Text. Ich würde das eine umfassende Ausgabe nennen. Allerdings kann man den Roman sicher auch ohne Blicke in den Apparat mit Genuss lesen. Andererseits: Wer sich nicht schon vorher für französische Geschichte und die Zeit der Restauration von 1814 bis 1830 interessiert hat, tut das vielleicht nach der Lektüre. Es bleibt jedem überlassen.

Erzählt werden Aufstieg und Fall des Sohnes eines Zimmermanns aus dem kleinen Dorf Verrières im Jura: Julien Sorel. Seine Geschichte wird vor dem Hintergrund der Restauration in Frankreich ausgebreitet. Napoleon ist Geschichte und Liberale, Royalisten, Konservative und Ultrakonservative, der Adel und die Kirche kämpfen um die Macht im Staate. Diese Zeit dauerte die kurze Spanne zwischen 1814 und 1830. Julien ist 18 Jahre alt, viel zu schwach, um sich in der rauen Welt des Vaters und der Brüder zu behaupten. Aber Julien Sorel ist außerordentlich intelligent. Und er will nach oben. Die Armee? Julien ist glühender Napoleon-Anhänger, was er allerdings unbedingt geheimzuhalten hat. Er tritt schließlich in das Priesterseminar ein und das allein aus Karrieregründen. Seine Lateinkenntnisse und Merkfähigkeit beeindrucken. Ein erster Schritt die Treppe aufwärts die Stelle als Hauslehrer in der Familie des Bürgermeisters Rênal. Die schöne und fromme Ehefrau des Stadtoberhaupts wird nach einiger Zeit seine Geliebte. Im nächsten Schritt wird er Privatsekretär des Marquis de la Mole. Der zarte und verschlagene Julien hat die Provinz hinter sich gelassen und ist in Paris angekommen. Er gewinnt und verliert im munteren Wechsel das Herz der Tochter Mathilde de la Mole, die schließlich schwanger wird. Die ganze Sache endet tragisch, so viel sei verraten, der Schluss hat es in sich.

Der Stil des Romans ist äußerst bewegt. Hier werden die Sätze vom Autor nicht auf das Genaueste abgewogen, Wortwiederholungen gehören zu diesem Text dazu. Bewegt, drängend, ab und an taucht ein Erzähler auf und wir folgen stellenweise atemlos den Gedankengängen und Motiven der Personen. Und hier ist alles Kalkül, auch und grad die Liebe. Die Schwächen und Albernheiten der Charaktere werden nicht geschönt. Es versucht jeder mit seinen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln seinen Platz in der sich neu ordnenden Gesellschaft zu ergattern. Stendhal schreibt aus seiner Zeit heraus: Seine Quellen sind z. B. ein realer Skandal in Frankreich, der Antiheld Julien Sorel trägt deutlich autobiographische Züge (Napoleonbegeisterung), die politischen Verwerfungen der Zeit werden in den handelnden Personen sehr genau gespiegelt. Dass diesem Roman erst mit einigem Abstand Erfolg beschieden war, liegt auf der Hand, denn er schmeichelte den Zeitgenossen in keiner Weise. Wer will schon gern auf solche Weise entlarvt werden.

Und heute? An Aktualität hat ›Rot und Schwarz‹ nicht wirklich eingebüßt. Der Roman wirkt frisch (was wohl auch Frau Edl mitzuverantworten hat), das Thema sozialer Aufstieg ist niemals tot, die Liebe eh nicht und von Heuchelei und Betrügerei lässt man sich auch ganz gern berichten. ›Rot und Schwarz‹ muss man gelesen haben.

2 Kommentare on "Stendhal: Rot und Schwarz"


  1. Vielen Dank für die Erinnerung an diesen grossen Roman.
    Ich hatte vor Jahren die Ausgabe aus dem Diederichs Verlag in der Übersetzung von Friedrich von Oppeln-Bronikowski gelesen. Die Übersetzungen aus der Zeit der Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert werden oft geschmäht.
    Es mag sein, dass es damit zusammenhängt, dass man neuere Übersetzungen als die genaueren ansieht. Bei den hier zitierten neuen Übersetzungen von „Rot und Schwarz“ kann ich das nicht beurteilen.
    Bei anderen Werken hingegen, z.B. Madame Bovary von Flaubert, habe ich manchmal den Eindruck gehabt, dass sie vielleicht exakter am Originaltext übersetzt worden sind. Andererseits haben sie stimmungsmässig Federn lassen müssen.
    Viele Grüsse
    Robert

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    1. Gerne Robert. Ja, da magst Du recht haben. Das mit den Übersetzungen ist wirklich so eine Sache. Für mich sind Neuübersetzungen, sofern sie Qualität haben, nicht selten Anlass, einen Klassiker neu zu entdecken. Ob das dann wirklich immer die *bessere* Übersetzung ist, sei dahingestellt. Ab und an werfe ich einen Blick auf die Webseite von ›TraLaLit‹, doch perfekt wäre es, zumindest Französisch und Englisch ausreichen zu beherrschen, um die Bücher im Original zu lesen. Eine Fähigkeit, die mir leider abgeht.

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