A. d. Engl. v. Conny Lösch. Kunstmann, München. 303 S., ISBN 978-3-88897-967-5, auch als eBook erhältlich
Ein mit privaten Datenansammlungen vollgepropfter Laptop gibt plötzlich seinen Geist auf und verirrt sich anschließend auf dem Weg in die Reparaturwerkstatt in den Irrgängen des deutschen Postwesens. Wo sind die Daten geblieben? Wer ist in deren Besitz? Wird die Besitzerin je ihren portablen Rechner wiedersehen? Dieses Szenario hat mit einem Kriminalroman des schottischen Autors William McIlvanney natürlich nichts zu tun: Laidlaw spielt im Glasgow der 1970er Jahren. Aber es beschreibt meine Situation just zu dem Zeitpunkt, an dem ich mit der Rezension über Laidlaw beginnen wollte. Nach drei zu Teilen recht verzweifelten Wochen tippe ich wieder glücklich auf meinem Mac und auch wenn die Lektüre von McIlvanneys Laidlaw schon ein wenig her ist: Der Roman ist einfach zu gut, als daß er hier nicht wenigstens kurz Erwähnung finden sollte.
Der groß gewachsene Schotte Laidlaw ist Ende dreißig und Inspector der Glasgower Polizei. Er arbeitet in einer Metropole, die durch Massenarbeitslosigkeit, Gewalt und Alkoholismus geprägt ist. Sein Autor McIlvanney beschreibt die Perspektivlosigkeit der Menschen dieser Stadt des wirtschaftlich-sozialen Umbruchs schonungslos und die Figuren des Romans sind nicht selten Opfer und Täter in einer Person. Es ist ein düsteres Sittengemälde, welches den Lesern präsentiert wird. Inspector Laidlaw gibt sich dem Leben gegenüber keinen Illusionen hin, er ist wortkarg mit Hang zur Depression: „Wenn ihn diese Stimmung packte, war ihm alles egal. Nichts, das er sich vorstellen konnte, hätte ihm Befriedigung verschafft, kein Erfolg, kein Lebensstil, kein Wunschtraum und auch nicht dessen Erfüllung”. Ein Inspector alter Schule, der seine Klienten schon mal mit „mein Sohn“ anredet und unter harter Schale echtes Mitgefühl zeigen kann. Mit den Helden und Heldinnen der klassischen englischen Kriminalliteratur hat er allerdings nichts zu tun. Laidlaw ist mitten in der fatalen sozialen Wirklichkeit des United Kingdoms angekommen und als eine Art Gegengift liegen Camus und Kierkegaard in seiner Schreibtischschublade.
Zum Fall mit dem Laidlaw in diesem ersten Band einer Trilogie konfrontiert wird: Ein wütender Vater meldet seine Tochter als vermißt. Später wird eine ermordete junge Frau im Glasgower Park aufgefunden. Schon im ersten Kapitel trifft der Leser ihren Mörder in einem verfallenen Haus. Dieser sucht nach irgendeinem Ausweg aus seiner fatalen Situation, derweil der Vater der Tochter auf Rache sinnt. Aber noch ganz andere ehrenwerte Bürger Glasgows kommen ins Spiel. Wir erfahren über die Geschehnisse aus verschiedenen Perspektiven und sind immer wieder überrascht und manchmal schockiert über das, was als Nächstes passiert. Die Ereignisse nehmen viele Wendungen. Dabei sind die handelnden Personen im Roman echt wie die Verhältnisse, in denen sie agieren. Der Autor kennt das Milieu genau, seine Erzähltechnik ist erstaunlich modern und geht um Einiges über das, was man von vielgelobten schwedischen Kriminalromanen kennt, hinaus. Das ist düster, realistisch und literarisch im besten Sinn. Der von namhaften Kollegen als Vorbild genannte und verehrte William McIlvanney starb letztes Jahr im Alter von neunundsiebzig Jahren. Seine drei Romane um den Inspector Laidlaw sind jetzt wieder in deutscher Übersetzung erhältlich. Eine unbedingte Empfehlung.