Zu ›Die rätselhaften Honjin-Morde‹ von Seishi Yokomizo in der Ausgabe der Büchergilde Gutenberg

Nun war mal wieder eine Quartalsbestellung fällig und ich studierte also das Programm der Büchergilde Gutenberg und mir sprang diese wunderschön aufgemachte Ausgabe von ›Die rätselhaften Honjin-Morde‹ von Seishi Yokomizo ins Auge. Allein eine klassisch-knifflige Mordfallgeschichte zu lesen, hätte mich nicht hinreichend gereizt, aber das Geschehen spielt hier nicht in England oder Amerika, sondern in Japan, und zwar im Jahr 1937 und die Illustrationen von Ann-Kathrin Peuthen sind ein echter Hingucker. Und schon war mein Interesse geweckt. (Es braucht ja nicht viel.)

Der Autor Seishi Yokomizo (1902-1981) war ein stilprägender japanischer Kriminalschriftsteller, der die klassischen westlichen Detektivgeschichten äußerst gewissenhaft studiert hatte. John Dickson Carr war sein großes Vorbild oder anders gesagt: Eher Agatha Christie, Doyle und Chesterton als Hammett, Chandler oder Woolrich sind hier gemeint. Yokomizo erreicht in seinem 1946 veröffentlichten ersten (von 77!) Krimi um den genialen Privatdetektiv Konsuke Kindaichi allerdings einen ganz eigenen Ton: Er mischt traditionelle Kriminalhandlung, Zeitkolorit, erzählte japanische Tradition und eine Prise Gesellschaftskritik zu einem Roman, der anders ist als das, was man so kennt.

Die Geschichte wird uns präsentiert von einem Erzähler, der nach Bombenangriffen in die Präfektur Okayama evakuiert wurde und in einem Dorf von dem grässlichen Mord an einem frisch vermählten Ehepaar erfährt. Das Verbrechen spielte sich in dem Haus der privilegierten Ichiyanagi-Familie ab. Diese Familie besaß früher ein Honjin, eine einstige Herberge für hochrangige Regierungsbeamte. Alles in dieser reichen Familie um die Patriarchin Itoko ist erstarrte Tradition und Dünkel. Der ermordete Bräutigam war der älteste Sohn Kenzo, die Braut hieß Katsuko und war eine Lehrerin. Dass bei diesem Doppelmord keinerlei Spuren eines Eindringens von außen zu erkennen sind, macht diesen Fall so besonders und weckt schließlich das Interesse des Erzählers. Dessen Rekonstruktion des Mordfalles anhand von Berichten und Dokumenten bekommen wir zu lesen.

Es verbietet sich bei dieser Art von Kriminalliteratur, irgendetwas zu verraten, nur dieses sei erlaubt: Die Auflösung ist erwartbar komplex, die Motivlage sehr interessant. In weiten Teilen des ersten Drittels der Erzählung werden eine Art Familiengeschichte und Aufstellung geboten. Der Privatdetektiv, jung, gelegentlich stotternd, ein wenig abgerissen und mit brüchiger Biographie, aber auch genialem Hirn ausgestattet, tritt nach etwa der Hälfte des Romans in Erscheinung. Er wurde von dem Onkel der ermordeten Braut, der mit Kindaichi bekannt ist, um Hilfe gebeten. Es ist wohl auch der Übersetzerin Ursula Gräfe zu verdanken, dass sich das alles ohne Stolpern liest. Und da wir ja (fast) alle im Japanischen nicht zu Hause sind, helfen zusätzlich ein Glossar und ein Personenverzeichnis. Beides knapp gehalten und auf das Notwendige beschränkt. So muss das sein. Aber da ist noch etwas.

Nämlich die Illustration von Ann-Kathrin Peuthen. Diese holzschnittartigen Abbildungen sind nicht nur vorzüglich gelungen, sondern funktionieren auch als ein zusätzliches Glossar: Landschaft, Räume, Menschen und Kleidung werden so nicht allein im Text sichtbar gemacht. Ihre beeindruckende Arbeit an dem Buch beschreibt Frau Peuthen kurz im Anhang.

Ein Tropfen Wasser in den Wein: Die Büchergilde erwähnt im Impressum, dass diese Ausgabe mit Genehmigung des Aufbau-Verlags möglich war und dass die Originalausgabe 1973 bei Kadokawa Corporation erschien. Dass der Kriminalroman ursprünglich 1946 veröffentlicht wurde, ist auch nach gründlicher Suche nirgends zu finden, wäre aber auch ohne Wiki interessant zu wissen gewesen. Schwamm drüber, denn davon abgesehen ist dies eine nahezu perfekte Präsentation dieses japanischen Krimiklassikers, die auch Menschen, die wie ich diesem Genre nicht besonders zugetan sind, begeistern wird.

Ich habe die 3. Auflage 2025 in der Büchergilde Gutenberg gelesen. Der Roman hat 240 Seiten. Inzwischen gibt es bei der Büchergilde einen ähnlich ausgestatteten weiteren Roman dieser Folge. Ohne die Illustrationen von Ann-Kathrin Peuthen, aber übersetzt von Ursula Gräfe können noch mehr Folgen im Aufbau-Verlag und dessen Imprint Blumenbar gefunden werden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert