S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008, ISBN: 978-3-10-015556-6, 576 Seiten, als Taschenbuch und E-Book erhältlich.
Ich habe also auch den zweiten Band des zweiten Teils, oder wenn man die einzelnen Bände als Maß nimmt, den dritten von vier Teilen von Alfred Döblins »November 1918 – Eine deutsche Revolution« gelesen. Als ich »Heimkehr der Fronttruppen« begann, hatte ich bereits 950 Seiten über die deutsche Revolution gelesen, und ich gebe zu, dass ich gewisse Bedenken hatte, ob nicht mein Interesse am Thema nachlassen könne, zumal die vier Bände von Buch zu Buch immer umfangreicher werden. Es traf sich gut, dass dieser dritte Band mir bisher am besten gefallen hat. Die Handlungen verdichten sich und die Konzentration auf wenige Personen fördern die Leselust. Wir starten am 8. Dezember 1918, Woodrow Wilson, der amerikanische Präsident betritt die europäische Bühne mit dem Plan, einen Völkerbund zu gründen. Der große Vernünftige hat keine Chancen gegen die europäischen Alphatiere, die sich an Deutschland für vergangene Untaten rächen wollen. Im letzten Kapitel des Buches, eine Art Ausblick, wird eindrucksvoll erzählt, wie dieses Scheitern bereits die Saat für weit Schlimmeres streut. Die eigentliche Handlung dieses Teils endet am 14. Dezember. Es wird Zeit, die wichtigsten Personen zu erwähnen.
Es sei kein Rückzug, sondern die Heimkehr der Fronttruppen: Man will es in Kreisen des Adels und der Militärführung nicht wahrhaben, dass der Krieg verloren ist. Verrohte und desillusionierte Männer kehren geschlagen von der Front zurück. Sie suchen ein Ventil, nicht selten finden sie es in den Freikorps. Liebknecht ahnt bereits, dass diese Wolfsmenschen das Ende der Revolutionen bedeuten könnten. Aber er will einen Sozialismus ohne Radikalität, ohne Blutvergießen. Ebert, den Döblin einigermaßen gnadenlos zeichnet, will die Nationalversammlung mit ihm an der Spitze. Da stören die Krakeeler und helfen patriotische Offiziere. Die Arbeiter- und Soldatenräte sind in Schach zu halten, da ist er sich mit dem alten Generalstab einig.
Nicht weniger interessant als die politischen Entwicklungen, sind die Erlebnisse der beiden Hauptfiguren Friedrich Becker und Erwin Stauffer. Fast wie abgeschnitten von den politischen Wirrnissen erscheint der Fortgang ihres Schicksals: Oberleutnant Becker, der kriegsverletzte ehemalige Lehrer erholt sich langsam in Berlin, gepflegt von seiner Mutter. Seine schon im ersten Band sich entwickelnde Depression weitet sich zu religiösen Wahnvorstellungen. Geleitet vom historischen Mystiker Tauler versucht er aus dem realen Leben ins religiöse zu kommen. Weg von allen anerzogenen Einflüssen, hin zum wahren Kern seiner Existenz. Von diesem Weg wollen ihn Teufel in verschiedenen Gestalten abbringen, doch Becker widersteht. Es geht hoch her in der Wohnung seiner Mutter. Man könnte auch sagen: Becker dreht durch. Die mögliche Beziehung zur Krankenschwester Hilde wird unmöglich, die Freundschaft zum Kameraden und Weggefährten Maus zerbricht. Gänzlich anders liegt der Fall beim berühmten Dramatiker Erwin Stauffer. Der findet nach einigen Abenteuern seine ehemalige Geliebte Lucie wieder. Seine Ehefrau hatte ihre Briefe an ihn unterschlagen. Stauffer und Lucie planen nun ein neues Leben. Beide Erzählstränge enthalten viel Reales aus dem Leben des Autors und verarbeiten so persönlich Erlebtes.
Alle dieses und einiges mehr geschieht in diesem Roman (oder besser Erzählwerk wie Döblin »November 1018« nannte) nebeneinander, teilweise gänzlich unberührt voneinander. Die verschiedenen Konstellationen, politische wie private, spitzen sich zu und warten auf ihre Auflösung. Was aber noch fehlt, ist der Spartakus. Liebknecht tritt zwar auf, bleibt als Figur aber relativ undeutlich. Im vierten Buch wird aber genau das geliefert: die Konzentration auf die revolutionäre Idee, auf die Hoffnung des Sozialismus in einer Figur: Rosa Luxemburg. Und so habe ich auch nach fast 1500 Seiten noch immer Lust auf die Fortsetzung.