Dumont 2016, 288 S., ISBN 978-3-8321-9840-4, gibt es auch als eBook und als Taschenbuch.
Heimat ist subjektives Erleben, ein Konstrukt, das im höchsten Maße individuell empfunden und gelebt wird (und eben nichts, was für Politik taugt). Berni Mayer, geboren im niederbayerischen Mallersdorf (für die Eingeweihten: an der Grenze zur Oberpfalz) und seit einiger Zeit in Berlin lebend, hat vor 2 Jahren mit »Rosalie« einen Heimatroman veröffentlicht, der es in sich hat und der so erfrischend anders ist als all der Quark, den man mitunter in diesem Metier vorgesetzt bekommt. Der Roman spielt in der niederbayerisch-oberpfälzischen Provinz in den späten 1980ern und 1990er Jahren. Der fiktive Ort heißt Praam und liegt an der nicht fiktiven Schwarzen Laaber. Von meinem Standort aus gesehen hat der Autor also ein Heimspiel. Aber bevor ich zur Handlung des Romans komme, sei noch ein wenig mehr über den Autor berichtet.
Berni Mayer, geboren 1974, arbeitet als Blogger, Musiker, Journalist, Übersetzer, übt also so ziemlich alle »Fantasieberufe« aus, die am Markt zur Verfügung stehen. Als durchaus Fußball affiner Mensch kannte ich bereits seinen Podcast »Brennerpaß«. In den Anmerkungen am Ende werde ich ein paar seiner Tätigkeitsfelder verlinken. Warum allerorten »Rosalie« sein literarisches Debüt genannt wird, erschließt sich mir nicht ganz, da er doch bereits zwischen 2012 und 2014 drei Kriminalromane um seinen Helden Max Mandel veröffentlicht hat. Sei’s drum, ich komme also zu dem 2016 erschienen Roman »Rosalie«.
Der Romanheld Konstantin kehrt nach Jahren zurück nach Praam, wo sein Vater, der den Gasthof Wolff am Ort betrieben hatte, beerdigt wird. Der Held wirkt seltsam unbeteiligt, läßt sich über den Veteranenchor aus und erinnert ansonsten ein wenig an den Fremden bei Camus. Man erfährt, dass ihn eine Wut packt. Im nächsten Kapitel finden wir Konstantin als Jugendlichen wieder. Ein katholisch-dörflicher Karfreitag wird beschrieben nebst einigen dazugehörigen Possen. Bekanntlich beobachtet der Mensch am genauesten, wenn er ein stückweit abseits vom Geschehen steht. Und der junge Konan Wolff tut das. Das Leben in der für den Helden viel zu engen Dorfgemeinschaft, das Erwachsenwerden in dieser Umgebung, die zeitlichen Umstände, die Tschernobyl Katastrophe wird sich ereignen, all das wird unaufgeregt, genau und fernab von jeder Folklore erzählt. Man ist mittendrin, schon auf den ersten Seiten. Nun taucht Rosalie im Dorf auf, blass, seltsam, faszinierend. Es kommt, wie es kommen muss und es beginnt eine Romanze zwischen Held und Zugereister. Dann, auf einem der Erkundungsausflüge, wird in das alte Wasserschloss eingebrochen und man macht eine fürchterliche Entdeckung. Soweit, keinen Schritt weiter, denn jetzt erfährt der Roman eine Wendung. Moderner Heimatroman und ein Roman über das Erwachsenwerden bis dahin, bekommt die Erzählung eine andere Färbung, und der Begriff Heimat erfährt eine bedeutende Erweiterung.
»Rosalie« besticht durch seinen schnörkellosen, nicht selten ironischen Ton, der seine Melancholie nicht verbergen kann. An einer Stelle beklagt der Held, dass sich ein so riesiger Berg von Unausgesprochenem zwischen ihm und seinen Eltern aufgetürmt hätte, dass es sich gar nicht mehr rentierte, diesen abzuarbeiten. Eine genaue Beobachtung, bei der man sich während der Lektüre sofort fragt, ob sie denn nicht auch außerhalb der Familie Geltung haben könnte. Von diesen Sätzen gibt es viele. Am Ende mag man dem Roman ein wenig anmerken, dass der Autor nach einem Ende gesucht hat. Aber das wird verziehen, den Leser und Leserinnen warten eh auf eine Fortsetzung. Man möchte unbedingt erfahren, wie es mit Rosalie weiter geht. Ich kann meine unbedingte Empfehlung nicht schließen, ohne auf eine Stelle gegen Schluß des Buches hinzuweisen, als Konstantin den sterbenden Opa Zogo im Krankenhaus besucht. Der Großvater räsoniert über Geschehnisse während der Nazi Zeit in Form von Anekdötchen, obwohl er ganz anderes zu berichten hätte. Da ist er wieder, der Berg. Eine so tief traurige Szene und so wahr. Bitte lest das Buch.
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