DRACULA (übersetzt von Andreas Nohl)
Steidl Verlag, 540 Seiten, ISBN 978-3869304625
„Nein“, sagte sie und hob abwehrend die Hand, „in diesem Augenblick hält der Tod mich fester umklammert als würde die Erde eines Grabes auf mir lasten!“. So heißt es gegen Ende des Vampirroman-Klassikers von Bram Stoker. Man merkt, daß hier reichlich Pathos und Kitsch geboten wird. Auch in den Handlungssträngen und was das Erzähltempo angeht holpert und stottert es ab und an bedenklich. Dies ist vor allem der Erzähltechnik des Briefromans geschuldet. Formal besteht Dracula aus Briefen und Tagebucheinträgen der Protagonisten, auch ein Phonograph kommt zum Einsatz. Diese Wahl der Form sollte der Handlung Authentizität vermitteln. Eine Rechnung, die heute natürlich nicht mehr aufgeht. Nein, ein Artist der Sprache war Bram Stoker nicht, einer der berühmtesten Autoren der Literaturgeschichte schon.
Überhaupt: Wir kennen doch Dracula! Polanskis Tanz der Vampire, Klaus Kinski und Werner Herzog und vor allem Murnaus Nosferatu… muß man da noch das Original (in neuer Übersetzung) lesen? Ja, ja und nochmals ja. Es ist grad diese Unvollkommenheit, diese Mischung aus Sittsamkeit und Kolportage, die die Lektüre zu einem besonderen Vergnügen macht. Man wird hineingesaugt in die Zeit Ende des 19. Jahrhunderts, als viktorianisches auf modernes Zeitalter trafen. Der Roman hat wahrlich Ecken und Kanten: Man hält die Luft an, wenn eine Bluttransfusion ohne jede Kenntnis der Blutgruppen (denn die waren zu Stokers Zeiten noch nicht bekannt wie man den Anmerkungen entnehmen kann) vorgenommen wird, oder ist entsetzt, wenn man über rassenideologische Ausführungen zu dem Typus des Verbrechers liest. Aber grad dieses Unzeitgemäße macht die Lektüre so spannend. Und man ist bei der Geburt des berühmtesten Vampirs der Literaturgeschichte dabei. Ob in den gefeierten Neuübersetzungen von Ulrich Bossier oder Andreas Nohl: Laßt euch mitnehmen auf die Burg des Grafen Draculas. Holzpfähle, Knoblauch und Hostien befinden sich hoffentlich im Gepäck!