Lit 19. Jh.

Wallstein Verlag 2023, Wilhelm Raabe: Werke, Kritische kommentierte Ausgabe. 288 S., ISBN 978-3-8353-5521-7

Das ist ja ein Ding! Es gibt eine neue kritische kommentierte Ausgabe der Werke von Wilhelm Raabe! Der erste Band erschien im Oktober 2023 im Wallstein Verlag: ›Fabian und Sebastian. Eine Erzählung‹. Der Erstdruck dieses Werkes erfolgte 1881 und 1882 in ›Westermann’s illustrierte Monats-Hefte‹. Herausgeber der Hefte war der zu dieser Zeit sehr bekannte Schriftsteller Friedrich Spielhagen. Die lange Erzählung Raabes gehört also zu dessen Spätwerk und wurde lange Zeit eher übersehen als besprochen, galt aber auch als eine Art Geheimtipp. Für mich Grund genug, mir diese Ausgabe zu besorgen und ›Fabian und Sebastian‹ zu lesen.

Deutscher Kunstverlag 2022, Hg.: Klassik Stiftung Weimar, Broschur, 112 S., ISBN: 978-3-422-98919-1

Arno Schmidt Lesern und Leserinnen dürfte Fanny Esterházy ein Begriff sein, hat sie doch 2016 den wundervollen Prachtband ›Arno Schmidt. Eine Bildbiographie‹ herausgegeben. Hier fungiert sie als Autorin des Bandes ›Wielandgut Oßmannstedt‹, den der Deutsche Kunstverlag in seiner Reihe ›Im Fokus‹ veröffentlicht hat. Das Gut bei Oßmannstedt diente dem Dichter Christoph Martin Wieland für sechs Jahre als Wohnsitz. Jahre in denen Wielands letzter Roman und Höhepunkt seines Schaffens ›Aristipp und einiger seiner Zeitgenossen‹ entstand.

Aufbau, Berlin 2001 (Große Brandenburger Ausgabe. Das erzählerische Werk. Bd. 17), 716 S., ISBN 3-351-03129-7.

»Zum Schluß stirbt ein Alter, und zwei Junge heiraten sich; – das ist so ziemlich alles, was auf 500 Seiten geschieht. Von Verwicklungen und Lösungen, von Herzenskonflikten oder Konflikten überhaupt, von Spannungen und Überraschungen findet sich nichts.«, zitiert aus einem Briefentwurf Fontanes an Adolf Hoffmann. An anderer Stelle: »Einerseits auf einem altmodischen märkischen Gut, andererseits in einem neumodischen gräflichen Hause (Berlin) treffen sich verschiedene Personen und sprechen da Gott und die Welt durch. Alles Plauderei, Dialog, in dem sich die Charaktere geben, und mit ihnen die Geschichte.« Mit diesen beiden Zitaten Fontanes aus dem Jahre 1897 wäre eigentlich alles über ›Der Stechlin‹, Theodor Fontanes letzten, 1898 posthum veröffentlichten Roman, gesagt. Doch geben wir uns ein klein wenig mehr Mühe.

Meine Ausgabe: Insel Verlag, Frankfurt a. M. 1985, 227 S., ISBN: 3-458-32587-5. Antiquarisch noch gut zu bekommen.

Stopfkuchen also. Stopfkuchen gehört zum Spätwerk Wilhelm Raabes und ist 1891 erstmals erschienen. Es ist sein bestes Werk (nach eigener und der Meinung vieler) und wohl sein bekanntestes Buch. Zumindest gilt das heutzutage, denn zu Raabes Zeit waren die frühen ›Der Hungerpastor‹ und ›Die Chronik der Sperlingsgasse‹ berühmter. Heute wissen wir vor allem sein Spätwerk zu schätzen. Die »kurz=&=gutn 200=Seiter«, wie Arno Schmidt sie einst nannte. Dieser Roman ist trotz des Untertitels weder ein Seeabenteuer, noch eine erste deutsche Kriminalgeschichte, auch ist Stopfkuchen keine Hommage an Arthur Schopenhauer, wie Rüdiger Safransiki noch behauptete. Drei Lektüren habe ich gebraucht, um zu erfassen, dass dieser Text viele Böden hat, irreführend und von großer Kunstfertigkeit ist.

Hanser 2004, 872 Seiten, übersetzt von Elisabeth Edl, ISBN 9783446204850. Als TB ist diese Ausgabe 2006 bei dtv erschienen.

Stendhal hieß mit bürgerlichem Namen Marie Henri Beyle, wurde 1783 in Grenoble geboren und starb 1842 in Paris. Von 1800 bis 1814 stand er in Napoleons Diensten, danach lebte er in Mailand – er blieb zeitlebens ein großer Bewunderer Italiens – wurde 1821 von dort ausgewiesen, lebte in Paris und wurde 1831 zum Konsul in Civitavecchia ernannt. Bis zum Ende seines Lebens pendelte er zwischen Civitavecchia und dem naheliegenden Rom. Stendhal verfasste Essays, Reiseberichte, schrieb Tagebücher. Seine Romane erlangten erst spät den ihnen angemessen Platz im Kanon der französischen Literatur. Heute gehören ›Die Kartause von Parma‹ (1839) und ›Rot und Schwarz‹ (1830) unbestritten zum Kanon der Weltliteratur (wie man so sagt). ›Rot und Schwarz‹ habe ich nun mit einiger Begeisterung gelesen.

Jung und Jung 2021, 64 S., gebundene Ausgabe, ISBN: 978-3-99027-253-4

Ein kleines blaues Büchlein aus dem Hause eines renommierten Salzburger Verlags mit einer Erzählung von Wilhelm Raabe. Das hat man nun auch nicht alle Tage, und so soll kurz berichtet werden. Denn meine Freude war groß, dass endlich mal wieder ein Buch von Wilhelm Raabe neu aufgelegt wird, auch wenn es eine grad 44 Seiten kurze Erzählung ist. Veröffentlicht wurde sie 1873, geschrieben bereits im Frühjahr 1872. Der Erzähler dieser Geschichte, ein nicht genannter Jurist, der es versteht, seine fünf Sinne beisammen zu halten, trifft auf einen ehemaligen Kollegen, den Königlich Preußischen Kreisrichter zu Groß-Fauhlenberge Löhnefinke, der sich einigermaßen seltsam verhält. Also der Reihe nach:

Vandenhoeck & Ruprecht 1966, 2. durchges. Auflage 1981, Bd. 17. Das Odfeld. Der Lar. (S. 221-395), als PDF bei »digi20.digitale-sammlungen.de« zum Download. Preiswerte Buchausgaben sind antiquarisch gut zu erreichen.

Den Lar sollte man nicht auslassen. Zwischen Odfeld und Stopfkuchen, zwei Riesen also im Raabschen Erzählkosmos, tummelt sich »Der Lar, eine Oster-, Pfingst-, Weihnachts- und Neujahrsgeschichte«. Eine Geschichte für jeden Festtag also. Raabe selbst hatte es mal nötig, sich so richtig gehen zu lassen, und so heißt das ironische Motto: »O bitte, schreiben auch Sie doch wieder mal ein Buch, in welchem sie sich kriegen!« Raabe tut das: 1889 kommt die Erzählung erst als Dreiteiler in Westermann Monatsheften, dann als Buch heraus. Es wird ein Erfolg und dann wird die Erzählung irgendwie vergessen. Zu Unrecht, wie man sehen wird. Dass das keine gewöhnliche Schmonzette geworden ist, wird uns schon beim Lesen des Vorworts klar: Paul Warnefried Kohl mit seiner Frau Rosine, geborene Müller, am Taufbecken. Mit von der Partie Kohls Jugendfreund Bogislaus Blech und der Kreisdienstarzt a. D. Schnarrwergk. Das glückliche Ende ist doch jetzt eigentlich schon erzählt? Nicht doch, es geht erst los.

Empfohlene Ausgabe: Wilhelm Raabe, Das Odfeld, herausgegeben von Hans-Jürgen Schrader, Insel Taschenbuch, 227 S., ISBN: 3-458-32586-7, antiquarisch noch recht gut zu erreichen. Oder die Reclam-Ausgabe.

Anfang November 1761, mitten im Chaos des Siebenjährigen Krieges stehen der alte Magister Noah Buchius und der ruppige Klosteramtmann von Amelungsborn am Rande des Odfelds im Weserbergland und werden Zeugen eines unheimlichen Spektakulums. Zwei riesige Rabenschwärme fallen übereinander her und befehden sich ohne Gnade. Buchius sieht den Verlauf der tierischen Luftschlacht als ein Zeichen: Der geliebte Herzog Ferdinand von Braunschweig wird siegen und die Menschen vor den einfallenden Franzosen schützen. Wir sind im dritten von fünfundzwanzig Kapiteln und wissen bereits, dass das berühmte Gymnasium von Amelungsborn nach Holzminden verlegt wurde und man den schrulligen Schulmeister Buchius zurückgelassen hat. Er lebt in einer Klosterzelle, leidlich versorgt von dem Amtmann, der mit Familie und Gesinde ebenfalls vor Ort ist. Die Lage wird immer brenzliger, die Gegend und damit auch das Kloster stehen mitten in der Kampfzone. Wir Leser und Leserinnen von »Das Odfeld« bleiben für die nächsten Stunden im Geschehen.

Vandenhoeck & Ruprecht 1970, Braunschweiger Ausgabe, Band 16;
Antiquarisch gut erreichbar: Insel 1985, Werke in Einzelausgaben, Band 5, 195 S., ISBN: 3-458-32585-9;
Braunschweiger Ausgabe als PDFs: digi20.digitale-sammlungen.de

Wilhelm Raabes veröffentlichte seine Langerzählung »Im alten Eisen« 1887. Sie gehört zu seinem Spätwerk, also den guten, knappen 200er Seiter, die nie ein großer Erfolg beim breiten Publikum wurden, aber heute von großem Interesse sind oder sein könnten. Diese Romane oder langen Erzählungen, »Stopfkuchen«, »Das Odfeld«, »Die Akten des Vogelsangs« und andere sind literarisch viel zu interessant, um in Vergessenheit zu geraten. Resigniert ob des Desinteresses des deutschen Lesepublikums, dem ihr Humorist und Idylliker abhandenkam, schrieb Raabe in dieser Periode für sich und sein literarisches Konzept. Ein Glücksfall für uns heutigen Leserinnen und Leser.

Hanser Verlag 2009, 576 S., ISBN 978-3-446-23290-7, aus dem amerikanischen Englisch von Michael Walter und Daniel Göske.

Herman Melville brauchte nach »Moby-Dick« und »Pierre« dringend einen Erfolg, um vielleicht doch nicht im Rinnstein zu sterben. »The Piazza Tales« erschienen 1856 als Buch und enthielt fünf Kurzgeschichten, die Melville zwischen 1853 und 1855 für das New Yorker »Putnam’s Magazin« geschrieben hatte. Die »Geschichten von der Galerie« umfassen die extra als eine Art Einleitung geschriebene Erzählung »Die Galerie«, dann »Bartleby, der Lohnschreiber«, »Benito Cereno«, »Der Blitzableitermann«, »Die Encantadas« und »Der Glockenturm«. Ferner enthält der vorliegende Band aus dem Hanser Verlag die berühmte Erzählung von »Billy Budd, Matrose«. Dazu gibt es einen detaillierten Anmerkungsapparat, ein Nachwort von Daniel Göske und auch eine Zeittafel zum Leben von Herman Melville fehlt nicht.