Diogenes 2013, ISBN 978-3-257-24224-9, 592 Seiten, auch als eBook erhältlich.
Fragt man mich nach meinen Lieblingsbüchern, so nenne ich neben anderen auch gern „Das Herz ist ein einsamer Jäger (The heart is a lonely hunter)“ von Carson McCullers. Ich verschenke das Buch sehr oft, selbst gelesen habe ich es vor vielen, vielen Jahren. Als ich vor wenigen Wochen das Buch wieder einmal als Geschenk verpackt habe, kamen mir die Idee und auch die große Lust, es erneut zur Hand zu nehmen. Es ist bekanntlich immer eine spannende Angelegenheit, ein geliebtes Buch nach langer Zeit wieder zu lesen. Enttäuschung, neue Perspektiven, Déjà-vu-Erlebnisse, Bewußtwerdung der eigenen Entwicklung … vieles ist möglich und so war ich sehr gespannt.
Carson McCullers kam 1917 in Columbus im US-Staat Georgia zu Welt, später zog sie nach New York. Sie wollte ursprünglich Konzertpianistin werden, doch ein erster Rheumaanfall verhinderte dieses. Zu einem Musikstudium kam es ebenfalls nicht und ab 1933 begann sie, erste Erzählungen und Theaterstücke zu schreiben. Der 1940 veröffentlichte Roman „Das Herz ist ein einsamer Jäger« machte sie berühmt. Ihr weiteres Leben war von schweren Erkrankungen und dramatischen Beziehungsproblemen geprägt. Sie starb mit fünfzig Jahren in Nyack (New York) an den Folgen eines Schlaganfalls. Ihre literarische Hinterlassenschaft ist schmal, vor allem die frühen Werke aber haben tiefe Spuren in der Literaturgeschichte hinterlassen.
„The heart is a lonely hunter“ spielt Ende der 1930er Jahren in einer kleinen Stadt in den amerikanischen Südstaaten. Es herrschen Armut, Gewalt und Rassismus. Die Menschen versuchen wie zum Trotz, ihr Glück zu finden. Der taubstumme John Singer lebt mit seinem ebenfalls gehörlosen Freund Spiros Antonapoulus in einem Zimmer, das von der mittellosen Familie Kelly vermietet wird. Die dreizehnjährige Mick Kelly, eines der sechs Kinder der Familie, verbringt viel Zeit mit Herrn Singer. Dieser kann Lippen lesen und ist auf solche Weise ein guter und verständnisvoller Zuhörer. Außerdem darf sie bei ihm Radio hören. Kelly möchte Musikerin oder Komponistin werden und schreibt im verborgenen Stücke für Klavier und Violine (hier gibt es durchaus Parallelen zum Leben der Autorin). Herr Singer selbst kümmert sich rührend um seinen Freund Spiros, kann es aber nicht verhindern, daß dieser wegen seines auffallenden Verhaltens in eine 350 km entfernte Irrenanstalt eingewiesen wird. Dort besucht Herr Singer seinen Freund regelmäßig. Und es gibt weitere wichtige Personen im Kosmos von „Das Herz ist ein einsamer Jäger“, ich nenne nur die wichtigsten: Biff Brannon ist der Besitzer des „Café New York“. Er führt eine eher unglückliche Ehe mit Alice, die später an einem Tumor sterben wird. Alles Mögliche geht ihm durch den Kopf, er grübelt viel und am liebsten beobachtet er seine Gäste. Der Trinker Jake Blount ist wütend, oft rasend. Er möchte die unterdrückte Arbeiterschaft zum Aufstand bewegen. Dann der Arzt Benedict Copeland: Auch er verbittert und wütend. Seine Idee ist es, aus „seinem” gedemütigten Negervolk eine stolze, selbstbewußte Rasse zu formen. Im privaten Umfeld versagt er. Es ist seine Tochter Portia, die verzweifelt versucht, die Familie zusammenzuhalten …
Es gibt noch viel mehr Charaktere in diesem Roman und man folgt ihnen innerhalb eines Zeitraums von etwa einem halben Jahr. Denjenigen, die diesen Roman noch nicht gelesen haben, nur so viel: All diese Personen sind suchend, zweifelnd, unzufrieden, rat- und rastlos, oft rasend vor Wut und werden von ihren Leidenschaften verfolgt. Immer wieder treffen sie auf John Singer, der die Kunst des Zuhörens versteht. Von ihm selbst wissen sie wenig. Im Kontrast zu dieser Verzweiflung der Stil des Romans: Eine einfache, fast naive Sprache, mit ungeheurer poetischer und musikalischer Kraft. So wirkt der Roman fast ein wenig sentimental, ist es aber in keinster Weise. Es ist fantastisch, wie es McCullers schafft, all die suchenden Stimmen und düsteren Stimmungen zu Poesie werden zu lassen. Mit zweiundzwanzig Jahren hat Carson McCullers „The heart is a lonely hunter“ beendet. Der Roman ist einzigartige und große Literatur.
Ich hatte neulich eine Diogenes-Biographie von der Autorin angefangen, muss jetzt wohl mal weiterschmökern. Auch sie eine sehr interessante, wenn auch nicht sympathische Figur – ich werde mir den Roman auch nochmals herholen und schauen, inwieweit Züge der Autorin bei Blounts zu finden sind.
Oh ja, das wäre interessant nachzulesen: Blount ist wirklich ein sehr spezieller Charakter.
Man muss sie einfach ins Herz schließen. Schon vor einiger Zeit in unserer Bücherrunde gelesen, aber immer noch in wunderbarer Erinnerung…
Ja, das ist wirklich ein ganz wunderbares Buch, da hast Du recht!