Ich habe ›Nanon‹ von George Sand gelesen

Die Frau in Männerkleidung, frühe Kämpferin für die Gleichberechtigung der Frau, Partnerin von Chopin, ›Ein Winter auf Mallorca‹, der wunderbare Briefwechsel mit Flaubert … dieses und noch mehr mag einem einfallen, wenn man an George Sand (1804—1876) denkt. Sie hat aber auch über 60 Romane geschrieben. ›Nanon‹, die Entwicklungsgeschichte einer Frau aus dem bäuerlichen Milieu in den Jahren 1787 bis 1795 (vielleicht auch eine Hommage an die Mutter von George Sand), wurde 1872 zunächst als Fortsetzungsroman veröffentlicht. Der Roman (im Buch 379 Seiten) gehört also zu den letzten größeren Werken von George Sand. Der Hanser Verlag hat bei dieser Ausgabe nicht gekleckert: Die Übersetzerin Elisabeth Edl steht für die Übertragung ins Deutsche und die Ausgabe ist mit zusätzlichen 100 Seiten Nachwort, Chronologie der Französischen Revolution, einer Zeittafel, der Biographie von George Sand und Anmerkungen ausgestattet. Klassikerstandard also.

Die Rahmenhandlung: Die 75-jährige Marquise de Franqueville schreibt die Geschichte ihrer Kindheit und Jugend auf. Zu Beginn dieser Geschichte ist sie 12, gegen Ende 20 Jahre alt. Sie, das ist die Waise und Analphabetin Nanon, die bei ihrem Großonkel, einem abhängigen Kleinbauern in einem französischen Kaff, aufwächst. Nicht weit entfernt von dem ärmlichen Bauernhaus steht ein Kloster, in dem Émilien de Franqueville lebt. Er wurde als Zweitgeborener einer Adelsfamilie dorthin abgeschoben. Schließlich der geschichtliche Hintergrund: Im entfernten Paris kocht die Revolution mit anschließender Schreckensherrschaft. Es rollen Köpfe und das hat auch Auswirkungen auf unsere Protagonisten in der Provinz Marche, in etwa dem heutigen Départment Creuse entsprechend. Gegen Ende des Romans tritt etwas überraschend eine weitere Erzählerstimme auf, die den Rest (20 plus) des Lebens Nanons, das einen erstaunlichen wie rasanten sozialen Aufstieg darstellt, abhandelt. Der Roman musste dann wohl zu einem fristgerechten Ende kommen, er erschien ja zuerst in Fortsetzung.

Dass in dieser Geschichte aus der Sicht eines aus dem bäuerlichen Milieu kommenden Mädchens und später jungen Frau erzählt wird, hatte 1872 etwas sehr Neues. George Sand bemüht sich, die Entwicklung Nanons auch sprachlich zu spiegeln. Dass ich diese Feinheiten des reduzierten Stils (Wiederholungen, es holpert hier und da) bemerke und als Gewinn lese, ist wohl auch der Übersetzerin Elisabeth Edl zu verdanken. Schon in den ersten Zeilen konstatiert die alte Marquise:

»Ich weiß nicht, ob ich im Schreiben erzählen kann, denn mit zwölf war ich noch außerstande zu lesen. Ich versuch’s, so gut ich kann.« (S. 7)

Der Roman versteht es, in 28 Kapiteln Spannung aufzubauen (Cliffhanger inklusive). Die Handlung oft romantisch wie unwahrscheinlich und genauso wunderbar zu lesen. Es gibt Drama, Leid und Errettung, und halsbrecherische Abenteuer – da steht der Roman einem Sue oder Dumas in nichts nach. Was hinzukommt: Die Auswirkungen der Revolution für Bauern, Klerus und Adlige in der Provinz werden hier wirklichkeitsnah erzählt, nämlich mit den Stimmen der Beteiligten. Wie Historie ohne Besserwisserei in die Erzählung kommt, ist erstaunlich und ein großer Gewinn. Und für Kolportage bin ich schon auch zu haben.

Leider habe ich bei der Lektüre aber nicht nur Freude gehabt. Und zu allererst muss ich hier ausgerechnet die Heldin Nanon nennen. Sie ist mir bedauerlicherweise gehörig auf die Nerven gegangen: Die Hauptfigur ist sehr eindimensional geraten und ohne Ecken und Kanten erzählt. Sie kann alles, wo nicht, begreift sie es sofort, ist herzensgut und eine Seele von Mensch und tapfer, mutig, edel und geschäftstüchtig obendrauf. Meinegüte. Ähnliches gilt auch für andere Protagonisten der Erzählung. Ich würde das Kitsch nennen. Sicherlich, es erzählt die nicht vorurteilsfreie Marquise, aber auch die etwas lieblos angehängte weitere Erzählerstimme behält diesen Grundton bei. Sehe ich ›Nanon‹ als Kolportage Roman ist meine Kritik überflüssig, denn Helden und Heldinnen haben dort so zu sein. Möchte der Roman mehr sein, dann irritiert so eine Super Nanon. Ferner gibt es grad gegen Ende des Romans viele Reden, die im Kontext einer Person, die in Sprache doch nicht so ganz zu Hause sein will, fremd wirken. Da ist viel Idealismus, der zum Kitsch dazu kommt.

Nicht unerwähnt lassen möchte ich hierbei zwei Aussprüche von Nanon gegen Ende des Buches: »Macht, dass sie euch liebt, eine Frau gibt dem Mann, den sie liebt, immer recht und anerkennt seine Autorität.« auf Seite 304 unten und auf Seite 343 »Wenn Émilien mein Gatte ist, wird er auch mein Gebieter, und ich gehorche ihm gern.« Solche Sätze entsprechen dem damalig verbreiteten Frauenbild, aber passen weder so recht zu der Heldin der Geschichte, noch zu den Auffassungen von George Sand. Vielleicht soll hier noch einmal die bäuerliche Herkunft und Denkweise von Nanon unterstrichen werden? Ich weiß es nicht.

›Nanon‹ von George Sand hat bemerkenswerte Stärken: Das Buch ist in weiten Teilen sehr spannend und unterhaltsam und zeichnet auf eindrucksvolle Weise Land und Leute der Zeit. Wie die Französische Revolution in der Provinz ankommt, habe ich so noch nicht gelesen. Dazu kommt die hervorragende Ausstattung, die der Hanser Verlag diesem Roman zukommen lässt, sowie die hervorragende Übersetzung von Elisabeth Edl. Will ich allerdings in dem Text mehr sehen als einen gehobenen Fortsetzungsroman, lässt mich die Lektüre ein wenig unzufrieden und ratlos zurück.

Meine Ausgabe: Hanser Verlag München 2025, aus dem Französischen von Elisabeth Edl, gebundene Ausgabe mit Fadenheftung und Lesebändchen, 495 Seiten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert