Klett-Cotta, 304 S. (Print), ISBN: 978-3-608-94807-3
Allein bei dem Titel „Kriegsenkel“ hört man provozierte Stimmen aus dem Off: „Was habt ihr denn schon mit dem Krieg zu tun? Ihr habt doch ein sorgenfreies Leben.“ So raunen die Kriegskinder, während viele Freunde der in den 1960ern geboren und heute längst erwachsenen Enkel Generationskonflikte als für zwingend erledigt betrachten. Doch so einfach ist die Sache nicht. Das behauptet Sabine Bode in ihrem 2009 erschienen Buch. Doch worum geht es eigentlich?
Ich zitiere aus dem Einführungstext des Verlags: „Als Friedenskinder sind sie in den Zeiten des Wohlstandes aufgewachsen. Es hat ihnen an nichts gefehlt. Oder doch? Die Generation der zwischen 1960 und 1975 Geborenen hat mehr Fragen als Antworten: Wieso haben viele das Gefühl, nicht genau zu wissen, wer man ist und wohin man will? Wo liegen die Ursachen für diese diffuse Angst vor der Zukunft? Weshalb bleiben so viele von ihnen kinderlos? Noch ist es für sie ein völlig neuer Gedanke, sich vorzustellen, ihre tief sitzende Verunsicherung könnte von den Eltern stammen, die ihre Kriegserlebnisse nicht verarbeitet haben. Ist es möglich, dass eine Zeit, die über 60 Jahre zurückliegt, so stark in ihr Leben als nachgeborene Kinder hineinwirkt?“
Daß Traumata auch über Generation hinweg „vererbt“ werden, ist keine neue Erkenntnis, es auf die vorgeblich sorgenfreie, unpolitische „Generation Golf“ zu beziehen, ist mit Frau Bodes Verdienst. Inzwischen gibt es Foren und Facebook-Gruppen der Kriegsenkel, und auch wenn man die Rezensionen bei Amazon liest (kaufen tut man ja dann beim Buchhändler) erkennt man unschwer, daß dieses Buch einen Nerv trifft. Achtzehn Fallstudien von fast ausnahmslos beruflich erfolgreichen Männern und Frauen dieser Generation werden vorgestellt. Das heißt, es werden ihre in Interviews erzählten Entwicklungsgeschichten mit Kommentaren der Autorin wiedergegeben. Die Eltern der Probanden sind die sogenannten Kriegskinder. Meist solche, die nicht nur den Krieg, sondern auch damit verbundene Vertreibung erleben und erleiden mußten. Das Problem der Monokausalität (sind die erfahrenen psychischen Defizite allein auf die unverarbeiteten Traumata der Eltern zurück zu führen?) ergibt sich von selbst. Da ist es gut, daß die Autorin gegen Ende des Buches darauf hinweist. Es ist nicht Sinn und Zweck der Studie, die eine gültige Ursache für psychische Dispositionen auszumachen, sondern mögliche Zusammenhänge aufzuzeigen, zu lichten und ein wenig Klarheit zu erzeugen.
Kritisieren möchte ich nicht den populär-wissenschaftlichen Ansatz der Studie, sondern einen Widerspruch, der sich meines Erachtens im Text auftut: Zu Beginn und gegen Ende des Buches wird Frau Bode politisch. Die Enkelgeneration müsse sich eingedenk klammer Kassen und des Niedergangs des Sozialstaats „bewußt mit ihrer Generation solidarisieren und gemeinsam dafür sorgen, daß Deutschland wieder zukunftsfähig wird.“ In der Einleitung wird die Autorin noch deutlicher: „Noch ahnte niemand, dass man der ersten Nachkriegsgeneration angehörte, der im Unterschied zu Eltern und Großeltern kein behaglicher Ruhestand vergönnt sein würde, weil eben diese sich der öffentlichen Kassen gedankenlos bedient und einen gigantischen Schuldenberg hinterlassen hatten. Noch ahnte man nicht, dass man zu gehemmt sein würde, um die Älteren mit ihrer Maßlosigkeit und ihrem Desinteresse an gesellschaftlicher Zukunftsgestaltung zu konfrontieren.“ Das wirkt wie aufgesetzte, ganz und gar unnötige Polemik, wo es doch aus psychologischer Sicht (wie im Buch deutlich aufgezeigt wird) darum geht, die Situation der im Krieg drangsalierten Elterngeneration zu verstehen, um dann Traumata und deren Folgen auf die erfahrene Erziehung und das spätere Agieren mit- und gegeneinander einschätzen zu können.
Nichtsdestotrotz möchte ich dieses Buch denjenigen Lesern und Leserinnen empfehlen, die selbst der Generation der Kriegsenkel angehören und denen Leerstellen der eigenen Psyche und innere wie äußerliche Heimatlosigkeit bekannt vorkommen. Um es mit einer der Interviewten zu sagen: „Ich weiß, daß die Schatten sich verflüchtigen, wenn sie ans Tageslicht kommen.“ Mich selbst hat „Kriegsenkel“ stellenweise sehr berührt.