Deutschland

HEERESBERICHT
Nikol Verlag, 400 Seiten, ISBN 978-3-86820-129-1

Edlef Köppen wurde 1893 geboren. Er war Kriegsfreiwilliger und nahm von Oktober 1914 bis Oktober 1918 am I. Weltkrieg teil. Seine Erfahrungen verarbeitete er in seinem bekanntesten Roman „Heeresbericht“, der 1930 veröffentlicht wurde. 1939 starb Köppen an den Folgen einer Kriegsverletzung.

Im „Heeresbericht“ werden die Erlebnisse des anfangs kriegsbegeisterten Adolf Reisiger von 1914 bis 1918 geschildert. Sie enden mit Reisigers psychischen Zusammenbruch und seiner Einlieferung in eine Heilanstalt. Erzählt wird in einem lakonischen Ton, ohne jede Weinerlichkeit oder Kaltschnäuzigkeit. So steht dieser Roman irgendwo zwischen Remarques „Im Westen nichts Neues“ und Jüngers „In Stahlgewittern“. Köppen bedient sich des Montierens von Originaldokumente (Zitate des Kaisers, Zeitungsberichte, Reklame, Tagebucheinträge, etc.) im Text, sowie gelegentlich eingeschobener Bewußtseinsströme. Der Roman wirkt bei heutiger Lektüre ungeheuer modern und erzeugt große Intensität. Zu Unrecht steht er in der zweiten Reihe derjenigen Romane, die den I. Weltkrieg zum Thema haben.

SPLITTER IM AUGE
Goldmann Verlag, 352 Seiten, ISBN 978-3-442-47546-9

Ich habe keine Ahnung, wie der Autor das gemacht hat: einen gewöhnlichen Kriminalroman, mit einem gewöhnlichen Plot geschrieben und doch etwas Besonderes geschaffen zu haben. Es muß mit den häufig wechselnden Erzählebenen und Perspektiven zu tun haben, denn der Plot selbst kommt eher konventionell daher …

Steiger, ein müde gewordener Ermittler der Kripo in Dortmund (und Schalke-Fan! das Leben kann hart zu einem sein),  läßt ein kürzlich abgeschlossener Fall nicht in Ruhe und gegen die Weisungen seiner Vorgesetzten geht er den Spuren erneut nach. Eine Entführung, der Tod seines Vaters, der Unerwartetes mit sich bringt, der nervtötende Polizeialltag, eine ehrgeizige  Kollegin an seiner Seite, dazu die tragische Geschichte eines Bruderpaares …. viele Stränge und Ebenen sind es, die in diesen fast 350 Seiten zusammenlaufen. Und es paßt! Die Figuren sind lebensecht (lediglich das Bruderpaar hätte ich mir noch ein wenig deutlicher gezeichnet gewünscht), die Konflikte hart und aus dem Leben, auf weinerliche Betroffenheit wird verzichtet. Der Showdown rasant, wenn auch klassisch und ohne wirkliche Überraschung.

Ich weiß immer noch nicht, wie er das gemacht hat, und ich muß es ja auch nicht wissen. Aber ich kann Splitter im Auge von Norbert Horst nur wärmstens empfehlen.

VATERLAND
Heyne Verlag, 384 Seiten, ISBN 978-3-453-07205-3

Dem letzten Kapitel seines 1992 erschienen Romans Vaterland (engl.: Fatherland) stellt Robert Harris ein Zitat aus Primo Levis „Die Atempause“ voran. Levi läßt einen SS-Offizier Folgendes sagen: „Wie immer dieser Krieg auch enden mag, wir haben den Krieg gegen euch gewonnen; von euch wird niemand übrigbleiben, um Zeugnis abzulegen, aber selbst wenn jemand übrigbleiben sollte, würde die Welt ihm nicht glauben. Es wird vielleicht Verdacht geben, Diskussionen, Untersuchungen von Historikern, aber es wird keine Gewißheit geben, denn wir werden die Beweise zusammen mit euch zerstören. Und selbst wenn einige Beweise übrigbleiben und einige von euch überleben sollten, werden die Leute doch sagen, daß die Vorgänge, die ihr beschreibt, viel zu monströs sind, um glaubhaft zu sein: Sie werden sagen, daß das Übertreibungen der alliierten Propaganda sind, und uns glauben, die wir alles abstreiten werden, und nicht euch. Wir werden die Geschichte der Lager diktieren!“

Louisiana Red * 23.o3.1932 in Bessemer, Alabama † 25.02.2012 in Hannover.   Ich habe Red Ende der Siebziger das erste Mal in einer Kneipe in Braunschweig gesehen und gehört. In meinem Flur hängt seit dieser Zeit ein Plattencover mit seinem Schriftzug: „Best Wishes from Louisiana“. Ein schönes Stück Erinnerung an einen wunderbaren Bluesman.

„Ihr Völker der Welt … schaut auf diese Stadt!“

… und es gibt sie doch, die gute Nachricht zu Weihnachten. Am Heilig Abend raffen sich 6.500 Bielefelder nicht zum Weihnachtseinkauf auf, sondern zur Demonstration gegen diese unverschämte rechte Meute. Chapeau Bielefeld!
http://www1.wdr.de/themen/politik/sp_terrorvonrechts/bielefeldstelltsichquer110.html

WER DAS SCHWEIGEN BRICHT
Pendragon Verlag, 224 Seiten, ISBN 978-3-86532-231-9

Monatlich stellt Die Zeit die zehn besten Krimis vor. Und im August hat dieser 200 Seiten Roman den ersten Platz gemacht. Grund genug, einen Krimi zwischen zu schieben. Und um es gleich zu sagen: ich wurde nicht enttäuscht, ganz im Gegenteil.

Darum geht’s: Robert Lubisch findet im Nachlaß seiner Vaters, zu dem er zeitlebens ein schwieriges     Verhältnis hatte, das Foto einer schönen Frau und den SS Ausweis eines ihm Unbekannten. Was hat das zu     bedeuten? Kratzer in der makellosen Vita seines Vaters? Vor allem diese Ahnung treibt Lubisch junior an,   dem Geheimnis auf den Grund zu gehen. Er entdeckt rasch, daß keine amouröse Liebelei dahinter steckt und beauftragt die zielstrebige Journalistin Rita Albers, der wiederum schnell klar wird, daß aus dieser Geschichte eine richtig große Story werden könnte. Doch dann ist sie tot …

Der Roman spielt am Niederrhein und in Mallorca, Ende der 1990er Jahren und während der Nazizeit. Die Figuren sind nicht sehr fein gezeichnet, aber das stört nicht, sondern läßt Platz für eine rasante und komplexe Handlung. Diese hätte man auch durchaus auf 300 Seiten oder mehr dehnen können, doch es ist ein Gewinn, daß Frau Borrmann dieses nicht getan hat. Man ahnt während des Lesens das ein oder andere und ist am Ende doch ein wenig überrascht. So soll es sein, und deshalb ist dieser Kriminalroman für mich eine unbedingte Empfehlung!

JEDER STIRBT FÜR SICH ALLEIN
Aufbau-Verlag, 704 Seiten, ISBN 978-3-7466-2811-0

Die Handlung des Romans ist rasch erzählt: Der Sohn des stillen, unnahbaren Arbeiters Otto Quangel und dessen Frau Anna stirbt 1940 im Krieg. Erschüttert und voll ohnmächtigen Zorns beschließen sie, Widerstand gegen das unmenschliche System zu leisten. Sie schreiben Postkarten mit eindeutigen, einfachen Botschaften, die das Nazi-Regime als verbrecherisch entlarven sollen, und verteilen diese in Berlin. Sie werden gefaßt und 1943 hingerichtet. Soweit stimmen die Begebenheiten mit den tatsächlichen Geschehnissen in Berlin der 1940er Jahren überein. Das Ehepaar hieß in Wirklichkeit Hampel, im Buch sind Gestapo-Fotos von ihnen zu sehen. Dann aber fügt Fallada den historischen Fakten Figuren und Begebenheiten hinzu und malt so ein Sittenbild der einfachen Leute im Dritten Reich: ungeschönt, rauh und sehr nah. Hier liegt die ungeheure Stärke dieser großen und letzten Erzählung von Hans Fallada (Wer einmal aus dem Blechnapf frißt, Kleiner Mann – was nun?, Der Trinker, Wolf unter Wölfen), und, ein wenig, auch seine Schwäche.

DER KAISER VON CHINA
Dumont Verlag, 160 Seiten, ISBN 978-3-8321-8074-4

Und wieder was mit 200 Seiten. Die Geschichte ist verzwickt: Keith Stapperpfennig wuchs beim Großvater auf. Zusammen mit vier Geschwister und diversen, immer jünger werdenden Großmüttern. In die letzte Großmutter verliebt sich Keith. Zu Großvaters Achtzigsten bekommt dieser von seinen Enkeln eine Reise nach China geschenkt. Allein: begleiten will ihn keiner, es bleibt am Schluß an Keith hängen. Dieser allerdings verjubelt die Reisekosten, muß den Großvater allein reisen lassen und erfährt bald darauf, daß dieser im Westerwald gestorben sei. Nun muß der Held für die Geschwister eine Geschichte erfinden, damit diese glauben, daß die Reise nach China stattgefunden hat.
Soweit der Plot. Der Roman ist geschrieben nach der Art eines Münchhausens: Voller Fantasie und Skurrilität. Dabei immer amüsant und wunderbar unterhaltend. Vieles in der Geschichte erkennt man wieder, vor allem, wenn die Familienverhältnisse beschrieben werden. Man lacht lauthals, und ab und an schluckt man auch. Unterhaltung auf sehr hohem Niveau.

ZETTEL’S TRAUM
Suhrkamp Verlag, 1536 Seiten, ISBN 978-3-518-80300-4

Nun ist es also soweit: Zettel’s Traum ist nach 40 Jahren als gesetztes Buch erschienen. In meinem erweiterten Freundeskreis (gell Martin) wird öfters über dieses Werk gelästert: „Zettel’s Traum“ gilt als Synonym für unsinnige Buchprojekte, die nichts mit dem Bedürfnissen des lesenden Menschen zu tun haben, sondern bestenfalls literarische Prestigeobjekte darstellen. Ich lasse diese Freunde reden, und sehe es vollkommen anders. Sicher: wer liest schon die über 1500 Seiten (großformatig!) von Zettel’s Traum von vorne bis hinten, und vor allem: wer versteht das alles? Aber ist das wichtig? Mir nicht, ich weide in diesem Text und amüsiere mich auf das allerprächtigste! Die Handlung ist eh überschau- bar und man kann wunderbar irgenwo in den Text gehen und sich auf das allerbeste unterhalten lassen. Wenn es einen Text gibt, der nichts für SchnellleserInnen ist, dann dieser.