S. Fischer 2002, Text- und Kommentarband, 1592 S., ISBN: 978-3100483126, der Text ist auch in vielen anderen Ausgaben erhältlich, als E-Book oder als Taschenbuch empfehle ich die Ausgabe von Fischer Klassik (Plus).
Mein Verhältnis zu den Büchern Thomas Manns ist nicht ganz ungestört. Auf der einen Seite die endlosen Ausdeutungen des Krankheit-Genie Themas, die großbildungsbürgerliche Attitüde und das blasierte »Wo ich bin, ist Deutschland«. Dagegen diese ungeheure Stilsicherheit, Beobachtungsgabe und feine Ironie. Ich mag die Erzählungen wie »Der kleine Herr Friedemann« oder den »Tristan«, bei dem sich mir etwas unwiderstehlich Wohliges-Unheimliches einstellt, wenn er von Will Quadflieg oder Gert Westphal vorgelesen wird. Bei meinem ersten Versuch, den »Doktor Faustus« zu lesen, bin ich krachend gescheitert und habe den »Zauberberg« mehrmals versucht und genau so oft abgebrochen: Kann mir nicht helfen, zu künstlich das Setting, zu langweilig die Dialoge. Allerdings ein ganz und gar persönliches Urteil, dem viele LeserInnen gewiss zu recht laut widersprechen werden. »Joseph und seine Brüder« schließlich ist eine Romantetralogie, die recht weit oben auf meinem Leseplan steht. Und dann die »Buddenbrooks«, Thomas Manns erste Roman von 1901. Ich liebe diesen Roman. Wie sehr, ist mir in den letzten Tagen wieder bewusst geworden, als ich mir dieses Meisterstück das dritte Mal in meinem Leseleben vorgenommen habe.
Etwa 40 Jahre, genau von 1835 bis 1877, begleiten wir eine Lübecker Kaufmannsfamilie. Herausragende geschichtliche Ereignisse dieser Zeit sind die Märzrevolution 1848/49, der deutsch-dänische Krieg von 1864, der preußisch-österreichische Krieg von 1866 und der Beitritt Lübecks zum Norddeutschen Bund 1866 und zum Zollverein 1868. Diese politischen Geschehnisse münden in ein neues Zeitalter, in dem nicht nur die Familie Buddenbrook ihre Souveränität verloren haben werden. Geschichte findet in den »Buddenbrooks« statt, sofern sie Einfluss auf Geschäfte und Ständepolitik hat. Man riecht keinen Pulverdampf, erwartet das auch nicht, leidet aber bei peinvollen Zahnarztbesuchen mit. Das Alltagsleben ist streng ständisch organisiert und Berührungspunkte mit den unteren Schichten bleiben Episode. Man denke an den nicht ganz ernst gemeinten Ausbruchversuch von Tony Buddenbrook vor ihrer erzwungen Hochzeit mit dem ungeliebten Grünlich. Die Welt der Buddenbrooks ist merkantil bis ins Private strukturiert, streng protestantisch und mit pietistisch-frömmelnden Einflüssen. Thomas Buddenbrook, das letzte Oberhaupt in der Reihe, wird allerdings eine leichte Hinwendung zum Katholizismus vollziehen, im Ganzen bleiben aber protestantische Ethik und Geschäftssinn eine Einheit. Eine Einheit bleiben auch Autor, Erzähler und Sujet: Thomas Mann erzählt seine Geschichte und den Platz der Kritik nimmt die Ironie ein. Es gibt unendlich viele Verweise auf real existierende Personen, was dann auch der Grund war, dass sich der Autor mit diesem Roman in seiner Heimatstadt nicht nur beliebt gemacht hat. »Buddenbrooks – Verfall einer Familie« ist stolze 837 Seiten lang und in 11 Teile mit jeweils 4 bis 15 Kapiteln unterteilt, was das Lesen sehr komfortabel macht.
Das Personal der »Buddenbrooks« ist reich an Figuren: Firmengründer Johann, Konsul Jean und Senator Thomas Buddenbrook, die jeweiligen Oberhäupter der Familie und Antoinette, Bethsy und Gerda deren Ehefrauen. Christian Buddenbrook, der dekadente Bruder von Thomas Buddenbrook und natürlich die so hinreißend eingebildete und stolze Tony. Wer denkt hier nicht an Scarlett O‘Hara? Dazu die vielen Familienmitglieder und Familien der Konkurrenten, Dienstpersonal und Bewohner der Stadt. Schließlich Hanno Buddenbrook, der Sohn von Thomas und Gerda. Die letzten Kapitel des Romans sind ganz ihm gewidmet. Das ausführlich Schulkapitel, das so weit von jeder Feuerzangenbowlenromantik entfernt ist, und dann … Wer den Roman kennt, wird verstehen, warum Hanno meine Lieblingsfigur sein muß. Fast alle Protagonisten sind hinreißend und detailliert beschrieben, als eine kleine Ausnahme ist hier vielleicht der Münchener Permader zu nennen, der zweite Ehemann Tonys: Da ist doch mehr Stadl als Mannsche Ironie. Trotz seiner Jahre in München, lagen dem Autor die norddeutschen Charaktere offensichtlich mehr. Das wird verziehen. Wer die »Buddenbrooks« nicht kennt, lese diesen Roman und entdecke seine persönlichen Lieblingsfiguren.
Ich habe mir für die Lektüre den Luxus der sündhaft teueren »Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe« gegönnt: Roman und Kommentar im Schuber. Dazu die E-Book Ausgabe von Fischer Klassik Plus, da mir das Buch für die frühmorgendliche Lektüre auf der Busfahrt zur Arbeit zu schwer war. Beiden Ausgaben liegt der Text der Erstausgabe von 1901 zugrunde. Der Kommentarband war durchaus von Nutzen, wenn allerdings eine Person des Romans nachzuschlagen oder ich mir aufgrund meiner Vergesslichkeit wegen der vorangegangen Handlung unsicher war, habe ich in Wikipedia nachgesehen. Neben den Informationen zur Entstehungsgeschichte des Romans waren mir die Anmerkungen des Kommentarbands bei den französischen und plattdeutschen Passagen und bei einigen älteren Begriffen hilfreich. Zwingend notwendig wäre der Apparat nicht gewesen. Man entscheide selbst, denn den Text der Erstausgabe kann man nicht nur als E-Book, sondern auch als Taschenbuch deutlich günstiger erwerben.
Hinweisen möchte ich schließlich noch auf den Blog von Sätze & Schätze, in dem es einen wunderbarer Eintrag über Thomas Mann in Bayern zu lesen gibt.
Rate mal, wohin es mich am Mittwoch verschlägt? Und welches Buch ich als Stadtführer dabei haben werde? Vielleicht gibt es dann noch eine Bummelei … jedenfalls habe ich mich von Dir anstecken lassen und kurzfristig die Buddenbrooks wieder rausgekramt. Und danke für den netten Link!
Wie? Was? Nach Lübeck etwa? Toll!! Ja Birgit, Bummelei bitte, zwingend!
Viel Spaß bei der Wiederaufnahme der Buddenbrooks, es ist wirklich ein außerordentliches Buch.
Wegen des Links: Immer wieder gern. Bist schließlich mein Literaturblog Numero Uno.
Boah, neeeeeee. Die Buddenbrocks sind mir zu ausweglos. Da möchte man sich ja schon bei Grünlichs Heiratsantrag erschießen, weil man sofort weiß, wies weitergeht. Nirgends Hoffnung. Schwärzer als so alte Russenromane wie „Alle Bitternis der Welt“. Und „Zauberberg“ und „Mario und der Zauberer“ öööööde. Lange dachte ich, dass das mit mir und diesem Mr. Tadellos nichts mehr wird. Dann „Felix Krull“ hups! So viel Schwung in der Schreibe? Ist das wirklich er? Aber leider unvollendet. Verdammt. Nun ja, es gibt ja andere.
Andererseits war diese Neuverfilmung vor ein paar Jahren im Gegensatz zu der von „Effi Briest“ richtig gut.
Da schau her, und mit dem Felix Krull kann ich nun gar nicht anfangen. Tja, so kann’s gehen … Beste Grüße und Dank für den Kommentar!