
»Am 15. Jänner 1991 um 12:30 verstarb die Schriftstellerin, Übersetzerin, Verlagslektorin, Leihbibliothekarin und Widerstandskämpferin im Zweiten Weltkrieg Doris Brehm, geborene Diez, im Alter von 82 Jahren im Wiener Wilhelminenspital.« So beginnt die Suche nach den Lebens- und Schaffensspuren Doris Brehms, deren Ergebnisse von der Herausgeberin Bettina Balàka und der Historikerin Bettina Prager zusammengestellt wurden und im Anhang dieser Ausgabe zu finden sind. Doris Brehms Roman ›Eine Frau zwischen gestern und morgen‹ ist der Auftakt einer neuen Reihe des österreichischen Verlags Haymon (Haymon Her Story: Wiederentdeckte Literatur von Frauen), die von Bettina Balàka herausgegeben wird und sich vergessenen deutschsprachigen Autorinnen widmet.
Rückblickend war es eine gute Entscheidung, die 27 Seiten der erwähnten Einordnung von Leben und Werk Brehms vorweg (und erneut nach der Lektüre des Romans) zu lesen. Und es war eine gute Entscheidung und ein Gewinn, mir dieses Buch zu besorgen. »Alle Personen, die in dem Buch vorkommen, hat es wirklich gegeben, wenn auch nicht genau so, wie sie hier dargestellt sind« wird Doris Brehm zitiert. Ein Roman also, der zumindest in den Figuren stark autobiographische Züge aufweist. Die Handlung setzt im Herbst 1942 in Wien ein und erstreckt sich bis in die Zeit nach Kriegsende. Die Hauptfigur ist Gerda Manner. Wir beobachten sie, wie sie sich die Stiegen in den 5. Stock der Dachgeschosswohnung in Wien herauf zu schleppen hat, da der Aufzug defekt ist. Unten das Geschäft, die Leihbibliothek, vorbei an der ehemaligen Wohnung des jüdischen Ehepaares Braun im ersten Stock, das dem befohlenen Auszug und der Deportation durch Selbstmord zuvorkam. Ihr Sohn Peter versucht derweil zu entkommen. Theo Manner, der Ehemann Gerdas, zieht überzeugt in den Krieg, Tochter Lucy, 15 Jahre alt, hört verbotene Musik. Gerda Manner wird nun selbst Entscheidungen treffen müssen und das tut sie. Dieses Buch ist unter anderem eines über Emanzipation. Als der Mann die Familie verlässt, hat die Entfremdung des Ehepaars längst begonnen. Und Gerda wartet nicht länger, sie handelt.
Die Architektur des Hauses gibt es her, dass Gerda zwei sogenannte »U-Boote« in ihrem Haus verstecken kann: Die junge Jüdin Mira Goldberg und den gestandenen Widerstandskämpfer Kurt Bachner. Weite Teile des Romans sind angelegt wie ein Kammerspiel, in dem diese Personen in einer Extremsituation miteinander agieren. Wie man Spannungen aufbaut, wusste Doris Brehm, die auch gelernte Schauspielerin war und etwas von Dramaturgie verstand, und deshalb verbietet es sich, den Weitergang der Geschichte zu verraten. Erzählt wird traditionell, nicht immer ganz frei von Sentimentalität (Kitsch wäre zu viel gesagt) und es gibt ein paar unnötige Wiederholungen hier und da. Aber mich hat das nicht gestört. Das authentische Erzählen und der gelungene Spannungsbogen sind das große Plus dieses Romans. Und so ganz nebenbei lernen wir, was es bedeutet, in diesen Jahren eine Frau zu sein, Stichwort Sexualstrafrechtsreform. Wir lernen aber auch, was Leihbibliotheken waren und welche Funktionen diese hatten, als was für eine Chance zur Selbstermächtigung Bildung erachtet wurde.
Aber warum ist der Roman ›Eine Frau von gestern und morgen‹ (bis jetzt) so unbekannt geblieben? Zum einen, und das erwähnt Bettina Balàka in ihrem Nachwort, war Doris Brehm Kommunistin. Das spiegelt sich in dem Roman nicht wider, es geht um Emanzipation, um menschlichen Anstand in großer Not, um Bildung, um Bücher, nirgends um kommunistische Ideale. Allerdings beworben wurde das Buch seiner Zeit außerhalb dieser Kreise wenig bis gar nicht. Worüber ich nachgedacht habe: Wer in den 1950er strebte denn ein solches Frauenbild an? In der DDR erlebte das Buch ein paar Auflagen aufgrund des kommunistischen Hintergrunds der Autorin, für den Westen kam das Buch mit seinen emanzipatorischen Impulsen zu früh. Wenn ich den Roman heute lese, kommt er mir erstaunlich aktuell vor.
Die Edition des Haymin Verlags beinhaltet den Roman mit 269 Seiten, eine bereits erwähnte und sehr lesenswerte literarische und biographische Einordnung von 27 Seiten, eine Bibliographie zu Doris Brehm, eine Liste mit Sekundärliteratur und Bildnachweisen. Es fehlt nichts. Ich wünsche Bettina Balàka und dem Haymon Verlag viel Glück und eine gute Hand bei der Auswahl der weiteren Romane in dieser neuen Reihe. Bücher wie ›Eine Frau zwischen gestern und morgen‹ von Doris Brehm sollten nicht vergessen bleiben. Sie scheinen nötiger denn je.
Meine Ausgabe: Doris Brehm, Eine Frau zwischen gestern und heute, 312 Seiten, Haymon Verlag, Innsbruck-Wien 2025