
»Der neue Wunnicke ist da«, so hallt es durch Blätter und Webseiten. Kein Feuilleton lässt sich das 2025 im Berenberg Verlag erschienene ›Wachs‹ von Christine Wunnicke entgehen und viele Blogs besprechen zeitnah. Mir wurde die Autorin mit der Verleihung des Wilhelm-Raabes-Literaturpreises 2020 bekannt und ich habe seitdem alle ihre Veröffentlichung gelesen. Nur einige frühere Romane stehen noch in wartender Stellung im Regal. Ich gehöre also zu den geneigten Leserinnen und Leser ihrer Romane und will deshalb an diesem Ort ebenfalls ein paar Anmerkungen zu ihrem neusten Roman loswerden.
Wunnickes schmale Romane, meist knapp unter 200 Seiten, sind für historische Romane geradezu Miniaturen. Die Autorin ist stets auf der Suche nach interessanten historischen Persönlichkeiten und setzt diese in ihren Erzählungen in einen Rahmen, der eine Mischung aus historischen Fakten und Phantasie darstellt. Es geht mal um Wissenschaft, um Okkultismus, mal um Psychatriegeschichte oder Diversität. In ›Wachs‹ begeben wir uns in die Zeit von Louis XV, 18. Jahrhundert also. Die Hauptperson ist Marie Bihéron. Bevor wir richtig zu lesen beginnen, fragen wir doch schnell Wikipedia: Marie Marguerite Bihéron (geboren am 17. November 1719 in Paris, gestorben am 18. Juni 1795 ebenda) war eine französische Künstlerin sowie Zeichnerin und Bildnerin von anatomischen Wachspräparaten. Um genau diese Frau handelt es sich hier. Die andere wichtige Person in diesem Roman ist Madeleine Françoise Basseporte (geboren 28. April 1701 in Paris, gestorben am 6. September 1780 ebenda) und war eine französische Malerin, Schabkünstlerin und Kupferstecherin, deren Schaffensschwerpunkt auf der Darstellung von botanischen Motiven lag. Soweit Wikipedia. Auch dass Marie Bihéron später den Herrn Denis Diderot treffen wird, ist verbürgt und wird in diesem Roman erzählt. Christine Wunnicke folgt also in vielen Details historischen Quellen und erfindet dabei eine Geschichte.
Zwei wichtige Elemente des Romans sind Zeitsprünge und Episoden. Anfangs begleiten wir die junge Apothekentochter Marie, die der beste Anatom von Paris werden will, wie sie den Musketieren einen Besuch abstattet, um an eine Leiche für ihr Studium des menschlichen Körpers zu kommen. Sie ist ein Mädchen, später eine Frau und wird sich deshalb alles selbst beibringen müssen, so wie sie später auch die richtige Art des Wachses für ihre Modelle erst in endlosen Versuchen finden wird. In der zweiten Episode, längst wütet die Revolution in Paris, treffen wir sie als alte, schmutzige und hinfällige Frau an, die immer noch fasziniert der Mechanik ihres eigenen verbrauchten Körpers gewahr ist. Und so geht es weiter, vor und zurück, von Bild zu Bild, Episode zu Episode, in einem überwiegend lakonischen Ton.
Wie immer möchte ich von der Handlung möglichst wenig vorwegnehmen, der Roman will ja gelesen werden. ›Wachs‹ kann als eine Geschichte der Wissenschaft gelesen werden, als eine Episode der Aufklärung und natürlich auch als Beispiel für die Ermächtigung von Frauen. Oder aber als eine kurzweilige Erzählung, die uns eben nicht dümmer macht. Am Ende, und das muss ich jetzt doch vorwegnehmen, kommt ein Affe vor, der lieber Kohle frisst und an Stoffen lutscht statt sich affengemäß zu ernähren. Und da musste ich an den Lar, den ausgestopften Affen aus dem Roman von Wilhelm Raabe, denken. Aber das ist wieder eine andere Geschichte. ›Wachs‹ von Christine Wunnicke empfehle ich ausgesprochen gern.
Erschienen ist der Roman 2025 im Berenberg Verlag und hat 176 Seiten. Ich liebe übrigens die Haptik dieser gebundenen Berenberg Ausgaben.