Ein paar vereinzelte Gedanken zu Mrs. Dalloway von Virginia Woolf und das Lesen im Buchclub

Virginia Woolfs 1925 erschienen Roman ›Mrs. Dalloway‹ war längst einmal an der Reihe, von mir gelesen zu werden. Zu lange schon stand die Neuübersetzung von Melanie Walz aus dem Jahre 2022 ungelesen im Regal. Als nun in Bluesky, einer Social-Media-Plattform, die ich nach dem Abgesang von Twitter neben Mastodon (Fediverse) nutze, ein Buchclub die Lesung von Mrs. Dalloway in 11 Tagen (10 Lesetage, ein Ruhetag) ankündigte, war ich dabei. Ich habe noch nie in einem Lesekreis mitgemacht, ich hatte Mrs. Dalloway noch nicht gelesen, also los.

In ›Mrs. Dalloway‹ probiert Virginia Woolf für ihre Zeit neue Schreibweisen aus. In diesem Fall das, was man unter fortlaufenden Gedankenstrom (Stream of Consciousness) versteht. Die unterschiedlichen Erzählerstimmen wechseln ständig, manchmal muss man regelrecht erkunden, in wessen Kopf man sich grad befinden könnte. Wer Joyce ›Ulysses‹ (1922) kennt, wird von solchen innovativen Schreibweisen nicht überrascht sein. Es gibt für die Geschehnisse allerdings auch einen Rahmen: Ein Tag im Juni 1923 in London Westminster, beste Wohnlage, das Wetter ist gut, wir begleiten die sehr vermögende Mrs. Clarissa Dalloway über 12 Stunden bei der Vorbereitung einer Party (viel muss sie nicht tun, man hat Personal). End- und Höhepunkt des Romans ist die Party selbst. Es treten Jugendlieben (Peter Walsh) auf, frühere Freundinnen (Sally), der Ehemann (Richard), die Tochter Elizabeth, eine unglückliche Miss Kilman, das tragische Paar Septimus und Lukrezia Warren Smith, zwei Ärzte, vor denen man sich fürchten muss, aber auch Passanten, die kurze Auftritte in diesem Roman haben.

Wir erleben diese Menschen also in ihren Köpfen, allerdings nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in den Erinnerungen der jeweiligen Protagonisten. In den besten Phasen der Lektüre gelange ich so zu einer Art rauschhaften Tunnelblick. Doch das Buch erfordert auch unbedingte Konzentration und hat mich in einen gewissen Widerspruch gesetzt: Einerseits war ich fasziniert von dem Flug durch die Gedanken der Romanfiguren, andererseits erfordert das Verständnis des Romans genaues Lesen und ab und an ein Blick in die Anmerkungen. Die Probleme des British Empires sind uns heute nicht unbedingt präsent. Themen wie Feminismus, Kriegstraumata oder unterdrückte Queerness sind allerdings auch ohne Anhang festzumachen. Der kleine Roman (in meiner kleinformatigen Ausgabe hat der Text 345, der »normaler« Ausgaben umfasst 200 bis 250 Seiten) hat einige bemerkenswerte Figuren, allerdings auch streckenweise Gedanken, die zu lesen mich angestrengt haben, weil sie mir doch recht unerheblich erschienen. Dabei mag ich gewiss auch manches übersehen habe. Ich muss gestehen: Es gab Phasen der Lektüre, in denen ich Sehnsucht nach ›Middlemarch‹ oder auf Prousts ›Recherche‹ verspürte.

Mein Fazit: Eine sehr interessante Lektüre, die (eigentlich) wiederholtes Lesen erfordert, die bei mir Vorfreude auf ein baldiges Wiederlesen von ›To the Lighthouse‹ erzeugt, aber ein Lieblingsbuch wird ›Mrs. Dalloway‹ für mich nicht. Dazu hat mich das Buch insgesamt zu kalt gelassen. ›Mrs. Dolloway‹ hat viele Befürworter und enthusiastische Leserinnen und Leser, ich gehöre nur in Teilen zu ihnen.

Nun noch zu der Erfahrung zum Lesen im Buchclub: Diese war durch und durch positiv. Der Gedankenaustausch war sehr inspirierend und hat den Blick auf die Lektüre geweitet. Es gab keine nervende Besserwisserei oder Erklärbären, sondern ein reges Miteinander und die Lesedisziplin hat der Leseplan ebenfalls (auch nach einem langen Arbeitstag) gefordert und gefördert. Sollte sich mal wieder eine solche Gelegenheit bieten und das Buch in mein Konzept passen, so wäre ich vielleicht wieder dabei. Ob man das allerdings über umfangreichere Lektüren durchhalten kann oder will, weiß ich nicht.

Die sehr hilfreiche Webseite TraLaLit empfiehlt die Übersetzungen von Kai Kilian (Anaconda), Hans-Christian Oeser (Reclam) und Melanie Walz (Manesse). Ich war nach ein paar Stolperer zu Beginn mit meiner Manesse-Ausgabe zufrieden. Und es soll ja auch Menschen geben, die so etwas selbstverständlich im Original lesen.

4 Kommentare on "Ein paar vereinzelte Gedanken zu Mrs. Dalloway von Virginia Woolf und das Lesen im Buchclub"


  1. Vielen Dank für die Mitteilung „einiger Gedanken“. Als vor ungefähr vierzig Jahren bei Fischer neue Übersetzungen der Werke von Virginia Woolf erschienen, habe ich einige davon gelesen. Das ist lange her. Umso interessierter habe ich deine Gedanken zu Mrs. Dalloway gelesen.
    Schöne Grüsse, Robert

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    1. Sehr gern. Vielen Dank für Deine freundlichen Worte, Robert. To the Lighthouse werde ich dann auch in der Fischer Ausgabe lesen. Dazwischen mal was Konventionelles. 😉
      Liebe Grüsse!

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  2. Mich hatte das Buch ja seltsam kalt gelassen. Gleichwohl war es natürlich schon auch allein wegen des literaturwissenschaftlichen Hintergrundes interessant zu lesen. – Der Film ist übrigens gar nicht so übel, gönnte ich mir danach, gibt es auf YT (aber nur im Original glaube ich) mit der großen Vanessa, die ich jetzt auch ausschließlich als Mrs. Dalloway vor dem geistigen Auge habe.

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    1. Genau. Sehr interessantes Buch, nichts, was mich an der Lektüre gereut hätte. Es ist ein Meilenstein, das verstehe ich. Und trotzdem, das ist kein Widerspruch, hat es mich nicht mitgenommen.
      Vielen Dank für Deinen Filmtipp!
      Liebe Grüße!

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