Die zwei Wochen, die ich zwischen den Feiertagen freie Lesezeit habe, wollte ich nutzen und diesmal ist es mir zumindest über die Weihnachtstage geglückt. Den Anfang machte eine wunderschöne Ausgabe von ›Der Master von Ballantrae. Eine Wintergeschichte‹ aus dem Mareverlag. Übersetzt wurde dieses Buch aus der Feder von Robert Louis Stevenson von Melanie Walz. Zu lange stand es schon ungelesen in seinem schmucken Schuber in meinem Regal. Der Kaufreiz solcher schönen Ausgaben ist für mich zu groß, dann allerdings die Skepsis, ob ich einen Abenteuerroman überhaupt lesen will. Ich kenne ja ›Der befremdliche Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde‹ und natürlich ›Die Schatzinsel‹, beide in der Übersetzung von Friedhelm Rathjen.
Während ich also noch überlegte, kam etwas dazwischen: In meiner Social Media Blase kamen wir auf das Thema Kindheitserinnerungen, Fernsehserien der 1960er und frühen 70er, ein »Stück wohligen Zauber«, den man sich zur Weihnachtszeit gern in die Gefühlsabteilung des Gedächtnisses rufen mag, und schließlich kamen wir auf die legendäre vierteilige Fernsehserie ›Die Schatzinsel‹ von 1966: Silver, Hawkins und die Stimme von Hellmut Lange als Erzähler. Nun, ein visueller Madeleine-Effekt stellte sich bei mir nicht ein, aber die naive, für heutige Verhältnisse dilettantisch anmutende Inszenierung erinnerte mich sehr an die Art, wie wir unsere Abenteuer erfassten und nachspielten. So waren die sechs Stunden keine vertane Zeit.
Dann die Lektüre: Robert Louis Stevenson schrieb diesen Roman fern der schottischen Heimat 1888 bis 1889. Die Handlung spielt Mitte des 18. Jahrhunderts in unruhigen Zeiten für Schottland und die Insel: Charles Edward Stuart versucht, sich die englische Krone unter den Nagel zu reißen, und so bleibt der Familie des Lords von Durrisdeer und Ballantrae offenbar nichts anderes übrig, als eine verwegene Taktik zu wählen: Ein Sohn, James, der ältere und damit der Erbfolger bleibt zu Hause und dem König treu, der andere, Henry, geht und schließt sich den Jakobiten an. Doch James, der gutaussehende Draufgänger widersetzt sich dem väterlichen Plan und wird nach Münzwurf selbst das Haus verlassenen, um sich den Aufständischen anzuschließen. Der ruhige, besonnene Henry bleibt zu Hause. Nach einiger Zeit wird James für tot erklärt, Henry wird zum Erbfolger erklärt und heiratet Miss Alison Graeme, die Gefühle eigentlich nur für James hegt. James aber ist nicht tot und wir werden im Roman noch mehrmals erleben, wie schwer er tatsächlich totzukriegen ist. James stellt Geldforderungen, lügt und betrügt mit allem Geschick. Henry bleibt nicht anderes über, als das alles zu erdulden, und verliert mehr und mehr seine Contenance. Doch jetzt geht es erst richtig los, noch zig Verwicklungen warten auf uns, der Bruderzwist wird ärger und ärger bis es im fernen Amerika zu einem Showdown kommt, der sich gewaschen hat.
Der Roman nimmt 280 Seiten ein, dazu kommen rund 70 Seiten Anhang mit Kommentar und ein Nachwort der Übersetzerin. Wenn ich das Buch, von dem es inzwischen auch eine Taschenbuchausgabe (dtv) gibt, empfehle, so hat das zwei Gründe: Zum einen die Psychologie der beiden Hauptdarsteller: James, der wie Silver aus der Schatzinsel agiert, dabei aber noch viel gerissener als dieser ist. Henry, der Verantwortungsvolle, der Stück für Stück in den Wahnsinn getrieben wird und am Ende längst nicht mehr unbestritten der Gute ist. Das hat etwas, auch wenn es nach meinem Geschmack hier und da eine Wendung weniger getan hätte. Und dann wäre da noch die Konstruktion des Romans. Stevenson hat drei Erzähler montiert: Mackellar, der Verwalter der Durrisdeer, eindeutig auf der Seite von Henry, dann den eitlen irischen Offizier James Burke, der James auf dessen Abenteuer begleitet, und schließlich James selbst. Parteiisch und insofern unzuverlässig sind sie alle drei. Doch genau das ist es, was diesen Roman weit über eine gewöhnlichen Abenteuergeschichte hinaushebt und noch heute lesenswert macht.
Ein gutes neues Jahr allen Leserinnen und Lesern, Gesundheit und viel Lesezeit!
Ein ganz grosser Roman. Hier steht noch die alte zwölfbändige Diogenes Ausgabe. Übersetzt von C. und M. Thesing, Grafik von T. Ungerer.
Über die „vielen Wendungen“ bin ich vor über vierzig Jahren ebenfalls gestolpert. Heute denke ich mir, dass man damals mehr Zeit zum lesen hatte. Darauf könnte auch der Untertitel „Eine Wintergeschichte“ verweisen.
Ob es einen Beitrag zum „Abend mit Goldrand“ geben wird?
Ich wünsche Ihnen ein gutes neues Jahr bei guter Gesundheit und beeindruckenden Lektüren.
Robert
Lieber Robert,
vielen Dank für Deine guten Wünsche. Natürlich wünsche ich das alles herzlich zurück!
Zu Abend mit Goldrand? Warum kein Beitrag zu AmG? Durch mein neues Konzept bin ich ja in der Lage, meine Leseerfahrung mitzuteilen und muß das Riesending nicht durcharbeiten (wozu ich btw zeitlich und intellektuell garnicht in der Lage wäre). Ich habe einfach Lust drauf, vorher noch etwas Kleines, aber dann … mal sehen, ob ich durchhalte.
Eine gute Zeit,
Lena
AmG ist ein Altmännerbuch – – Arno dreimal aufgespalten. Naja. Aber die Masks, z.B. das Wandern im Garten der Lüste von Hieronymus Bosch ist ziemlich spassig. Wenn man es als alternder Mensch liest, kann man sein Vergnügen haben.
Die vielen Schmidt´schen Anspielungen und Zitate wird man als durchschnittlicher Leser ohnehin nicht nicht alle entziffern können. Es hat ja in den 80er Jahren ein Literaturwissenschaftler (Germanist?) ein kommentierendes Handbuch versucht mit dem projektierten Titel „Abend mit Goldrand – Ein Handbuch für Kärrner“. Dieses Buch ist bis heute nicht erschienen.
Also einfach lesen und sich über die Schrullen alter Männer und Frauen erfreuen. Und was die jungen Leute im Roman betrifft, herzlich lachen und sich erinnern an die eigenen jugendlichen Jahre.
Vielen Dank für den guten Wunsch,
Robert
Nun, ich würde jetzt nicht sagen, dass ich bis vor ZT das Schmidtsche Werk kenne, aber ich habe was das erzählerische Werk bis dahin betrifft fast alles irgendwann mal gelesen. AmG ist jetzt einfach mal an der Reihe. Altmännerbuch ist gewiß eine berechtigte Lesart, aber ich habe AS immer schon für seine Bilder und den Humor geliebt, weniger für Besserwisserei und Zotenreissen. Ich habe von Herrn Jürgensmeier das 720-seitige PDF mit den Nachweisen und Erklärungen der Zitate. Das Buch ist ja zu mehr als einem Drittel Zitat, wie Du schon erwähntest. Nutzen möchte ich es ausdrücklich nicht, sondern einfach draufloslesen. So soll es sein.
Als Schmidt das Buch schrieb war er noch ein paar Jahre jünger als ich heute, Martina im Roman ist in etwa in meinem Alter und ja: Für mich ist Schmidts Werk auch immer ein Erinnern. Das Personal kenne ich.
Nochmals viele Grüße,
Lena