Elena Ferrante: Die Geschichte eines neuen Namens – Band 2 der Neapolitanischen Saga (Jugendzeit)

Suhrkamp 2017, 624 Seiten, aus dem Italienischen von Karin Krieger, ISBN 978-3-518-42574-9, auch als eBook erhältlich.

Im zweiten Anlauf dann doch den ersten und im Anschluss auch den zweiten Band von Elena Ferrantes neapolitanischen Saga gelesen: mehr als 1000 Seiten dieses vielbesprochenen Bestsellers. Ich bin bei Halbzeit dieser Tetralogie einigermaßen geschafft und unschlüssig wie selten, was ich von diesem Romanprojekt halten soll. Ich habe mich meist sehr gut unterhalten gefühlt, war aber auch hin und wieder ein wenig genervt. Grund genug, um mich kurz über diese beiden Bücher zu äußern. 

Auch wenn es bereits gefühlte tausend Rezensionen gibt, hier noch einmal kurz, um was es eigentlich geht: Erzählt wird die Lebensgeschichte zweier Freundinnen, Elena (Lenuccia, Lenú) Greco und Raffaella (Lila, Lina) Cerullo, aus der Perspektive von Elena, die auch als Erzählerin auftritt. Geboren sind beide Hauptfiguren in einem armen Viertel von Neapel Mitte der 1940er Jahren. Der erste Band endet 1960, als beide Gefährtinnen 16 Jahre alt sind, am Ende des zweiten Bandes sind sie grad noch 22. Es wird von den Menschen in diesem Rione und ihren Lebensumständen, von heißblütigen Temperamentsausbrüchen, von Gewalt, unter der wie selbstverständlich hauptsächlich die Frauen zu leiden haben, von Armut und der Camorra, die trügerisch einen Ausweg aus dem Elend verspricht, berichtet. Folklore ist das alles in keiner einzigen Zeile, sondern meist kompromissloser Realismus. Die beiden Mädchen versuchen anfangs, mit Hilfe von Bildung diesem Elend zu entfliehen. Beide sind wissbegierig und insbesondere an Literatur und dem Schreiben interessiert. Doch während es die Erzählerin bis zum Ende des zweiten Bandes schaffen wird, sich von dem verhassten Milieu zu distanzieren, stehen für Lila, die eigentlich talentiertere von beiden, die Sterne ungünstiger: Die Verhältnisse halten sie umklammert und mitunter steht sie sich auch selbst im Weg. Doch so einfach ist die Sache nicht erzählt: Beider Freundinnen Schicksale spiegeln sich ineinander, die Freundinnen ergänzen und bekriegen sich gleichzeitig, es ist viel fein beobachtete Psychologie im Spiel:

»Und ihr Leben taucht beständig in meinem auf, in den Worten, die ich gesagt habe und in denen häufig ihre Worte widerklingen; in jener entschlossenen Geste, die eine Nachahmung einer ihrer Gesten ist; in meinem Weniger, das als solches wegen ihres Mehr da ist; in meinem Mehr, das die Umkehrung ihres Weniger ist. Ganz zu schweigen von dem, was sie nie gesagt hat, mir aber zu verstehen gegeben hat, dem, was ich nicht wusste, aber später in ihren Schreibheften las.« (aus: Elena Ferrante „Die Geschichte eines neuen Namens”)

Es ist ein seltsames Band, das beide Protagonistinnen miteinander verbindet und diese Verbindung ist es, die neben der rückhaltlosen Beschreibung der Lebensumstände das Faszinosum dieser Bücher ausmacht. Sie sind auf der einen Seite Pagetuner, andererseits muss man auf der Hut sein, dass man die seelische Durchdringung der Beziehung beider Protagonistinnen nicht überliest. Ohne Zweifel, die beiden Romane sind ein starkes Stück Literatur.

Wie oben erwähnt, habe ich beim ersten Band einen zweiten Anlauf gebraucht, um in den Roman hineinzukommen. Ich habe lange überlegt, woran das gelegen haben mag und warum ich auch später in der Lektüre immer wieder ungeduldig wurde. Hier mein Erklärungsversuch: Die beiden ersten Bände sind Teile eines Lebensromans und ein Leben besteht bekanntlich nicht immer nur aus dramatischen Wendungen. Mit anderen Worten, das Buch hat Längen und Wiederholungen und mitunter gerät die Psychologie zum Geraune. Das Buch verlangt vom Leser, von der Leserin vorweg ein Einverständnis, diesen Lebensgeschichten rückhaltlos zu folgen. Die Erzählung wirkt also seitenweise durchaus ein wenig aufgebläht, aber nur um im nächsten Moment wieder große Spannung zu erzeugen. Und so war ich hin- und hergerissen, mal ein wenig ärgerlich und dann wieder fasziniert, über diese beiden außergewöhnlichen Frauenfiguren, die mir einiges zu sagen haben, erfahren zu dürfen.

Am Schluß möchte ich noch von einer ganz besonderen Erfahrung während der Lektüre von Elena Ferrantes „Die Geschichte eines neuen Namens” berichten: Ich fühlte mich während der Lektüre immer wieder an Safeta Obhodjas „Die Bauchtänzerin”, ein Roman, der von der Zeit unmittelbar vor der Balkankatastrophe erzählt, erinnert. Auch hier geht es um zwei Freundinnen, die Konstellationen zwischen beiden Hauptfiguren sind derer von Lenús und Lilas nicht unähnlich und die künstlerische Umsetzung des Erzählten muss sich nicht vor der Kunst Ferrantes verstecken. Es wäre diesem Roman ein Bruchteil des Hypes, den die Bücher dieser „Saga” erfahren, zu wünschen.

2 Kommentare on "Elena Ferrante: Die Geschichte eines neuen Namens – Band 2 der Neapolitanischen Saga (Jugendzeit)"


  1. dann ist deine besprechung ja die 1001. und meine, die am sonntag erscheint, möglicherweise die 1002….. 😉
    die längen habe ich übrigens auch bemerkt, das buch wäre gestrafft sicher noch besser….
    lg

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