Manesse 2014, 665 S., ISBN: 978-3-7175-2218-8, mit einem Nachwort von Eva Demski. Es gibt auch viele andere, preisgünstigere Ausgaben.
›Radetzkymarsch‹, der große Roman über den schleichenden Untergang der Habsburger Monarchie, den Zerfall von k. u. k. Österreich-Ungarn. In Kaffees und Hotelzimmern hat sich Joseph Roth dieses Werk abgerungen, das erst in der Frankfurter Zeitung als Fortsetzungsroman und 1932 als Buch erschien. Österreich, Galizien, Exil, Judentum, Alkohol, Sehnsucht, Traurigkeit: Das sind ein paar Schlagworte, die einem im Zusammenhang mit Joseph Roth einfallen (wenn denn heutigen Lesern zum Namen etwas einfällt). Der zuletzt schwer alkoholkranke Autor verstarb 1939 im Exil in Paris und wurde nicht einmal 44 Jahre alt. Er hinterließ uns bemerkenswerte Romane und Erzählungen und war zeitlebens auch journalistisch tätig. ›Radetzkymarsch‹ gehört gewiss zu seinen besten Werken.
In der Schlacht von Solferino 1858 rettet Leutnant Trotta dem noch jungen Kaiser Franz-Joseph das Leben, indem er diesen zu Boden wirft. Er selbst fängt sich die Kugel, die für den Kaiser bestimmt war. Es folgen eine Beförderung zum Hauptmann, der Maria-Theresien-Orden und die Erhebung zum Adel. Nicht so schlecht für eine Familie, die einem bäuerlichen Geschlecht aus Slowenien abstammt, möchte man meinen. Doch der ›Held von Solferino‹ wird nicht glücklich damit, im Gegenteil: Als er im Schulbuch seines Buben seine eigene Geschichte als vaterländische Heldentat stilisiert wiederfindet, ist er zutiefst empört. Er quittiert den Armeedienst und kehrt zurück zum bäuerlichen Leben. Seinem Sohn wird die militärische Laufbahn verboten und so wird dieser später Bezirkshauptmann in der Provinzstadt W.: Franz Freiherr von Trotta und Sipolje, eine der Hauptfiguren im Roman. Der Hauptmann ist ein überzeugter und pflichtbewusster Monarchist, Sozialdemokraten sind ihm ein Gräuel, doch selbst er fühlt im Laufe der Handlung immer deutlicher, dass hier eine Epoche untergeht. Sein Sohn Carl Joseph, Enkel des ›Helden von Solferino‹ und wie dieser beim Militär, spürt den Untergang des Reiches und seinen eigenen jeden Tag. Die Geschichte seines Großvaters belastet Carl Joseph, er fühlt sich minderwertig, schwach und steckt voller Schuldgefühle. Wir begleiten ihn durch seine Karriere beim Militär und am Ende sind immense Spielschulden und Alkoholismus das Resultat. Der junge Trotta wird aus dieser Situation von seinem Vater (unter mithilfe des Kaisers) gerettet und quittiert den Dienst. Allerdings beginnt nun der große Krieg, der I. Weltkrieg und Trotta meint, wieder in die Armee eintreten zu müssen, und wird nach wenigen Tagen beim Wasserholen erschossen. Dem abschließenden dritten Teil des Buches folgt ein kurzer Epilog: 1916 stirbt der Kaiser, wenige Tage später auch der Bezirkshauptmann Franz von Trotta.
Man merkt an dieser sehr kurzen Zusammenfassung, dass Frauen in der Romanhandlung keine tragenden Rollen spielen. Eher treten sie in Nebenrollen auf, wenn auch zum Teil in tragischen wie Frau Salma, die den jungen Kadetten Carl Joseph verführt und das mit dem Leben bezahlt. Auch wäre die spätere Geliebte Frau von Taußig zu nennen. Eine Person darf hier aber auf keinen Fall unterschlagen werden: Jaques, der Diener der Trottas über Generation und Inbegriff von Lebenswelt in der Habsburger Monarchie.
Die Sprache Joseph Roths hat eine gewisse Leichtigkeit, Unaufgeregtheit und trotzdem können wir den melancholischen Grundton herauslesen. Leser erfahren en passant so manches über die Verhältnisse in diesem Völkergebilde. Und die Assoziationen, was Epochenwende, Verhältnisse der Generation zueinander, psychologische Dispositionen betreffen, sind vielfältig. Auf Manierismen verzichtet Roth auf wohltuende Art gänzlich, er will erzählen von dieser verlorenen Zeit, die sich vielleicht ja nur irgendwie verschoben hat, und ihren Menschen. Auf mich wirkt dieser vor 90 Jahren veröffentlichte ›Radetzkymarsch‹ auf eine Art frisch.
Muss man den ›Radetzkymarsch‹ gelesen haben, auch wenn einem die Habsburger Monarchie mit ihren Menschen und Märschen piepegal sind? Man muss gar nichts, aber man sollte, wäre meine Antwort. ›Radetzkymarsch‹ ist ein großartiges, ein zeitloses Buch. Dieser Roman erlaubt seinen Protagonisten schwach zu sein, er achtet sie ohne Ausnahme. ›Radetzkymarsch‹ ist ein wunderbares Buch, das mir, ich gebe es gern zu, grad richtig guttat.