Kurzer Bericht über meine Lektüre von ›Zwei Fremde im Zug‹ von Patricia Highsmith

Ich hatte stets einen Bogen um ihre Bücher gemacht, doch nun war aus einer Laune heraus der mir selbst erteilte Auftrag, ein Buch von Patricia Highsmith zu lesen und mich notfalls auch durchzubeißen. Meine Wahl fiel auf ›Zwei Fremde im Zug‹ (›Strangers on a Train‹). Der Roman wurde 1950 veröffentlicht und war Highsmiths Erstling. Im Gegensatz zu manch anderen Kollegen und Kolleginnen hatte die Autorin Stil und Thema ihres Schreibens bei ihrem Debüt schon beieinander. Highsmith war 29, hatte das Buch schwierigen persönlichen Lebensumständen abgerungen und wurde nach der Veröffentlichung sogleich berühmt. Eine bald folgende Verfilmung des Romans durch Alfred Hitchcock tat ihr Übriges.

Um was geht es in ›Zwei Fremde im Zug‹? Guy Haines und Charles Bruno treffen sich im Zug. Der eine liest Platon, hat Beziehungsprobleme und möchte ein berühmter Architekt werden, der andere ist ein verwöhnter junger Mann aus reichem Elternhaus mit einem Alkoholproblem. Der eine lebt in Scheidung und leidet darunter, dass ihm seine Noch-Ehefrau Schwierigkeiten macht, der andere will seinen verhassten Vater loswerden. Schon auf den ersten Seiten treffen wir auf typische Merkmale der Romane von Patricia Highsmith: Die ganze Situation wirkt künstlich, seltsam unrealistisch, skurril und fiebrig, doch irgendwie stört das nicht, sondern generiert einen Sog. Bruno schlägt also Haines vor, über Kreuz die lästige Ehefrau und den fiesen Vater zu ermorden, Win-Win sozusagen und zusätzlich ein perfektes Alibi. Natürlich lehnt Haines diese mörderische Schnapsidee empört ab. Überhaupt wird ihm dieser Bruno schon bald sehr lästig. Aber so ganz lassen kann er von ihm nicht. Soweit die Ausgangssituation, weiter wird nichts verraten.

So gesehen handelt der Roman um menschliche Abgründe hinter einer gutbürgerlichen Fassade. Es herrscht weißgott kein Mangel an Geldmittel bei den Protagonisten (Highsmith war übrigens bitterarm, als sie ihren Erstling schrieb), aber das trägt zu ihrem Glück wenig bei. Die Atmosphäre ist in weiten Teilen des Buches beklemmend, alles läuft scheinbar auf eine Katastrophe hin. Es geht um Schuld (Dostojevski grüßt), um Alkohol (es wird unglaublich viel getrunken: Gegen Ende wird ein alkoholbedingter Zusammenbruch Brunos geschildert, den ich so noch nie gelesen habe) und auch um Homosexualität. Bei der Lektüre des Buches frage ich mich, wie dieses unmißverständlich angesprochene Thema zu Beginn der 1950er so durchgehen konnte? ›Zwei Fremde im Zug‹ geht weit über einen durchschnittlichen Kriminalroman hinaus. Der Roman hat viele Facetten und literarische Qualität. Anders gesagt: Patricia Highsmith Erstling hat mich überrascht und Eindruck hinterlassen. Ich empfehle denen, die es noch nicht getan haben, es mal mit Patricia Highsmith zu versuchen.

Ich habe die Ausgabe von 2002 aus dem Diogenes Verlag gelesen. Sie gibt es als gebundene Ausgabe, Taschenbuch oder E-Book zu kaufen. Übersetzt wurde das Buch von Melanie Walz. Die gebundene Ausgabe hat 448 Seite, davon 20 für das lesenswerte Nachwort von Paul Ingendaay. Letzterer ist zusammen mit Anna von Planta Herausgeber der Werke von Patricia Highsmith.

4 Kommentare on "Kurzer Bericht über meine Lektüre von ›Zwei Fremde im Zug‹ von Patricia Highsmith"


  1. „Die ganze Situation wirkt künstlich, seltsam unrealistisch, skurril und fiebrig, doch irgendwie stört das nicht, sondern generiert einen Sog…“
    Ich habe einige Romane von Patricia Highsmith gelesen. Die seltsam unrealistische Atmosphäre hat mich von weiteren Romanen abgehalten, aber der Sog…
    Ich kenne die Biografie von P.H. nicht gut, weiss aber von früher her, dass viel Autobiografisches in ihre Romane eingeflossen ist, manchmal die Gegenteile. Du hast ein Beispiel gezeigt: sie war bettelarm aber die Protagonisten haben Geld im Überfluss…

    Vielen Dank für die Beschreibung und schöne Grüsse,
    Robert

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    1. Ich danke Dir sehr für Deinen Kommentar, Robert. Du hast natürlich recht, da ist viel Autobiographisches in ihrem Roman geflossen. Allein der Alkoholismus oder die Homosexualität. Ich fand die Lektüre tatsächlich sehr interessant, ohne dass ich sofort den nächsten PH lesen müsste. Aber ein Ripley liegt noch da … für später mal.
      Liebe Grüsse,
      Lena

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  2. Liebe Lena,
    das ist eine interessante Empfehlung! Deine Beschreibung von „Zwei Fremde im Zug“ hat mich daran erinnert, dass ich den Film vor vielen Jahren einmal gesehen habe, er aber irgendwo in den hintersten Ecken meines Gedächtnisses entschwunden war.
    Ja, du hast recht, es ist in der Tat beeindruckend, dass Patricia Highsmith bereits mit 29 Jahren so viel Stil und Gespür für das Schreiben hatte – das spricht für ihr außergewöhnliches Talent! Nicht umsonst hat sie ja bekannterweise einen Ehrenplatz unter den Thriller-Autoren! Ich denke, dass insbesondere die Dynamik, die hier in „Zwei Fremde im Zug“ zwischen Guy und Charles entsteht, die ja völlig gegensätzlicher Charaktere sind, den Leser unausweichlich in den Bann zieht.

    Liebe Lena, es inspiriert mich, dass du dich trotz deiner anfänglichen Vorbehalte an das Buch gewagt hast. Ja, manchmal sind es gerade die unerwarteten Entscheidungen, die uns die größten literarischen Entdeckungen bescheren! Danke für diese Empfehlung – ich werde definitiv das Buch auf mine Wunschliste setzen!
    Liebe Grüße für dich……von Rosie

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