Berlin

Aufbau Verlag 1998 (2. Aufl. 2018), Große Brandenburger Ausgabe, Das erzählerischer Werk, Band 15, 536 S., ISBN: 978-3-351-03127-5 

›Effi Briest‹ von Fontane also: Wir hätten da eine arrangierte Ehe Ende des 19. Jahrhunderts zwischen der 17-jährigen Tochter des Ritterschaftsrats von Briest und seiner Frau Luise aus Hohen-Cremmen im Havelland mit dem 20 Jahren älteren Landrat Innstetten aus Kessin in Hinterpommern. »Ich merke das auch; sie sind hier so streng und selbstgerecht. Ich glaube, das ist pommersch.« bemerkt Effi später. Wenige Jahre danach, inzwischen hat der berufliche Aufstieg Innstettens bei Bismarck das Paar mit Kind und Personal nach Berlin ziehen lassen, hat Effi endlich begonnen, sich in ihr Leben einzufinden. Da wird ihr eine läppische Affäre zum Verhängnis. Und nicht nur ihr: Ehrenkodex und gesellschaftliche Konvention zerstören, was langsam zu wachsen schien. Ich habe mich gefragt, was Fontanes berühmtester Roman mir heute sagen kann, und habe das Buch in der ›Grossen Brandenburger Ausgabe‹ im Aufbau-Verlag gelesen.

Schöffling und Co. Verlag, Frankfurt am Main 2019, 900 Seiten, ISBN 9783895614934

Wer sich für Literatur interessiert und die einschlägigen Sendungen und Feuilletons zum Thema verfolgt, dem wird nicht entgangen sein, dass es in diesem Jahr eine bemerkenswerte Wiederentdeckung zu bejubeln gab. Dem jüdischen Leben in Berlin, das die Nazis ausgelöscht haben, würde ein Denkmal gesetzt werden, wir hätten hier die jüdische Buddenbrooks zu feiern, usw., usw. Der 1951 erschiene Riesenroman der 1894 in Berlin geborenen und 1982 in London gestorbenen Schriftstellerin und Journalistin Gabriele Tergit, die für ihre Gerichtsreportagen bekannt war, wurde dieses Jahr regelrecht abgefeiert. »Effingers« ist ein Panorama der besseren Gesellschaft in Berlin über 4 Generation, von 1878 bis zum Holocaust, in 151 Szenen. Gabriele Tergit schrieb an diesem Werk und zum Teil unter großen Schwierigkeiten von 1933 bis 1950. Zeit ihres Lebens blieb der Erfolg aus, jetzt scheint er da zu sein. Auch ich habe die 900 Seiten gelesen und bin beeindruckt.

Matthes & Seitz, Berlin 2019, 90 Seiten, ISBN: 978-3-95757-716-0, auch als E-Book erhältlich.

LeserInnen meines Blogs wissen: Ich höre Podcasts, vor allem solche, die über Literatur sprechen. Oder aber welche, die außergewöhnliche, interessante Interviews zu Gehör bringen. »Durch die Gegend« mit Host Christian Möller habe ich vor nicht allzu langer Zeit hier vorgestellt. Herr Möller macht aber auch noch andere Sachen. Zum Beispiel stellt er als einer von mehreren ModeratorInnen Bücher zu bestimmten Themen in der WDR3 Sendung »Gutenbergs Welt« vor. Mitte April hieß das Thema »Im Tierreich« und eines der besprochenen Bücher hieß »Löwenbaby« von Christina Wessely. Ein schmales Bändchen, das eine Art kleine Kulturgeschichte der Menschen-mit-Löwenbabys Fotografie darstellt. »Wer schreibt denn über so etwas? Braucht es das auch noch?«, möchte man da ausrufen. Nun, die in Wien geborene Historikerin und Kulturwissenschaftlerin Christina Wessely hatte mein Interesse mit diesem Buch sofort geweckt. Und das hat einen Grund.

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008, ISBN: 978-3-10-015557-3, 784 Seiten, als Taschenbuch und E-Book erhältlich

Also noch einmal 775 Seiten gelesen und den Lesemarathon der vier Bände des Erzählwerks »November 1918. Eine deutsche Revolution« von Alfred Döblin über die Ziellinie gebracht. 1943 hatte Döblin es endlich geschafft und den Riesenroman mit diesem vierten Teil unter schwierigen Umständen (quälende Sorge um die Söhne, stark eingeschränkter Quellenzugang, finanzielle Situation) im Exil in Los Angeles abgeschlossen. Es sollte für den Autor im weiteren Verlauf der Jahre allerdings schwierig werden, Verleger und Publikum zu finden. Die Beachtung eines Thomas Manns blieb Alfred Döblin trotz immensen Arbeitspensums ein Leben lang verwehrt. Dieser letzte Band erzählt beginnend mit der Haft Rosa Luxemburgs von Mitte Dezember 1918 bis zum Tod von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg am 15. Januar 1919. Neben der großen Revolutionärin als historische Person ist der fiktive ehemalige Lehrer Friedrich Becker eine Hauptperson dieses Buches. Aber auch das Leben des einst berühmten Dramatikers Erwin Stauffers wird weiter erzählt. 

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008, ISBN: 978-3-10-015556-6, 576 Seiten, als Taschenbuch und E-Book erhältlich.

Ich habe also auch den zweiten Band des zweiten Teils, oder wenn man die einzelnen Bände als Maß nimmt, den dritten von vier Teilen von Alfred Döblins »November 1918 – Eine deutsche Revolution« gelesen. Als ich »Heimkehr der Fronttruppen« begann, hatte ich bereits 950 Seiten über die deutsche Revolution gelesen, und ich gebe zu, dass ich gewisse Bedenken hatte, ob nicht mein Interesse am Thema nachlassen könne, zumal die vier Bände von Buch zu Buch immer umfangreicher werden. Es traf sich gut, dass dieser dritte Band mir bisher am besten gefallen hat. Die Handlungen verdichten sich und die Konzentration auf wenige Personen fördern die Leselust. Wir starten am 8. Dezember 1918, Woodrow Wilson, der amerikanische Präsident betritt die europäische Bühne mit dem Plan, einen Völkerbund zu gründen. Der große Vernünftige hat keine Chancen gegen die europäischen Alphatiere, die sich an Deutschland für vergangene Untaten rächen wollen. Im letzten Kapitel des Buches, eine Art Ausblick, wird eindrucksvoll erzählt, wie dieses Scheitern bereits die Saat für weit Schlimmeres streut. Die eigentliche Handlung dieses Teils endet am 14. Dezember. Es wird Zeit, die wichtigsten Personen zu erwähnen.

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008, ISBN: 978-3-10-015555-9, 492 Seiten, auch als Taschenbuch und E-Book erhältlich

Der zweite Band von »November 1918. Eine deutsche Revolution« »Verratenes Volk« erschien nach langer und komplizierter Entstehungsgeschichte 1948. Alfred Döblin war seit 1933 mit seiner Familie auf der Flucht, 1939 schließlich aus Frankreich in die USA. In Kalifornien, unter äußerst schwierigen Lebensumständen, war 1941 die Abschrift des zweiten Teils der Trilogie fertig geworden, ein Verleger konnte aber nicht gefunden werden. 1942 schließlich die Entscheidung, das zweite Buch in zwei Teile herauszugeben: »Verratenes Volk« und »Heimkehr der Fronttruppen«. So wurde aus der Trilogie eine Tetralogie. Der Zeitraum der Handlung dieses Bandes erstreckt sich von 22. November bis zum 7. Dezember 1918, vom Sturm auf das Berliner Polizeiministerium bis zum Schießen auf demonstrierende Spartakisten, befohlen vom SPD Stadtkommandanten Otto Wels. Döblin teilt diesen ersten Band des zweiten Teils der Trilogie (ich bleibe jetzt bei dieser Benennung) in fünf Abschnitte (Bücher genannt). Die einzelnen Kapitel der Bücher werden mit Überschriften versehen, manche werden um vorangestellte kurze, oft ironische Zusammenfassungen erweitert (man kennt das vielleicht aus »Berlin Alexanderplatz«). In der Hauptsache ist jetzt Berlin Handlungsort und die im ersten Teil vorgestellten Person werden weiter entwickelt. Eine andere Person, die später von großer Wichtigkeit sein wird, hat ihren ersten zaghaften Auftritt: Rosa Luxemburg.

Ende Januar 2016, vor gut 3 Jahren also, wurde unter dem Label von Viertausendhertz die erste Folge von »Durch die Gegend« vom Band in die diversen Podcastcatcher entlassen: eine Minute vierzig mit Judith Holofernes. 36 Folgen später die aktuelle Sendung mit Katja Berlin. Apropos Berlin: Die Folgen finden u. a. in Flensburg, Hamburg, Köln oder Bamberg statt, Berlin ist allerdings mit Abstand beliebtester Aufnahmeort. Spätestens jetzt wäre es Zeit, die Idee hinter »Durch die Gegend« zu erläutern. Ich lasse die Macher selbst sprechen: »Interviews mit MusikerInnen, SchriftstellerInnen, KünstlerInnen und PhilosophInnen finden viel zu oft in Hotellobbys oder Büros statt. Man sitzt sich den Hintern platt und knabbert trockene Kekse. Also: Rausgehen! Rumlaufen! Reden! An Orten, die mit den InterviewpartnerInnen zu tun haben: Wohnviertel, Geburtsstadt, Lieblingsplatz. Denn die guten Gedanken kommen im Gehen.« Hört sich doch interessant an, oder nicht? Als passionierte Podcasthörerin habe ich noch nie eine Folge verpasst und der Grund dafür ist, dass »Durch die Gegend« mein Lieblingspodcast ist. Und weil das so ist, ist eine Lobhudelei fällig.

S. Fischer Verlag, 2008, 2013, ISBN 9783100155542, 416 Seiten, als Taschenbuch und E-Book erhältlich

1939 erscheint der erste Druck von »November 1918. Eine deutsche Revolution. Erzählwerk in drei Teilen. Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918«. Das Erzählwerk wird am Schluss vier Bücher umfassen, da der zweite Teil in zwei Teilbänden aufgeteilt ist. Deshalb werde ich hier trotz des Titels von einer Tetralogie sprechen. Seinen Abschluß wird »November 1918« mit »Karl und Rosa« 1943 finden. Auf den Erstdruck in deutscher Sprache wird dieser letzte Teil bis 1950 warten müssen. 1939 befindet sich Alfred Döblin, der 1878 als Sohn assimilierte Juden in Stettin geboren wurde, mit seiner Familie im Exil in Paris, ein Jahr später wird er nach den USA auswandern müssen, da der Einmarsch der deutschen Truppen in Frankreich bevorsteht. Döblin ist Sozialist (oder liberaler Linker, aber eigentlich lässt er sich kaum verorten, sitzt immer zwischen den Stühlen) und jüdischer Abstammung. In Deutschland werden seine Bücher verbrannt. Er hat neben zahlreichen anderen Werken bereits »Die drei Sprünge des Wang-Lun«, »Wallenstein«, »Berlin Alexanderplatz«, die Amazonas-Trilogie oder »Pardon wird nicht gegeben« veröffentlicht. Weltberühmt wird er mit »Berlin Alexanderplatz«. Seine Tetralogie über die Ereignisse der Novemberrevolution von 1918, an der er im Exil sechs Jahre von 1937 bis 1943 schrieb und die am Schluss fast zweitausend Buchseiten füllen wird, wurde lange Zeit vernachlässigt. Vollkommen zu Unrecht.

Schöffling & Co 2015, 760 Seiten, ISBN: 978-3-89561-483-5, auch als eBook erhältlich.

Heute eine relativ kurze Notiz über ein Buch, dass die Presse bei Erscheinen 2015 fast einhellig gelobt und als eine großartige Wiederentdeckung gefeiert hat. Der Autor heißt Heinz Rein (1906-1991) und arbeitete u. a. als Bankangestellter und Sportjournalist. Politisch stand er links und fand sich zeitweise in Gestapohaft wieder. Sein Buch „Finale Berlin” wurde 1947 veröffentlicht und war ein Erfolg. Für lange Zeit in Vergessenheit geraten, wurde der Roman vor wenigen Jahren neu aufgelegt. Die Handlung spielt in den letzten beiden Aprilwochen 1945 in Berlin, also unmittelbar vor dem Kriegsende, und beschreibt den Sturm auf Berlin aus der Sicht einer kleinen Widerstandsgruppe, die alles in ihrer Macht stehende versucht, um unnötiges Blutvergießen zu verhindern. Doch nicht nur die verzweifelt-wildgewordene SS ist ihnen auf der Spur. Nahezu jeder Volksgenosse könnte ein Verräter sein. Und über allen das Inferno des Sturms auf die Hauptstadt. Die größte Stärke bezieht der Roman aus seiner zeitlichen Nähe zu den tatsächlichen Ereignissen und der Fähigkeit des Autors, diese Hölle eindrücklich zu schildern. Ich ging nicht zuletzt wegen des Themas und den vielen Feuilleton-Hymnen auf das Buch (nicht zuletzt lobt auch Fritz J. Raddatz den Text im Nachwort ausdrücklich) mit großen Erwartungen an die Lektüre.

Diogenes 2013, 128 S., ISBN: 978-3-257-06846-7, auch als eBook erhältlich

Ich habe kein gutes Gedächtnis. Und so stand ich lange ratlos vor meinem überbordenden Bücherregal: Wie hieß der Autor noch, der mit dieser knappen, klaren Sprache und den merkwürdigen, geheimnisvollen Plots, von dem ich vor langer Zeit so beeindruckt war, den ich dann aber später aus den Augen verloren hatte? Schließlich stieß ich unter L auf die gesuchten Bücher: Der Autor heißt Hartmut Lange, ist Jahrgang 1937, arbeite Anfang der 1960er Jahre als Dramaturg in Ostberlin, verließ 1965 die DDR und lebt in Berlin. Er gehört zu den stillen Autoren dieses Landes, bekannt vor allem für seine klassisch durchkomponierten Novellen, aber auch Dramen, Romane und Essays gehören zu seinem Werk. Es wurde Zeit, daß ich meine Zuneigung wieder erneuerte. Und so griff ich zu dem relativ aktuellen Novellenband „Das Haus an der Dorotheenstrasse” von 2013.